Der kleine, grüne Kaktus ist eines der kleineren Probleme von Regisseur Martin K. (Norman Hacker). Seine Schauspieltruppe hat sich längst ihre eigene Bühnenwirklichkeit geschaffen. Links: Paul Wolff-Plottegg

Foto: Matthias Horn

Man muss am Ende anfangen. Wenn die Welt, die dieses Theater darstellt, auseinander bricht. Wenn die Augen der Schauspieler veilchenblau, die Knie blutverkrustet und die Stirnadern zornesweich sind. Der Blödsinn und der Leerlauf haben von dem Abend Besitz genommen – und die Komödie ist zu guter Letzt bei sich angekommen.

Man kann auch sagen: Jetzt, nach zweieinhalb Stunden Spielzeit, hat sie ihre Eingeweide herausgestülpt. Und aus einer der herrlichsten Boulevardkomödien, die die Theaterliteratur zu bieten hat, ist ein Stück absurdes Theater geworden.

Dabei fängt Michael Frayns Der nackte Wahnsinn aus dem Jahre 1982 genau so an, wie es die Konvention verlangt: Türen gehen auf und werden zugeschlagen. Kleider werden aufgeknöpft und Hosen runtergelassen. Kein Schwachsinn ist zu debil, keine Untiefe zu seicht. Am Wiener Burgtheater wird solcherlei Kost so gut wie nie serviert. Es ist dem Hausherrn Martin Kušej hoch anzurechnen, dass er es jetzt als Silvesterpremiere dennoch gemacht hat und dem Haus mit dieser Übernahme aus München einen richtigen Theaterkracher beschert hat.

Nix Dekonstruktion

Am dortigen Residenztheater beschloss Kušej mit Frayns Farce seine achtjährige Intendanz. Wer sich ein Gegen-den-Strich-Bürsten oder eine Dekonstruktion des Boulevardstücks erwartet hatte, wurde enttäuscht. Frank Castorf hatte weiland mit Pension Schöller: die Schlacht eine Art Blaupause für einen radikalen Regie-Umgang mit einer Schmierenkomödie geliefert. Der nackte Wahnsinn hat die eigene Dekonstruktion allerdings bereits selbst im Programm – unter der Hand und ziemlich publikumsverträglich, versteht sich.

Ein Regisseur (links Norman Hacker), der auf den Namen Martin K. hört. Inszeniert hat übrrigens Martin Kusej. In der Mitte Genija Rykova, rechts Katharina Pichler
Foto: Matthias Horn

Der einzige Eingriff, den sich Kušej erlaubte, war, das 80er-Jahre Stück (tolle Kostüme: Heide Kastler) in heimischen Gefilden anzusiedeln. Der Regisseur, der mit seinen Schauspielern den ersten Akt einer Komödie probt, trägt Kušejs eigenen Namen, die Schauspieler die ihren. Auch in der Wiener Version streut man wieder Lokalkolorit ein, der zweite Akt, der eine Wiederholung des ersten aus der Perspektive der Hinterbühne ist, spielt in Dornbirn, der prominente Theaterkritiker, der von der Schauspielerin Morddrohungen erhält, heißt Ponald Rohl.

Theater im Theater

Mehr als ein etwas billiges Späßchen ist diese Neujustierung aber nicht. Kušej konzentriert sich ganz auf die Mechanik dieser perfekt konstruierten Farce, die wunderbare Schauspieler dabei zeigt, wie sie nicht ganz so wunderbare spielen. Ist es im ersten Akt eine Probensituation, in der – so weit erwartbar – nichts wirklich funktioniert, sind es im zweiten die privaten Verwicklungen auf der Hinterbühne, die sich pantomimisch als immer groteskere Verrenkungen äußern.

Thomas Loibl (links) gibt den Steuerflüchtling als Groucho-Marx-Verschnitt. Hier darf er einen Scheich mimen. Im Hintergrund Sophie Von kessel. Rechts Norman Hacker
Foto: Matthias Horn

Das zweistöckige, cleane Bühnenbild von Anette Murschetz ist ein Scharnier zwischen Bühnenillusion und Theaterwirklichkeit, die ihrerseits nichts anderes als eine Schmierenkomödie ist. Im dritten Akt überlagern sich die Ebenen, bis auch die letzte Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Spiel fällt.

Versucht die autoerotische Steuerbeamtin im Wonderbra (Genija Rykova) noch die Lücken ihrer Kollegen zu überspielen, hat die vermeintlich hintergangene Frau Klacker der Sophie von Kessel Sardinen wie Hemmungen fallen gelassen und reagiert auch nicht mehr auf die die gutgemeinten Zuwendungen des tumben Kollegen (wunderbar Thomas Loibl als Groucho-Marx-Verschnitt). Regisseur Martin K. (Norman Hacker) hat sich sowieso längst in die nächste Liebschaft geflüchtet.

Die Rettung naht in Gestalt des fallenden Vorhangs. Doch auch er verfängt sich. Wie könnte es in einer Farce auch anders sein.

(Stephan Hilpold, 2.1.2020)