"Wann reißen wir endlich die Augen auf und werden uns dieses Wahnsinns bewusst, den wir da produzieren?" Sigrid Horn mit ihrer Ukulele auf einem Kreisverkehr in Wien-Stadlau.
Foto: Florian Albert

STANDARD: Vor einem Jahr haben Sie beim FM4-Protestsongcontest erstmals das Lied "Baun" gesungen. Wissen Sie, wie oft darin das Wort Baun zu hören ist?

Horn: Keine Ahnung.

STANDARD: Insgesamt 119-mal.

Horn: Echt jetzt? Oh, mein Gott! Viel zu oft. So sehr zu oft, wie wir zu viel baun.

STANDARD: Haben Sie schon einmal gebaut?

Horn: Als Kind hab ich gern Sandburgen gebaut, am liebsten mit diesem nassen, batzigen Sand, wo man mit einer Hand runtertröpfelnde Stalagmiten baun konnte, herrlich! Das waren dann die sogenannten Batzlburgen. In den letzten Jahren hab ich immer wieder mal ein Zelt aufgebaut. Das fühlt sich manchmal an, als würd man ein Eigenheim baun. Für manche Menschen ist es das leider auch. Am liebsten aber bau ich Luftschlösser.

STANDARD: Sie sind im Mostviertel geboren und aufgewachsen. Inwiefern hat Sie Ihre Wohn- und Lebensumgebung geprägt?

Horn: Das Ybbstal ist eine echt wunderschöne Gegend! Aber mittlerweile sind alle Wiesn, wo ich als Kind g’spielt hab, auch die verwunschene Sumpfwiesn mit den Sumpfdotterblumen vorm Wald, Eigenheimsiedlungen geworden. Eh klar, die Leut wollen irgendwo z’haus sein. Stattdessen setzen s’ den Kindergarten zwischen Friedhof und Fernwärme, weil sich niemand was denkt dabei, und die Landschaft wird mehr und mehr verkreisverkehrt und verhüttelt mit Tankstellen, Drogeriemärkten und Fastfoodketten.

STANDARD: In Ihrem Song kritisieren Sie genau das – die Flächenwidmung, fehlende Raumplanung, die Zersiedelung der Landschaft. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Horn: Der Bauer will die Flächen umwidmen, weil der Anbau unrentabel geworden ist und weil er mit seinem Acker mehr Geld verdienen kann, wenn er es als Bauland verkauft. Dann gibt’s den Shoppingcenterbetreiber, der sagt, dass er Arbeitsplätze schaffen will, aber eigentlich nur daran interessiert ist, fette Mieteinnahmen zu haben. Und dann gibt’s den Bürgermeister, der mehr Menschen anlocken will, um seine Steuereinnahmen zu erhöhen, und der immer nur Ja sagt zu allen eing’reichten Häusln, um ja keinen Freund vorn Kopf zu stoßen, um ja die nächste Wahl nicht zu verlieren. Und so hat jeder sein partikulares Eigeninteresse.

STANDARD: Wie kommen wir aus dieser Spirale wieder raus?

Horn: Das fragen S’ ausgerechnet mich! Jedenfalls ist das ein total brennendes Thema am Land, und es brennt unter den Fingernägeln! Die Leut in den Dörfern haben’s kapiert, und es fuckt sie so richtig an, weil ihnen die Lebensqualität und die Naherholungsräume weggenommen werden. Wie g’sagt: Beim Realisieren seiner eigenen Partikularinteressen denkt keiner an die Folgen. Wie soll er auch? Woher sollen Bürgermeister und Beamte das wissen? Es gibt zwar Leut, die haben Visionen und kennen sich aus, keine Frage, aber die meisten sind mit Stadt- und Raumplanung heillos überfordert. Es braucht ein Gesamtkonzept. Die ganze Organisationsstruktur g’hört dringend umgebaut.

STANDARD: Wo ansetzen?

Horn: Beim Reden und Zuhören. Für alles auf dieser Welt gibt’s eine Ausbildung. Und für fast alles in Österreich brauchst einen Gewerbeschein. Aber dafür, wie wir mit unserer Natur und gebauten Umwelt umgehen, gibt’s in der Politik keinerlei Training – und leider auch zu wenig Beratung.

STANDARD: Ein großes Triebmittel für die Verhüttelung ist der Konsum. Wir stehen hier auf einem Kreisverkehr im Gewerbegebiet Stadlau. Wie sehr kann man diesen Reizen heute überhaupt noch widerstehen?

Horn: Gar nicht, fürcht ich. Ein jeder hat seinen Keller, damit er ihn vollräumen kann mit Glumpert, das er net braucht, und es wird vollg’stopft und vollg’stopft und vollg’stopft. Und auch ohne Glumpertsucht entkommst du den Gewerbegebieten und Konsumtempeln kaum, weil die meisten Dörfer am Land schon ausgestorben und die G’schäftln längst weggezogen sind. Und am Ende sperrt dann auch noch die Dorftankstelle zu, die Post, Greißler und Packerlabholstation in einem war.

STANDARD: Wie haben denn Bürgermeister, Behörden und Fachleute auf Ihren Song reagiert?

Horn: In der Raumplanungscommunity – ja, die gibt es wirklich! – ist das Lied ziemlich eing’schlagen. Es gibt sogar eine Architekturprofessorin, die den Song seitdem immer in ihrer ersten Vorlesung vorspielt. Sie meinte: "Du sprichst uns allen aus der Seele! Das sagen wir schon seit Jahren, aber den Architekten und Raumplanerinnen hört die Politik einfach nicht zu."

STANDARD: Gibt es nationale oder internationale Beispiele, wo die öffentliche Hand das Ganze besser im Griff hat?

Horn: Mir sind keine bekannt. Eigentlich furchtbar, oder?

STANDARD: 2015 hat der deutsche Stadtplaner Daniel Fuhrhop ein Buch unter dem Titel "Verbietet dasBauen" geschrieben. Die Stadt Velden hat 2016 eine zweijährige Bausperre über das Wörthersee-Ufer verhängt. Und die Niederlande haben vor einigen Jahren eine Gesamtinventur über leerstehende Baudenkmäler im ganzen Land gemacht. Ist das ein möglicher Weg?

Horn: Sehr coole Beispiele! Das macht Hoffnung! Eine Bausperre oder ein Buch mit so einem provokanten Titel sind auf jeden Fall mal der richtige Weg, um den Menschen die Augen zu öffnen. Ich sing im Lied: "Und se baun imma hecha, se widmen imma schnölla. Wo vorher a Wiesn woa, steht auf amoi a Kölla. Planiert is planiert und wird scho betoniert." Aber das Problem ist in Wahrheit noch viel größer. Ich persönlich bin ehrlich g’sagt am Verzweifeln, weil ich mich frag: Wann wachen wir endlich auf? Wann reißen wir endlich die Augen auf und werden uns dieses Wahnsinns bewusst, den wir da produzieren!

STANDARD: Zum Jahresbeginn können Sie sich etwas wünschen.

Horn: Zeit wird’s. Es brennt eh schon.

STANDARD: Wie lautet Ihr Appell an die Bauwirtschaft?

Horn: Weniger und nachhaltiger bauen!

STANDARD: Ihr Appell an die Politik?

Horn: Klare Regelungen schaffen und ein Supportsystem für die Entscheidungsträgerinnen am Land einführen!

STANDARD: Ihr Appell an die Bürgermeister?

Horn: Sich informieren und sich nicht so leicht von persönlichen Anliegen und Partikularinteressen verlocken lassen!

STANDARD: Ihr Appell an die Raumplanung?

Horn: Offensiver in die Öffentlichkeit hinausgehen und ihr Wissen breiter streuen!

STANDARD: Appell an die Architektinnen?

Horn: Günstiger werden, weniger g’scheit daherreden, damit sich mehr Leut einen Architekten leisten können und leisten wollen!

STANDARD: Appell an die Häuslbauer?

Horn: Sich genauer überlegen, wie viel Platz man wirklich braucht, und dringend damit aufhören, die Häusln mit Sondermüll zu dämmen!

STANDARD: Appell an uns alle?

Horn: Beteiligt euch alle am Diskurs!

STANDARD: Worum wird’s im neuen Album gehen?

Horn: Klimawandel bleibt ein Thema.

(Wojciech Czaja, ALBUM, 4.1.2020)