Time-Slots, längere Öffnungszeiten, mehr Vermittlungsangebote: Belvedere-Direktorin Stella Rollig muss einen gewaltigen Besucheransturm stemmen. Hier neben einem Bild von Kaucyila Brooke.

Foto: Heribert Corn

Im Jahr 2012 wurde die Millionenmarke geknackt, 2019 waren es schon 1,7 Millionen Besucher: Das Wiener Belvedere profitiert vom immer weiter anschwellenden Touristenstrom. Direktorin Stella Rollig hat das Haus drei Jahre nach der Übernahme von Agnes Husslein in der heimischen Museumslandschaft gut positioniert. Dass die Ausstellungsprogramme der einzelnen Häuser aber immer ähnlicher werden, sorgt auch für Unmut.

STANDARD: Im März soll die Albertina modern im Künstlerhaus eröffnet werden. Braucht Wien einen weiteren Standort für Gegenwartskunst?

Rollig: Jeder Standort für Gegenwartskunst ist schön. Was Wien wirklich braucht, ist ein kulturpolitischer Masterplan, in dem festgeschrieben wird, wie sich die institutionelle Landschaft in Wien entwickeln soll.

STANDARD: Genau das ist im Bundesmuseen-Gesetz festgeschrieben. Wieso zeigen die Museen dennoch, was sie wollen?

Rollig: Das Bundesmuseen-Gesetz ist kein Masterplan. Es steht in den Statuten der einzelnen Häuser, was ihre Aufgaben sind. Wenn das nicht umgesetzt wird, dann gibt es ein Steuerungsvakuum. Es wäre produktiv, Bundes- und Ländereinrichtungen und die kulturpolitischen Entscheidungsträger an einen Tisch zu bringen.

STANDARD: Eine übergeordnete Ebene gibt es bereits, die Bundesmuseenkonferenz. Hier sitzen alle Museumsdirektoren der Bundesmuseen an einem Tisch. Sie soll laut Regierungsprogramm gesetzlich verankert werden.

Rollig: Die gesetzliche Verankerung entspricht einem Vorschlag der Bundesmuseen. Inhaltlicher Austausch und Absprache der Bundesmuseen untereinander sowie die Abstimmung mit dem Eigentümer werden damit institutionalisiert und verbindlich.

STANDARD: Warum klappt das derzeit nicht?

Rollig: Es hängt immer von einzelnen Protagonisten ab, davon, ob sie sich an Vorgaben halten. Wenn einer ausschert, dann sind den anderen die Hände gebunden.

STANDARD: Sie meinen Klaus Albrecht Schröder, den Direktor der Albertina. Hält er sich nicht an gemeinsame Entscheidungen?

Rollig: Wir haben untereinander keine Möglichkeiten, etwas durchzusetzen oder zu sanktionieren. Das würde sich auch niemand wünschen. Mit vielen Kollegen funktioniert die Absprache der Ausstellungspläne gut, mit anderen weniger.

STANDARD: Angekündigt wird im Regierungsprogramm die Schaffung einer Bundesmuseums-Holding. Sie standen dieser Idee zuletzt skeptisch gegenüber. Warum?

Rollig: Mir geht es um die Unabhängigkeit der einzelnen Häuser im wissenschaftlich-künstlerischen Bereich. Die ist nun durch das Regierungsprogramm garantiert. Eine Holding kann die Museen in wirtschaftlichen Bereichen durchaus stärken. Da gibt es einiges Potenzial, etwa in der im Programm angesprochenen Verwaltung, wenn dadurch die Museen künftig die gesamten Areale selbst bewirtschaften können.

STANDARD: Überschneidungen gibt es vor allem im Programm: Sie haben im Unteren Belvedere die Künstlerinnen Kiki Smith und Donna Huanca gezeigt, im kommenden Jahr ist Rebecca Warren zu sehen. Das sind Ausstellungen, die eher ins Mumok passen würden als ins Belvedere.

Rollig: Ich kann das sehr gut erklären. Im Unteren Belvedere arbeiten wir in einem barocken Ambiente. Hier zeigen wir Künstlerinnen und Künstler, die sich mit der Repräsentation von Körpern, ihrer politischen Aufladung beschäftigen. Genau das macht Kiki Smith. Wie Prinz Eugen sich im Belvedere bewegt hat, war von einem Regulatorium bestimmt, das jenem nicht unähnlich ist, das Donna Huanca ihren Modellen auferlegt. Bei Rebecca Warren zeigen wir den Bezug zu Fritz Wotruba, dessen Nachlass wir haben.

STANDARD: Die Albertina eröffnet die Albertina modern, Sie planen in Salzburg einen Ableger des Belvedere. Befinden wir uns in einem Kampf der Museumsgiganten?

Rollig: Wir sind alle in einer Konkurrenzsituation, das kann man nicht leugnen. Mit der Ausgliederung der Museen 1999 wurde die Situation geschaffen, dass die Bundesmuseen für ihren eigenen Erfolg jeweils individuell zuständig sind. Wir werden an diesen Erfolgen gemessen, an den Besucherzahlen, an Eigendeckungsgraden, Publikationen und unserer Forschungstätigkeit.

STANDARD: Ist das Belvedere in Salzburg der erste Baustein eines Belvedere-Franchise Systems?

Rollig: So ist es bislang nicht geplant. Es hat sich für das Belvedere Salzburg eine produktive Konstellation ergeben, und wir haben die Gunst der Stunde genutzt. Das Land Salzburg, das Salzburg-Museum und wir haben das gemeinsame Interesse, an einem erstklassigen Standort, in der Neuen Residenz, weitere Museumsangebote zu ermöglichen.

STANDARD: Wie ist der Status quo des Projekts?

Rollig: Wir sind von einer Unterkellerung des Hofes der Neuen Residenz und der Nutzung eines frei werdenden Flügels ausgegangen. Mittlerweile gibt es aber auch die Idee, im Hof ein neues Gebäude zu errichten. Wir müssen die beiden Optionen in allen Aspekten vergleichen. Der Zeitplan ist die erste Hälfte der 20er-Jahre. Das Belvedere kann und will sich an der Finanzierung der Standorterrichtung nicht beteiligen, unser Beitrag wird eine Auswahl aus der Sammlung sein.

STANDARD: Und diesen Mehraufwand würden Sie aus dem derzeitigen Budget stemmen?

Rollig: Ja. Wir wollen in Salzburg eine Dauerausstellung aus unserer Sammlung einrichten und eine jährlich kleinere Wechselausstellung. Das können wir leisten.

STANDARD: Sie sind in der glücklichen Lage, dass Sie mit 1,7 Millionen Besuchern wieder einen Rekord verbuchen konnten. Das klingt im ersten Moment toll. Leidet angesichts dieses Ansturms aber nicht die Kunst?

Rollig: Um das zu verhindern, haben wir ein Time-Slot-System eingeführt, wir haben die Öffnungszeiten und die Vermittlungsangebote ausgeweitet. Das funktioniert gut. Wir müssen immer auf zwei Ebenen denken, das Haus muss für Touristen funktionieren – im Oberen Belvedere haben wir 90 Prozent Touristen – und auch für den Besuch von Wienerinnen und Wienern. Im Moment haben wir die Situation im Griff.

STANDARD: Warum möchten Sie dann ein unterirdisches Besucherzentrum errichten?

Rollig: Wo es jetzt schon hakt, ist die Garderoben- und Toilettensituation, auch bei der Audio-Guide-Ausgabe. Vor allem müssen wir uns für weiteren Besucherzuwachs rüsten. Dabei geht es auch um Schutzmaßnahmen für das Weltkulturerbe Belvedere.

STANDARD: Die Kostenschätzung beläuft sich auf 30 Millionen Euro. Das Belvedere hat angeboten, davon zwei Drittel zu übernehmen, ein Drittel sollte der Bund zuschießen. Wo wollen Sie die 20 Millionen hernehmen?

Rollig: Wir sind in der glücklichen Lage, finanziell gut aufgestellt zu sein. Wir haben heute schon einen Eigendeckungsgrad von über 70 Prozent, das ist einzigartig. Wir haben zudem Rücklagen. Dazu kommt, dass es derzeit billige Kredite gibt. Und natürlich hoffen wir auch auf Sponsoring. 2023 feiern wir 300 Jahre Belvedere, bis zu diesem Zeitpunkt wünschen wir uns den Spatenstich. Im Frühjahr loben wir einen Architekturwettbewerb aus, wenn wir konkrete Pläne haben, wollen wir mit der Politik sprechen. (Stephan Hilpold, 4.1.2020)