Die Süddeutsche: Politischer Zeitgeist

"Österreich und politische Experimente? Für fast ewige Zeiten war das ein Widerspruch in sich: Jahrzehntelang regierte in Wien immer wieder aufs Neue eine große Koalition aus Volkspartei (ÖVP) und Sozialdemokraten (SPÖ). Es war das Land der Langeweile. (...) Dem Farbenwechsel wohnt so viel Dynamik inne, dass Österreich inzwischen weit über die eigenen Grenzen hinaus als Versuchslabor des politischen Zeitgeists gelten darf. (…)

Wenn das gelingt, wird es viele Gewinner geben. Kanzler Sebastian Kurz, der bislang als Politiker vor allem auf Stimmungen reagiert hat, würde beweisen, dass er auch staatsmännisch regieren kann. Vizekanzler Werner Kogler kann die Grünen als verantwortungsbewussten Machtfaktor etablieren. Das Bündnis zwischen der ÖVP und den Grünen kann Österreich verändern – und obendrein noch zum Modellfall werden, für Deutschland zum Beispiel."

Exportschlager Türkis-Grün?
Foto: APA / Hans Klaus Techt

Neue Zürcher Zeitung: Unberechenbares Experiment

"Neue Ideen sind bitter nötig nach Jahrzehnten des großkoalitionären Hickhacks, und es braucht neues Vertrauen in die Politik nach dem Scherbenhaufen, den die konservativ-freiheitliche Regierung hinterlassen hat. Bringt die neue Truppe das Land voran, werden die Konservativen ihre Hegemonie im rechten Lager behalten und die Grünen ihre Position auf Kosten der ratlosen und kriselnden Sozialdemokraten ausbauen. (...)

Es bleibt ein Element der Unberechenbarkeit in diesem Experiment. Angesichts der vielen potenziellen Konflikte könnte es rasch kollabieren. Sollten sich Einbrüche bei den Wählerumfragen abzeichnen, wird es mit der Harmonie rasch vorbei sein. Dann wird sich zeigen, ob die konservativ-grüne Partnerschaft lediglich eine Episode ist oder zum Zukunftsmodell wird. Dass sie es aber überhaupt zur Regierungsreife geschafft hat, spricht, zumindest für den Moment, für ein relativ solides Fundament."

Focus: Feuer und Wasser

"Das wird eine Koalition aus Feuer und Wasser. (...)

Kurz kann zeigen, wie stark er wirklich ist. Im Bündnis mit der rechten FPÖ konnte er sich leicht als konservative Galionsfigur gerieren, die bei allzu heftigen Exzessen des rechten Partners auch mal mäßigend einschritt. Jetzt aber ist von Kanzler Kurz jene große Regierungskunst gefragt, die in Europa immer mehr zum Regelfall wird: Ungleiches zusammenzuführen."

Die Zeit: Neue Mitte

"Das Wahlverhalten spiegelt das Auseinanderdriften innerhalb der Gesellschaft. (...) Hierin liegt die eigentliche Begründung für Schwarz-Grün, jenseits der Machtarithmetik: Kurz und sein designierter grüner Vizekanzler Kogler müssen die verschiedenen Milieus und ihre Anliegen zusammenführen. Alt und Jung, Stadt und Land, Sicherheit und Ökologie. Wenn ihnen das gelingt, könnte Schwarz-Grün in Wien durchaus ein Modell werden – ein Bündnis, das Gegensätze vereint und eine neue Mitte schafft. Die Extremisten blieben dann dort, wo sie hingehören und wo sie kaum Schaden anrichten können: am Rande."

Le Monde: Unkonventionelles Tandem

"Das Tandem zwischen dem liberalen Kurz, Verfechter einer harten Einwanderungspolitik, und den links verankerten Grünen ist nicht selbstverständlich. Das Land wird nunmehr zu den EU-Staaten gehören, in denen sich die Umweltschützer an der Regierung beteiligen."

Frankfurter Rundschau: Vielerlei Bruchstellen

"Beide Seiten meinen es überaus ernst, obwohl es vielerlei Bruchstellen für diese neue Form des Bündnisses gibt." (red, APA, 2.1.2020)