An diesem Tisch wird Sebastian Kurz am Dienstag zusammen mit Alexander Van der Bellen sitzen.

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Wien – Nachdem am Samstagnachmittag 93 Prozent der Grünen beim Bundeskongress für eine Koalition mit der ÖVP gestimmt haben, steht der Angelobung der neuen Regierung formal nichts mehr im Weg. Bundespräsident Alexander Van der Bellen gab via Aussendung bekannt, dass die türkis-grünen Minister und Staatssekretäre am Dienstag um 11 Uhr ernannt und angelobt werden sollen.

Hintergründe zu den neuen Regierungsmitgliedern finden Sie hier.

Der künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verteidigte in einer Reihe von Interviews in den Sonntagszeitungen das Regierungsprogramm mit den Grünen. Er zeigte sich überzeugt, dass die umstrittene Sicherungshaft trotz Widerständen aus den Reihen der Grünen umgesetzt wird. Und auch dass sich die vereinbarten Mehrausgaben mit dem Nulldefizit vereinbaren lassen, ist für ihn klar.

Sicherungshaft "in aller Ruhe vorbereiten"

Die Sicherungshaft will Kurz "in aller Ruhe mit Experten vorbereiten". Er betont, dass es um die Schließung einer Gesetzeslücke gehe, wie das 15 andere EU-Staaten auch schon getan hätten. Und er ist überzeugt: "Das ist menschenrechts- und europarechtskonform und entspricht unseren Verfassungsgrundsätzen." Allerdings geht auf die Frage, ob eine Verfassungsänderung nötig sei, nicht direkt ein. Verfassungsexperten hatten zuletzt eine Verfassungsänderung dafür als nötig erachtet, mehrere Grüne Politiker hatten dazu betont, dass eine Verfassungsänderung nicht im Regierungsabkommen vereinbart sei.

Die Einwände der Opposition und von Wirtschaftsexperten, dass sich die vereinbarten Mehrausgaben nicht mit dem angepeilten Nulldefizit vereinbaren lassen, weist Kurz zurück. Das sei auch bei der letzten Regierung behauptet und dann doch erreicht worden. "Wir wissen genau, was wir uns vorgenommen haben, nämlich eine Senkung der Steuerlast und die Ökologisierung des Steuersystems, gleichzeitig Investitionen in den öffentlichen Verkehr und Umweltmaßnahmen. Wenn wir sorgsam mit Steuergeld umgehen und eine stabile Wirtschaft haben, ist das selbstverständlich ohne neue Schulden möglich."

Ökosteuer bis 2022 ausarbeiten

Zum Zeitplan hält Kurz fest, dass bei der Lohnsteuersenkung die unterste Tarifstufe 2021 sinkt und die beiden nächsten Stufen dann in einem zweiten Schritt folgen. Auch die Erhöhung des Familienbonus kommt mit der zweiten Stufe der Lohnsteuersenkung. Die Task Force zur Ökologisierung des Steuersystems soll "zügig" ihre Arbeit aufnehmen und bis 2022 abschließen.

Eine "Mitte-rechts-Politik" gibt es nach Ansicht von Kurz weiterhin im Bereich der Migration. Außerdem verweist er auf die Senkung der Steuerlast und eine "konservative Budgetpolitik". Auf der anderen Seite könnten die Grünen ihre Versprechen, wie das Transparenzpaket oder den Kampf gegen den Klimawandel einhalten.

Angebot von Hofer

Noch steht sie also nicht, die neue Bundesregierung, dennoch erhielt Kurz bereits ein Angebot der FPÖ: Parteichef Norbert Hofer sagte der Tageszeitung "Österreich", er würde zusammen mit der ÖVP im Asylbereich gegen die Grünen stimmen: "Es ist bemerkenswert, dass die Grünen im Falle einer Asylkrise – die gar nicht so unwahrscheinlich ist – im Nationalrat überstimmt werden sollen und die ÖVP mit uns Mehrheiten suchen will. Das heißt für mich: Im Krisenfall weiß man, es hat keinen Sinn mit den Grünen. Da soll dann die FPÖ einspringen."

Der FPÖ-Chef spricht von einer "zeitlichen Sollbruchstelle". Gemeint ist damit, dass im Falle eines verfrühten Koalitionsbruches zwar türkise Themen behandelt würden, grüne Kernanliegen – wie etwa die ökosoziale Steuerreform – auf der Strecke bleiben würden.

FPÖ fordert von Van der Bellen Nichtangelobung von Zadić

FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker appellierte an Bundespräsident Van der Bellen, die von den Grünen als Justizministerin vorgeschlagene Alma Zadić nicht anzugeloben. Hafenecker erinnerte daran, dass Zadić erstinstanzlich verurteilt sei. Auf der anderen Seite habe der Bundespräsident den FPÖ-Politiker Herbert Kickl ausgeschlossen. Van der Bellen solle nicht mit zweierlei Maß messen.

"Der Bundespräsident wäre gut beraten, in dieser Frage nochmals in sich zu gehen, eine unabhängige und überparteiliche Vorgehensweise zu gewährleisten und Zadić nicht anzugeloben", sagte Hafenecker am Sonntag in einer Aussendung. "Ich kann die Sympathien von Van der Bellen für seine grünen Parteifreunde menschlich nachvollziehen, aber bei einer Entscheidung mit einer solchen Tragweite für die Republik muss die persönliche Einstellung hintangehalten und nach streng objektiven Kriterien entschieden werden", so Hafenecker.

Üble Nachrede

Der FPÖ-Generalsekretär erinnerte in daran, dass sich Zadić aktuell selbst in einem rechtlichen Verfahren befinde und im November wegen übler Nachrede erstinstanzlich zu 700 Euro Geldstrafe verurteilt worden sei. Das Berufungsverfahren sei zwar offen, jedoch sei ihr einstiger Parteikollege Karl Öllinger in derselben Angelegenheit bereits verurteilt worden. Auf der einen Seite habe der Bundespräsident eine Angelobung des FPÖ-Politikers Herbert Kickl für jedes Regierungsamt ausgeschlossen, "obwohl sich dieser nichts zuschulden kommen hat lassen und völlig unbescholten ist, auf der anderen Seite will er eine in erster Instanz verurteilte grüne Politikerin als Justizministerin angeloben."

Zadić war vom Wiener Straflandesgericht wegen übler Nachrede zu einer Zahlung von 700 Euro verurteilt worden. Sie hat dagegen Berufung angemeldet. Sie hatte auf Twitter Fotos eines Burschenschafters geteilt, der Donnerstagsdemonstranten vom Fenster aus den Hitlergruß gezeigt haben soll. Sie kommentierte das Bild mit "Keine Toleranz für Neonazis, Faschisten und Rassisten". In sozialen Netzwerden war Zadić zuletzt wegen ihrer bosnischen Herkunft und ihres muslimischen Glaubens zum Teil heftigen Hasspostings ausgesetzt.

Grüne: Zadić ohne religiöses Bekenntnis

Die Grünen stellten am Sonntag klar, dass Zadić nicht muslimischen Glaubens, sondern ohne religiöses Bekenntnis sei. Außerdem wurde betont, dass Zadić in erster Instanz nicht zu einer Geldstrafe, sondern zu einer Entschädigungszahlung von 700 Euro verurteilt worden sei. Es habe sich nicht um ein Privatanklageverfahren, sondern um ein Entschädigungsverfahren nach dem Mediengesetz gehandelt. Zudem wurde klargestellt, dass ebenso wie Zadić auch Karl Öllinger Berufung angemeldet habe und damit ebenfalls nicht rechtskräftig verurteilt sei.

Mediale Aufmerksamkeit

Die künftige Regierung sorgt international jedenfalls für viel Aufmerksamkeit. Die "Süddeutsche Zeitung" nannte die Koalition ein "Versuchslabor". Die "New York Times" kommentierte, die Koalition würde Kurz' Fähigkeiten als "politisches Chamäleon" verdeutlichen. (red, APA, 5.1.2020)