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Seit Jahren fordern Menschenrechtler und internationale Akteure, dass die Flüchtlinge und Migranten aus Libyens Lagern befreit werden.

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Kartonschilder markieren die Gräber der afrikanischen Migranten, die vor der tunesischen Küste gestorben sind.

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Der Krieg in Libyen droht abermals zu eskalieren. Die einen Großteil des Landes kontrollierende sogenannte Libysche Nationalarmee (LNA) unter General Khalifa Haftar liefert sich seit zwei Wochen heftige Gefechte mit der international anerkannten Regierung von Fayez al-Serraj (GNA) und hinter dieser stehenden Milizen. Haftars LNA hatte im April eine Offensive auf die von der GNA kontrollierte Hauptstadt Tripolis lanciert, konnte Serrajs Bastion im Westen des Landes aber bisher nicht einnehmen.

Der seit 2011 andauernde Bürgerkrieg in Libyen wird dabei zunehmend unübersichtlich, tummeln sich doch immer mehr ausländische Akteure auf dem Schlachtfeld rund um Tripolis. Der Konflikt ist de facto zu einem Stellvertreterkrieg mutiert, in dem zahlreiche Groß- und Regionalmächte um geopolitischen und wirtschaftlichen Einfluss konkurrieren. Die internationale Einmischung im Land intensivierte sich dabei zuletzt massiv und dürfte die Gewaltspirale weiter anheizen. Haftar wird vor allem von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR) und unter vorgehaltener Hand auch von Frankreich unterstützt, greift aber auch auf die private russische Söldnerfirma Wagner und bezahlte Kämpfer aus dem Sudan zurück. Die Vereinten Nationen (UN) und die EU, vor allem aber Italien und die Türkei, stehen aufseiten der GNA.

Die Fronten des Krieges.
Grafik: Standard

Verschärfung befürchtet

Der zunehmend in die Ecke gedrängte Serraj ruft derweil immer verzweifelter nach internationaler Hilfe und versuchte bisher erfolglos, die Nachbarländer Tunesien und Algerien offen auf seine Seite zu ziehen. Ankara hingegen reagierte und kündigte Ende Dezember an, auf Grundlage einer im November mit Serraj abgeschlossenen militärischen Absichtserklärung, mit der Türkei verbündete Milizionäre aus Syrien nach Libyen zu schicken. Das türkische Parlament hat am Donnerstagnachmittag grünes Licht für eine mögliche Militärintervention gegeben. Präsident Recep Tayyip Erdoğan erhielt für ein Jahr die Erlaubnis, Truppen zu entsenden.

Sollten Soldaten geschickt werden, wäre das eine bisher beispiellose Verschärfung des Konfliktes. Ägyptens Militärregime, Ankaras Erzfeind in der Region, dürfte einer solchen Intervention nicht tatenlos zuschauen und könnte seinerseits sein Engagement zugunsten Haftars verstärken. Die ägyptische Nachrichtenseite Mada Masr deutete in der Vorwoche an, Ägyptens Unterstützung für Haftar könnte umfangreicher sein als bisher angenommen. Haftar wird von Ägypten durch Materiallieferungen und Trainings unterstützt, doch auch die von Frankreich hochgerüstete ägyptische Luftwaffe fliege immer wieder Angriffe auf GNA-Stellungen, so Mada.

Menschen zwischen den Fronten

Während ein Ende des Krieges damit in weite Ferne zu rücken scheint, sind es abermals Zivilisten, die einen hohen Preis zahlen. Hunderttausende libysche Zivilisten und zehntausende Geflüchtete aus afrikanischen und asiatischen Ländern sind zwischen den Fronten gefangen und werden akut von den Kämpfen um Tripolis bedroht. Allein hier sollen bis zu 6000 Geflüchtete in von der GNA und ihren Verbündeten kontrollierten Haftanstalten interniert sein. Bei einem Luftangriff auf eine solche Einrichtung in einem Vorort von Tripolis wurden im Juli 53 Menschen getötet. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) schlägt schon seit Wochen Alarm und versucht mit zwielichtigen Methoden, hunderte Geflüchtete, die in einem Transitzentrum ausharren, zum Verlassen der Einrichtung zu bewegen. Zum 1. Jänner wurde in dem erst Ende 2018 eröffneten Zentrum die Lebensmittelversorgung eingestellt.

Das UNHCR könnte darauf setzen, seine Aktivitäten sukzessive nach Tunesien auszulagern, steht die UN-Behörde doch für ihre Kooperation mit Milizen und Innenbehörden in von der GNA kontrollierten Territorien bereits seit Monaten in der Kritik. Der Guardian, Euronews und die US-Nachrichtenagentur AP enthüllten zuletzt unzählige brisante Details über die Zusammenarbeit des UNHCR mit GNA-Milizen, die Haftanstalten für Geflüchtete betreiben und für deren Versorgung indirekt oder direkt vom UNHCR oder der EU bezahlt werden.

Einlenken möglich

Tunesien wiederum wehrte sich bisher erfolgreich dagegen, wie von der EU gefordert, sogenannte Hotspots für Geflüchtete oder gar Flüchtlingslager im Land zu errichten. Die aktuelle Notlage in Libyen könnte Tunis jedoch zum Einlenken zwingen. Tunesiens Militär hat bereits seine Präsenz an der Grenze verstärkt. Die tunesische Zeitung La Presse berichtet über einen stark erhöhten Andrang libyscher Flüchtlinge an tunesischen Grenzübergängen.

Die theoretischen Überlegungen, in der Provinz Tataouine in Südtunesien mitten in der Wüste ein Flüchtlingslager einzurichten, werden dabei offenbar konkreter. Schon 2014 legte die Regierung in Tunis gemeinsam mit dem UNHCR und anderen internationalen Organisationen einen Notfallplan auf, der die Errichtung eines Lagers für bis zu 50.000 Menschen nahe der Stadt Remada vorsieht, sollten wie bereits 2011 zehntausende Menschen aus Libyen flüchten. Erste konkrete Konsultationen über den Notfallplan fanden offenbar in den letzten Tagen statt.

Abschiebungen nach Algerien

Tunesien wäre angesichts der jüngsten Berichte über Misshandlung, Folter und Elend von in Libyen internierten Geflüchteten in der Tat sicherer. Das Problem dabei: Auch tunesische Behörden internieren seit Jahren Geflüchtete und schieben Menschen nach Libyen oder Algerien ab. Das UNHCR-Büro in Tunesien hat sich zuletzt als unfähig erwiesen, eine adäquate Versorgung einer vergleichsweise niedrigen Anzahl an Menschen zu gewährleisten. Ende November waren nur 3117 Flüchtlinge und Asylwerber registriert.

Umfassende Recherchen der vergangenen Wochen zeichnen jedoch ein wenig vertrauenerweckendes Bild von der Arbeit der UN-Behörde im Land. Betroffene berichten dem STANDARD von massiv überfüllten Unterkünften, einer unzureichenden Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Betreuung, Selbstmordversuchen und sogar Drohungen. Zahlreiche Geflüchtete waren angesichts der ausbleibende Hilfen des UNHCR gar freiwillig nach Libyen zurückgegangen. Auch wenn die Lage für Geflüchtete in Tunesien besser sein dürfte als in Libyen: Ein sicherer Hafen ist Tunesien keinesfalls. (Sofian Philip Naceur, 3.1.2020)