Die Einigung auf einen neuen Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine hat Ängste in Westeuropa ausgeräumt, vom Gasnachschub abgeschnitten zu werden.

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Der ukrainische Ex-Präsident Petro Poroschenko ist dagegen: Der neue Transitkontrakt bedeute aus Kiewer Sicht "entweder Inkompetenz oder Schlimmeres", wetterte der Milliardär, der als Chef der Oppositionspartei "Europäische Solidarität" in der Ukraine weiterhin politisches Gewicht besitzt.

Die Unterhändler aus Kiew und Moskau hatten sich nach über einem Jahr Verhandlungen unter Vermittlung der EU erst kurz vor Ultimo in Wien auf die Verlängerung des auslaufenden Transitvertrags einigen können. Die Konditionen des neuen Fünfjahresvertrags sehen so aus, dass Gazprom sich verpflichtet, heuer mindestens 65 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Ukraine nach Europa zu pumpen und bis 2024 jährlich noch mindestens 40 Milliarden Kubikmeter.

Weniger Gastransit als bisher

Das ist deutlich weniger als die 90 Milliarden Kubikmeter, die bisher über die ukrainische Route nach Europa flossen, und der Vertrag ist nur halb so lang, wie Kiew ursprünglich gefordert hatte. Doch zugleich ist es auch deutlich mehr, als Russland vorher je angeboten hat. Noch im November offerierte Gazprom einen Einjahresvertrag über eine unbestimmte Gasmenge, die sich nach dem Bedarf in Europa und der Möglichkeit Russlands, andere Transportkapazitäten zu nutzen, richten sollte. In jedem Fall wollte der Kreml eine kurzfristige Lösung, bis zur Fertigstellung der Pipeline Nordstream 2. Die US-Sanktionen gegen das Projekt, an dem auch die OMV beteiligt ist und dessen Inbetriebnahme sich nun deutlich verzögern wird, dürften Russlands Verhandlungsposition aufgeweicht haben.

Darüber hinaus hat Gazprom 2,9 Milliarden Dollar (2,6 Milliarden Euro) Schadenersatz für Vertragsstreitigkeiten aus dem bisherigen Transit an Kiew überwiesen – als Gegenleistung soll Naftogas alle weiteren Klagen fallenlassen.

Naftogas-Vorstandschef Andrij Koboljew zeigte sich "nicht begeistert" über den neuen Vertrag, weil die Risiken nun größtenteils bei seinem Konzern lägen. Dennoch sei es ein notwendiger Kompromiss, so Koboljew.

Erleichterung im EU-Raum

Der Generaldirektor des Konzerns, Juri Witrenko, wies die Kritik Poroschenkos als "heuchlerisch" zurück. Unter den bestehenden Umständen habe die Ukraine das Bestmögliche herausgeholt. Die Transiteinnahmen der Ukraine beliefen sich in den nächsten fünf Jahren auf mindestens 7,2 Milliarden Dollar, sagte Witrenko.

Die Freude in Brüssel über die Einigung ist hingegen einhellig: "Das ist ein großartiger Tag für Europas Energiesicherheit", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefcovic. Das Pokern Moskaus und Kiews hatte bei den europäischen Energieversorgern Erinnerungen an alte Zeiten geweckt.

Bis 2009 krachte es zwischen den beiden Nachbarn in der Gasfrage praktisch alljährlich jeweils kurz vor Silvester. Dann folgte 2009 der große Knall, als beide Seiten keine Einigung über den Preis für Transit und Gaslieferungen erzielten und Gazprom schließlich den Gashahn Richtung Westen ganz abdrehte. Diese Gefahr haben Versorger auch heuer gesehen. Sie ist nun für die nächsten fünf Jahre gebannt.

Planung nun möglich

Damit ist eine vernünftige Planung möglich: Bis 2024 ist Nordstream 2 in Betrieb und wohl auch Turkstream Richtung Europa verlängert – immerhin hat Bulgarien am Freitag über diese Pipeline sein erstes Gas erhalten. Zugleich wird sich aber auch der Gasimportbedarf der Europäer schärfer herauskristallisieren: Die eigenen Quellen in der Nordsee versiegen, der Energieverbrauch steigt, andererseits will die EU verstärkt erneuerbare Energien nutzen.

Es bleibt somit Zeit für eine Analyse der Ukraine-Route und bei Bedarf auch für die dann notwendige Modernisierung des Pipelinesystems, die Milliarden erfordert, an der die Europäer prinzipiell aber interessiert sind.

Zu guter Letzt kann auch Moskau mit dem Kompromiss gut leben. Natürlich hätte Gazprom gern ein paar Milliarden an Transitgebühren gespart, doch auch die Russen brauchten Planungssicherheit für die kommenden Jahre. Denn kalte Füße in Westeuropa hätten umgekehrt auch weniger Exporteinnahmen für den Kreml bedeutet. Und die braucht Russland, um das ins Stocken geratene Wachstum wieder zu beschleunigen.

(André Ballin, 4.1.2020)