Im Gastkommentar blickt Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien, zurück auf 25 Jahre EU-Mitgliedschaft. Der österreichischen Perspektive widmet sich Paul Schmidt.

Der Beitritt Österreichs hat auch die EU politisch, kulturell und wirtschaftlich bereichert.
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Wenn sich in diesen Tagen die EU-Mitgliedschaft Österreichs zum 25. Male jährt, wird meist an die zahlreichen Vorteile der Österreicherinnen und Österreicher erinnert. In der Tat: 18.500 Arbeitsplätze entstehen pro Jahr dank des EU-Binnenmarkts. Das Einkommensniveau ist laut Wirtschaftskammer um 7000 Euro im Jahr höher, als es ohne die europäische Integration wäre. Die österreichischen Exporte in andere EU-Staaten haben sich seit dem Beitritt mehr als verdreifacht. 22.000 Studierende, Schüler, Auszubildende und Lehrkräfte aus Österreich nehmen jährlich am Austauschprogramm Erasmus teil. In der außerhalb der EU verbliebenen Schweiz hinkt nicht nur das langfristige Wachstum hinter dem österreichischen um 0,6 Prozentpunkte hinterher, sondern die Schweizer zahlen weiterhin überhöhte Roaming-Gebühren, die junge Österreicher nur noch aus Erzählungen kennen. Kurzum: Der 1. Jänner 1995 hat Österreich einen echten Integrationsbonus gebracht.

Keine Einbahnstraße

Die europäische Integration ist jedoch keine Einbahnstraße. Der Beitritt Österreichs hat auch die EU politisch, kulturell und wirtschaftlich bereichert. Der politisch wichtigste Beitrag Österreichs war das stete Eintreten für die Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa. Österreich ist seit jeher ein besonders überzeugender Befürworter der dauerhaften Überwindung der künstlichen Teilung unseres Kontinents. Wer einmal Hainburg an der Donau besichtigt hat, wo noch vor 30 Jahren der Eiserne Vorhang benachbarte Österreicher und Slowaken mit Stacheldraht voneinander getrennt hat, versteht, warum. Heute plädiert Österreich gemeinsam mit der Europäischen Kommission und der großen Mehrheit der EU-Regierungen für eine baldige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien – eine Forderung, die hoffentlich im Neuen Jahr erfüllt werden wird.

Ein wichtiger kultureller Beitrag Österreichs ist weltweit auf den Euro-Banknoten zu erkennen. Robert Kalina von der Oesterreichischen Nationalbank setzte sich bei einem Wettbewerb 1996 mit seinen Entwürfen – Motive aus der europäischen Baugeschichte ohne nationale Bezüge – gegen 44 Konkurrenten durch. Die zweitwichtigste Währung der Welt ist also nicht nur ebenso stabil wie früher der Schilling, sondern auch grafisch "made in Austria".

Wiener Initiative

Wirtschaftlich hat Österreich über seine Grenzen hinaus zu Wachstum und Arbeitsplätzen beigetragen. Der Bestand an österreichischen Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa ist zwischen 1990 und 2018 von 0,4 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro gestiegen. Österreich zeigte sich zudem in der Finanzkrise mit den in Not geratenen Mitgliedsstaaten solidarisch und half ihnen mit Sachverstand und vergünstigten Krediten. Ohne die "Wiener Initiative" hätte die Finanzkrise wohl in ganz Osteuropa Bankenpleiten ausgelöst. Nicht ohne Grund betrauten die Euro-Staaten während der Finanzkrise den Österreicher Thomas Wieser mit der Leitung ihrer maßgeblichen Arbeitsgruppe. Und in der Kommission von Ursula von der Leyen trägt heute Johannes Hahn die Verantwortung für den EU-Haushalt. In der EU-Finanzpolitik spielt Österreich also ganz vorne in der ersten Liga.

Nicht ohne Friktionen

Das Verhältnis zwischen Österreich und der EU war nicht immer friktionsfrei. Stichwort: Die "Sanktionen", welche die anderen EU-Regierungen verhängten, als Anfang 2000 in Österreich eine umstrittene schwarz-blaue Regierung gebildet wurde. Aber auch dieser Streit hatte am Ende durchaus sein Gutes. In die EU-Verträge wurde ein sogenanntes "Artikel 7-Verfahren" aufgenommen, das zur Anwendung kommt, wenn in einem Mitgliedstaat die europäischen Grundwerte systemisch bedroht sind. Wien ist heute Sitz der EU-Grundrechteagentur. Und die Notwendigkeit, die europäischen Grundwerte zu verteidigen, wird jetzt täglich thematisiert, auch von Österreich – denn bei der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit gibt es weiterhin viel zu tun.

Neue Brücken

Es ist zu wünschen, dass Österreich seine Erfahrung aus 25 Jahren EU-Mitgliedschaft nutzt, um in Europa neue Brücken zu bauen. Brücken zwischen denen, die von der Osterweiterung erheblich profitiert haben, und denen, die zu Recht stärkere Arbeitnehmerrechte einfordern. Brücken zwischen denen, die den Außenhandel als Quelle unseres Wohlstands erleben, und denen, die hohe Umwelt-, Verbraucher- und DatenschutzStandards verteidigen. Brücken zwischen denen, die eine Steigerung unserer Wettbewerbsfähigkeit anmahnen, und denen, die verlangen, dass Europa mit großem Ehrgeiz in der Klimapolitik vorangehen muss. Brücken schließlich zwischen denen, die angesichts wachsender globaler Herausforderungen ein stärkeres Europa einfordern, und denen, die Politik soweit wie möglich lokal und regional gestalten wollen.

25 Jahre nach seinem Beitritt ist Österreich in der EU kein Randspieler. Was in Österreich gesagt und getan wird, findet europaweit Beachtung. In diesem Sinne wünsche ich Österreich einen selbstbewussten Start ins neue Jahr. Ein starkes, modernes und handlungsfähiges Europa braucht jetzt ein starkes, modernes und handlungsfähiges Österreich. (Martin Selmayr, 30.12.2019)