Foto: APA/Gindl

Einige grüne Funktionäre haben ihren Unmut bereits im Vorfeld öffentlich geäußert. Beherzte Debatten und viele Nachfragen zu den Verhandlungen werden erwartet. Trotzdem werden die Delegierten am grünen Bundeskongress am Samstag in Salzburg dem türkis-grünen Regierungsprogramm wohl zustimmen, wie ein Rundruf des STANDARD zeigt. Bereits am Freitag gab der Erweiterte Bundesvorstand der Grünen seine Zustimmung.

Die grüne Parteispitze rückt an, um der Basis in Salzburg das Ergebnis der türkis-grünen Verhandlungen zu erklären.
Foto: APA/Gindl

Erste Landesorganisationen wie Niederösterreich oder die Steiermark verkündeten bereits am Donnerstag, dass sie von einer Zustimmung der Delegierten ausgehen. Auch die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein hat ihrer Landesorganisation empfohlen, dem Koalitionspakt zuzustimmen. Für Hebein, die selbst dem Verhandlungsteam angehört hat, sei immer klar gewesen, dass "einige Kompromisse hart sein werden". Dass die Wiener Landesorganisation dem Rat Hebeins folgt, ist nicht unwichtig: Der einflussreichen Wiener Basis wurde zumindest vonseiten der ÖVP die Schuld am Scheitern der ersten – damals noch schwarz-grünen – Verhandlungen im Jahr 2003 gegeben.

Debattenkultur

Abendliche Treffen der grünen Delegierten in den Ländern mit Mitgliedern des Verhandlungsteams dürften insgesamt eine positivere Stimmung vermittelt haben als einzelne negative Stimmen in den sozialen Netzwerken.

Einer, der gegen die Regierungsbeteiligung seiner Partei stimmen wird, ist der Innsbrucker Gemeinderat Dejan Lukovic: "Dass durch Türkis-Grün im Bund womöglich Grauslichkeiten verhindert wurden, die bei einer Neuauflage von Türkis-Blau gedroht hätten, ist kein Argument für diese Koalition." Zwar beinhalte das Regierungsprogramm bei Klimaschutz und Transparenz durchaus Positives, doch aus seiner Sicht überwiegen die Nachteile bei Sozialem, Menschenrechten, Asyl und Migration. Langfristig könne das zum Problem für die Partei werden, weil darunter die Glaubwürdigkeit leide, sagt Lukovic. Für seine Äußerungen auf Social Media zur Koalition wurde er auch innerparteilich teilweise heftig kritisiert. Das sieht Lukovic jedoch gelassen: "Das tut der Debattenkultur gut."

APA

Der Erweiterte Bundesvorstand traf sich bereits am Freitag im Salzburger Kongresshaus. Nicht nur die 29 stimmberechtigten Delegierten haben das Regierungsprogramm besprochen, sondern auch Nationalrats-, Bundesratsabgeordneten sowie EU-Parlamentarier waren zur Diskussion eingeladen. Rund 100 Gäste trafen deshalb bereits am Freitag in Salzburg ein. Am Abend gab Werner Kogler bekannt, dass der Erweiterte Bundesvorstand Koalitionspakt wie Regierungsteam einstimmig angenommen hat.

Am Samstag wandert das Personalpaket zusammen mit dem Regierungsprogramm nun in den Bundeskongress, der die Letztentscheidung trifft. Hier wird es energische Diskussionen geben, die jeweiligen Landessprecher der Grünen zeigten sich aber im Vorfeld zuversichtlich, dass es eine deutliche Mehrheit geben werde. DER STANDARD wird in einem Liveticker berichten.

Kogler mittel- bis tiefenentspannt

Parteichef Werner Kogler blickt dementsprechend "mittel- bis tiefenentspannt" auf den bevorstehenden Bundeskongress, wie er bei der Präsentation des Regierungsprogramms sagte. Er erwarte sich Diskussionen und keine 95- bis 99-prozentige Mehrheit, "damit wir keinen Nordkorea-Vorwurf haben. Aber es wird sich ausgehen."

Die 276 Delegierten des Bundeskongresses sind nicht nur die "grüne Basis". Etwa ein Drittel sind aufgrund ihrer politischen Funktion Delegierte. Stimmberechtigt sind alle Abgeordneten der Grünen im Europaparlament, im National- und Bundesrat sowie zu den Landtagen, Regierungsmitglieder in den Ländern, Mitglieder des Bundesvorstands und der Grünen Bildungswerkstatt.

Kritik zum strammen Zeitplan kam vorab auch von der Grünen Jugend Niederösterreich. Landessprecher Stephan Bartosch betonte: "Ich habe 43 Stunden Zeit, um 300 Seiten zu lesen. Das reicht mir nicht." Es konnte keine inhaltliche Debatte geführt werden. "Es gab nur Gerüchte und Dinge, die wir über die Medien gehört haben. Das ist keine gute Basis, auf derer man sich entscheiden möchte", sagt der Delegierte zum Bundeskongress. Eine "Ökologisierung des Mitte-rechts-Kurses" sei für ihn persönlich nicht tragbar. Ob er die Zustimmung am Samstag verweigern werde, könne er aber noch nicht sagen. Unsicher ist auch noch der Tiroler Landtagsabgeordnete Georg Kaltschmid. Er ist einer der schärfsten Kritiker der sogenannten Rückkehrzentren für abgelehnte Asylwerber und macht seine Zustimmung von den Antworten der Verhandler zu den Bereichen Asyl und Migration abhängig.

Die Salzburger sind da pragmatischer. Kompromisse mit dem starken, in Salzburg immer noch schwarzen Partner sind sie schließlich gewohnt. Das Kopftuchverbot und die Sicherungshaft seien symbolische Themen für die ÖVP, sagt der Salzburger Landesgeschäftsführer Simon Heilig-Hofbauer. Den Delegierten sei klar, dass man Kompromisse machen muss. Zu knapp sei der Bundeskongress nicht angesetzt. Die Regierungsverhandler seien wochenlang in Wien gesessen und hätten gearbeitet. "Da wird man von den Delegierten erwarten können, dass man in 36 Stunden das durchliest." Heilig-Hofbauer geht von einer "relativ breiten Zustimmung" nach längeren Diskussionen aus. Auch der Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn erwartet ein Ergebnis "satt über 50 Prozent". Gebi Mair, Klubobmann der Tiroler Grünen, betont, dass es "grundsätzlich großes Vertrauen" der grünen Basis in das Verhandlungsteam gebe.

Mahnende Anrufe bei Kritikern

Für den Wiener Gemeinderat Peter Kraus ist die Regierungsbeteiligung zwar ein "Wagnis", doch biete es auch große Chancen. "Es gibt Themen, die nicht zu verteidigen sind, wo sich die ÖVP durchgesetzt hat", sagt Kraus. Andere Themen, wie der Klimaschutz oder die Reformen im Bereich Wohnen, seien hingegen sehr positiv zu beurteilen.

Für die Delegierten aus den Landesorganisationen hat es bereits vor dem Bundeskongress Angebote gegeben, in denen die Verhandler das Regierungsprogramm vorstellen. Ab 10 Uhr stehen sie auch beim Bundeskongress für Fragen zur Verfügung. Ab 13 Uhr beginnt der öffentliche und offizielle Teil. Doch nicht nur Diskussionsrunden sollen das Ja zum Koalitionspakt eintüten – aus den Reihen der Grünen war zu vernehmen, dass die Parteispitze Kritiker und Kritikerinnen vor dem Bundeskongress mit mahnenden Anrufen auf Linie zu bringen versuchte.

Ein lauter Kritiker des Pakts ist auch der Ex-Grüne Peter Pilz. Er warnt die Delegierten im STANDARD-Interview: "Wenn ihr zustimmt, schnappt die Kurz-Falle zu. Der einzig intelligente Ausweg ist es, nachzuverhandeln und diesem Programm die blauen Giftzähne zu ziehen."

Eine Entscheidung des Bundeskongresses, einzelne strittige Punkte nachzuverhandeln, sei nicht vorgesehen, heißt es von den Grünen auf Nachfrage. Über das Regierungsteam und das -programm werde im Block abgestimmt. Es sei eine Ja-oder-Nein-Entscheidung über den Eintritt in die Regierung, sagt der Salzburger Landesgeschäftsführer. (Steffen Arora, Oona Kroisleitner, Stefanie Ruep, 4.1.2020)