Der Wiener Musikverein (im Bild: der Goldene Saal) wird 150.

APA/Herbert Neubauer

Leiter Thomas Angyan geht nach 32 Jahren.

Wolf Dieter Grabner

Man darf sich, was die aktuelle Politlage anbelangt, Thomas Angyan, als recht erleichterten Zeitgenossen vorstellen. "Ich fühle mich einer Weltanschauung verbunden, die mich weit weg von der FPÖ treibt. Die aktuelle koalitionäre Lösung finde ich sehr spannend." Noch einmal Türkis-Blau "hätte ich nicht ertragen". Bezüglich etwaiger Subventionsgespräche mit der neuen grünen Kulturpolitik muss sich der Chef des Wiener Musikvereins nicht mehr den Kopf zerbrechen. Ab kommender Saison übernimmt Stephan Pauly; im Juni wird Gustav Mahlers 8. Symphonie für Angyan den Schlusspunkt seiner 32-jährigen Amtszeit markieren.

Ein mulmiges Gefühl – angesichts eines letzten Konzerts – will Angyan nicht bestätigen. Er nennt als zukünftige Betätigungsfelder unter anderem die Siemensstiftung, die Fördergelder vergibt ("Ich will nicht zu viel machen, auf null soll es aber nicht gehen"). Zudem zieht er in den Senat der Gesellschaft der Musikfreunde ein, der jedoch keinen direkten Einfluss hat. "Würde ich motschkern, hätte es keine Konsequenz. Ich will dem Nachfolger aber auch keine Ratschläge geben. Man kann allerdings Türöffner sein – etwa für Sponsoren."

Nachfolger darf nicht raunzen

Nachfolger Pauly wiederum wird auch keinen Grund finden zu raunzen – zumal was die finanzielle Ausstattung des Hauses anbelangt: "Ich hinterlasse ausreichend monetäre Reserven, wodurch ein Neuer auch Experimente wagen kann." Dass der Nachfolger auf finanzielle Polster zurückgreifen kann, liegt auch an jener imposanten Erbschaft, die der Wiener Musikverein vor Jahren empfangen hat.

Selbiges Geschenk – es waren fünf Millionen Euro – hätte wohl auch in jener heiklen Phase geholfen, welche das Haus der Tradition beim Bau seiner vier neuen Säle durchstehen musste. Der Großsponsor Alberto Vilar fiel plötzlich aus, was "schon einigermaßen beunruhigend war. Wir hatten dieses riesige Bauloch, und es fehlten über fünf Millionen. Meine Direktion saß da und fragte: ,Was tun wir jetzt?‘."

Der damalige Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde, Horst Haschek, habe jedoch gemeint: "Wenn unsere Vorväter das Haus in vier Jahren erbaut haben, dann werden wir doch dieses blödsinnige Loch auch noch füllen können – oder?" Damit war die Diskussion beendet.

Rekonstruiertes Konzert

Schließlich habe eines Tages Frank Stronach angerufen und gefragt: "Was ist mit dem Vilar? Wie viel schuldet er Ihnen?" Es habe ihm, erinnert sich Angyan, "offenbar Spaß gemacht zu helfen. Das war jedenfalls die Rettung." So vermag das Musikhaus nun – um die programmatisch sehr lebendigen vier neuen Säle bereichert – seinen 150er zu feiern und auch zu demonstrieren, wie es 1870 geklungen haben mag, als das Haus mit einem Mix aus Wiener Klassik, Barock plus etwas Schubert eingeweiht wurde. Die Philharmoniker weichen für die Feststunden von ihrer Gewohnheit ab, nach dem Neujahrskonzert einmal eine Konzertpause einzulegen, und spielen unter Semyon Bychkov (am 5. und 6. 1.). Für Angyan selbst ist auch 1987 von großen Bedeutung. Damals begann er als Nachfolger von Albert Moser mit nicht ganz unbekannten Künstlern zu arbeiten. Seine ersten Konzerte? Am 1. Oktober dirigierte Leonard Bernstein die Wiener Philharmoniker, am 3. Oktober wiederum Herbert von Karajan die Berliner.

"Bernstein kam ins Konzert von Karajan, ich hatte ihm einen Platz in der Parterreloge erste Reihe zugedacht. Er kam wie immer in seinem Steirerjopperl, wollte allerdings nicht ganz vorne sitzen." Bernstein habe eine Dame in der dritten Reihe "angetippt, die fast in Ohnmacht gefallen wäre, und sie jedenfalls gefragt, ob sie nicht seinen Platz einnehmen möchte. Er saß dann in der dritten Reihe, ging aber in der Pause zu Karajan. Es wurde die längste Pause meiner Amtszeit; sie dauerte 45 Minuten. Ich habe nicht gewagt, die Tür aufzumachen und zu mahnen, es sei wieder Zeit, an die Arbeit zu gehen", erzählt der Wiener (Jahrgang 1953), der seit jener Zeit doch Veränderungen in der Branche konstatiert.

Weniger Handschlagqualität

"Es ist viel komplexer geworden, und die Handschlagqualität hat nachgelassen. Ich meine nicht die Künstler, eher manche Agenturen. Der Musikverein ist zwar in einer komfortablen Lage. Sein Image und der Ruf Wiens als Musikstadt helfen: Da tut man sich schon schwer zu sagen, man hätte etwas Besseres vor, als hier zu gastieren." Dennoch gäbe es Künstler, die "zusagen, sogar einen Vertrag haben und dann trotzdem meinen: ,Jetzt singe ich doch lieber in Bayreuth, also lasst mich bitte frei.‘ Das ist schon passiert und wäre früher so nicht möglich gewesen." Dies würde nach Angyan "gar nicht nur die wenigen Stars betreffen". Es sei weitverbreitet, mit Zusagen zuzuwarten, "bis zu jenem Punkt, an dem man feststellt, es käme jetzt nichts Besseres mehr nach".

Die Planung wäre früher also leichter gewesen: "Man schlug vor, etwas in drei Jahren zu machen. Dann kam die positive Antwort. Schließlich wurde um das Projekt herum eine Tournee gebaut. Heute heißt es: Es sei zu früh, man käme auf uns noch zu." Hinkünftig darf Nachfolger Pauly solch Vertröstungen erdulden. Womöglich kann aber die Erinnerung an die Geschichte des Hauses seine Argumentation unterstützen. Immerhin harrte etwa ein Schönberg hier am Stehplatz aus, während Brahms in einer Loge saß. Welcher Konzertsaal kann von sich behaupten, unzählige solche Geschichten ermöglicht zu haben.

Vertiefende Infos in Joachim Reibers Buch "Der Musikverein in Wien. Ein Haus für die Musik", Styria. (Ljubisa Tosic, 4.1.2020)