Regierungsprogramm Kapitel "Gesundheit"

Ein gesundheitspolitisches Thema, mit dem sich die künftige Regierung in den kommenden Jahren eingehend auseinandersetzen muss, ist der sich verstärkende Ärztemangel. Diesem Problem, allem voran in ländlichen Gebieten, versucht Türkis-Grün mit Schritten entgegenzuwirken, die den Arztberuf attraktivieren sollen, zugleich sollen nichtärztliche Berufsgruppen mehr Aufgaben übernehmen.

So soll etwa der Beruf des Allgemeinmediziners aufgewertet werden, indem auch Allgemeinmedizin zur Facharztausbildung wird. Bis das Früchte tragen kann, werden einige Jahre ins Land ziehen. Schneller Anreize schaffen könnten spezielle Stipendienplätze an Unis, anhand derer ausländische Studienabsolventen gezielt für eine gewisse Zeit zur Arbeit in Österreich verpflichtet werden sollen.

Auch eine Facharztoffensive für Fächer mit Unterversorgung ist geplant, wie es etwa bei den Kinderärzten der Fall ist. Wie diese Offensive aussehen soll, lässt das Regierungsprogramm aber offen. Die Zahl der Medizinstudienplätze zu verdoppeln, was ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Wahlkampf als Mittel gegen den Ärztemangel gefordert hat, davon ist keine Rede mehr. Lediglich von einer "kontinuierlichen Ausweitung" des bestehenden Angebots ist zu lesen.

Eine klare grüne Handschrift trägt das Vorhaben, ein "System von School- und Community-Nurses zur niederschwelligen und bedarfsorientierten Versorgung" aufzubauen, also Grätzel oder Bezirkspflegekräfte zu etablieren sowie die "nichtärztlichen Gesundheitsberufe zu stärken und aufzuwerten". Diese sollen mehr Kompetenzen erhalten und stärker in die Basisversorgung eingebunden werden. Wie das vor sich gehen soll, bleibt aber offen. Hier sind Reibungen zu erwarten: Ein genereller Paradigmenwechsel weg vom Arzt als zentraler Ansprechperson für Patienten im Gesundheitssystem ist mit der ÖVP nicht zu erwarten.

Ganz allgemein bekennt man sich zum weiteren Ausbau der Primärversorgung und zur wohnortnahen allgemeinmedizinischen Versorgung.

Schon in vorangegangenen Regierungsprogrammen fand sich das Ziel, das Erfolgsmodell des Mutter-Kind-Passes zum Eltern-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr weiterzuentwickeln und auszuweiten. Unter anderem soll es standardisierte Screenings zur Gesundheit und Ernährung geben und auch bessere Informationen und Beratungen über Impfungen. Allerdings ist die Ausweitung des Mutter-Kind-Passes in den vergangenen Jahren und Regierungskonstellationen bereits in zahlreichen Arbeitsgruppensitzungen diskutiert, aber nicht auf den Boden gebracht worden.

Noch zum Stichwort Impfungen: Ganz allgemein ist in Österreich keine Impfpflicht vorgesehen, auch nicht für Mitarbeiter des Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereichs. Hier ist lediglich von einer "Forcierung" der Impfungen die Rede.

Ein eigenes Kapitel im Gesundheitsvorhaben erhält die Frauengesundheit. Es soll zum Beispiel einen jährlichen Frauengesundheitsbericht geben. Ausgeweitet werden sollen auch Angebote für ambulante Rehabilitation, um die stationäre Rehabilitation zu entlasten. Auch die Versorgung im Bereich der psychischen Gesundheit soll ausgebaut werden, um den Bedarf zu decken. Die E-Card soll künftig noch mehr können: E-Rezept, E-Befund und E-Impfpass sollen kommen. Der E-Impfpass wurde bereits mehrfach unter Türkis-Blau als Hoffnungsträger für die Erhöhung der Durchimpfungsrate der Bevölkerung genannt.

Digitalisierungsprojekte lassen sich im Gesundheitsbereich aber oft nur schleppend umsetzen, etwa wegen Datenschutzbedenken oder Widerstands aus der Ärztekammer. Auch die telefonische Gesundheitsberatung 1450, die 2019 auf ganz Österreich ausgerollt wurde, soll aufgewertet werden und künftig mehr können. Bei diesem Service, dessen Ziel eigentlich ist, als erste telefonische Anlaufstelle die Spitalsambulanzen zu entlasten, ist tatsächlich Luft nach oben – beispielsweise wären digitale Ergänzungsangebote denkbar. Wie oder was hier geplant ist, lassen Türkis und Grün aber offen.

An der von Türkis-Blau durchgeführten, umstrittenen Kassenreform, der Zusammenlegung aller Gebietskrankenkassen, wird nicht gerüttelt. Die Zukunft der Sozialversicherung ist im Regierungsprogramm nur sehr knapp angerissen: Die Regierung bekennt sich da zur Selbstverwaltung.

Ein Punkt, der als sehr konkret hervorsticht, ist, dass es "keine Ausweitung von Selbstbehalten für Arztbesuche ASVG-Versicherter" geben soll.

Fazit: Ein großer Wurf ist in der Gesundheitspolitik ausgeblieben. Wenn Pflege- und Therapiepersonal im Gesundheitssystem mehr Aufgaben bekommen und auf regionaler Ebene als Ansprechpartner etabliert würden, könnte dies für Patienten zwar größere Veränderungen bedeuten. Allerdings hängen diese Vorhaben noch in der Luft – wie sie auf den Boden gebracht werden sollen, lässt das Koalitionspapier offen. (Gudrun Springer, 2.1.2020)