US-Soldaten am Stadtrand von Fallujah, April 2004.

Das Verhältnis zwischen Iraks Premier Adel Abdel Mahdi und US-Präsident Donald Trump war schon vor dem Angriff der USA auf Irans General Ghassem Soleimani in Bagdad ein distanziertes.

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Donald Trump und die vielbeschworene Souveränität des Irak: Die Drohungen des US-Präsidenten, den Irak mit "noch nie gesehenen" Sanktionen zu belegen, nachdem das Parlament in Bagdad am Sonntag das Ende der ausländischen Truppenpräsenz gefordert hatte, riefen auch bei den EU-Partnern der USA Kopfschütteln hervor. Der deutsche Außenminister Heiko Maas etwa nannte sie höflich, aber eindeutig "nicht sehr hilfreich".

ORF

Und dem, was Trump damit kommunizierte – dass er die derzeitigen etwa 5.000 US-Soldaten unbedingt im Irak belassen wollte –, widersprach am Montag unerwartet ein Brief des Kommandeurs des Anti-IS-Einsatzes an die irakische Regierung: Demnach werde der Abzug, dem Wunsch des Parlaments entsprechend, sofort eingeleitet werden, Truppen würden umgruppiert. Details und Zeitrahmen wurden jedoch nicht genannt. Im Pentagon wiederum wollte man von einem sofortigen Rückzug der US-Kampftruppen aus dem Irak nichts wissen, US-Verteidigungsminister Mark Esper dementierte. Generalstabschef Mark Milley bezeichnete den Brief später als Entwurf, der versehentlich publik geworden sei.

Deutsche Bundeswehrsoldaten ausgeflogen

Die deutsche Bundeswehr hat die im Zentralirak eingesetzten Soldaten wegen der Spannungen in dem Land ausgeflogen. Die zuletzt 32 Männer und Frauen im Militärkomplex Taji seien am Dienstag mit einem Transportflugzeug A400M auf die Luftwaffenbasis Al-Asrak in Jordanien gebracht worden, teilte die Bundeswehr mit.

Zudem wurden bereits am Vortag drei deutsche Soldaten zusammen mit Offizieren anderer Nationen aus dem Hauptquartier in Bagdad nach Kuwait geflogen. Ein dort genutztes Ersatz-Hauptquartier ("rear headquarters") für den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) wird damit wieder aufgestockt und verstärkt zur Führung des Einsatzes genutzt. Im nordirakischen Kurdengebiet waren am Vortag noch 117 Soldaten im Einsatz.

Resolution nicht bindend

Die Resolution des irakischen Parlaments von Sonntag war nicht bindend. Beschlossen wurde sie mit den Stimmen von 170 Parlamentariern, nur 172 – fast nur schiitische – Abgeordnete waren anwesend, von 329 insgesamt. Aber die Entscheidung, ausländische Truppen im Irak operieren zu lassen, liegt eben nicht beim Parlament, sondern bei der Regierung.

Diese hatte 2014, als der "Islamische Staat" (IS) große Teile des irakischen Territoriums, unter anderem die zweitgrößte Stadt des Landes, Mossul, überrannte, um die Hilfe der US-geführten Anti-IS-Koalition angesucht und war ihr später auch selbst beigetreten. Auch ein irakischer Austritt aus dieser Koalition würde nicht deren automatischen Verweis aus dem Irak bedeuten.

Die Allianz von 2014 und ...

Der Anti-IS-Allianz gehören auch andere Nationen an. Aber die Resolution der schiitischen Parlamentarier richtete sich nach dem US-Angriff auf den iranischen General Ghassem Soleimani, den irakischen Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis und andere auf dem Flughafen Bagdad primär gegen die US-Truppen. Premier Adel Abdel Mahdi, der bisher als Puffer zwischen antiamerikanischen Kräften im Irak und den USA fungiert hatte, schlug im Parlament selbst einen harten Ton an, er selbst würde einen sofortigen Abzug einem graduellen vorziehen, sagte er. Diesen fordert aber die Resolution nicht, sondern vielmehr einen Zeitplan. Ob der Premier, wie es rechtlich nötig ist, zu dem Beschluss, die Anti-IS-Koalition des Landes zu verweisen, überhaupt in der Lage wäre, ist fraglich. Aus diesem Dilemma würde er von einer US-Entscheidung zum Abzug erlöst.

Abdel Mahdi führt nach seinem Rücktritt angesichts der Protestwelle im Irak eine Übergangsregierung, aber eigentlich ist auch deren Zeit abgelaufen. Einen neuen designierten Regierungschef gibt es nicht. Bereits Anfang Dezember hatte der Premier Zweifel geäußert, ob er in seiner Situation überhaupt noch ein Budget vorlegen könne. Die Entscheidung, die Anti-IS-Koalition zu beenden, ist wohl noch schwerwiegender: Der IS ist der eindeutige Profiteur der neuen Turbulenzen, auch in Syrien wurde ja der US-kurdisch-geführte Kampf durch den türkischen Einmarsch unterbrochen.

Abdel Mahdi steht nicht nur unter dem Druck des benachbarten Iran: Der US-Drohnenschlag war tatsächlich eine klare Attacke auf die irakische Souveränität durch die Verbündeten. Da ist einmal der Angriff auf einen iranischen Offiziellen – Soleimani –, der – wenn stimmt, was Abdel Mahdi im Parlament sagte – auf Regierungseinladung im Irak war. Dazu kommt, dass die schiitischen Milizen, deren Vizechef Abu Mahdi al-Muhandis ebenfalls getötet wurde, zumindest nominell Teil der irakischen Armee sind. Die USA haben also auch einen irakischen Funktionär getötet – allerdings einen, der in Kuwait wegen Terrorismus zum Tode verurteilt war.

... die Abkommen von 2008

Keine Rede war im Parlament am Sonntag jedoch davon, die US-irakische strategische Zusammenarbeit zu beenden, die im Strategic Framework Agreement (SFA) von 2008 festgelegt ist. Dieses SFA "für eine Beziehung in Freundschaft und Kooperation" hatte den USA erlaubt, Militärberater und -ausbildner auch nach Jahresende 2011, als alle US-Kampftruppen abzogen, im Irak zu halten.

So könnte es auch jetzt wieder werden, wenn die US-Truppen, die im Rahmen der Anti-IS-Koalition im Irak sind, das Land wirklich verlassen sollten.

Der Abzug der Kampftruppen 2011 erfolgte gemäß dem ebenfalls noch 2008 von der Regierung George W. Bush verhandelten "Status of Forces Agreement" (Sofa). Bush war mit Verbündeten im März 2003 ohne Uno-Mandat im Irak einmarschiert. Die US-Truppenpräsenz wurde jedoch später durch Uno-Resolutionen und danach durch ein bilaterales Abkommen zwischen den USA und dem Irak legitimiert.

Eine Verlängerung des Sofa 2011 scheiterte daran, dass die Iraker die geforderten Immunitäten für die US-Truppen nicht mehr akzeptieren wollten. Präsident Barack Obama brüstete sich dennoch damit, dass er die Truppen aus dem Irak heimgeholt hatte. Dass eine US-Präsenz im Irak als US-strategische Notwendigkeit wahrgenommen wird, zeigte das Wüten Trumps – der auch erwähnte, dass die USA viel in ihre Militärbasen investiert hätten, die wohl als permanent geplant waren.

Internationale Krisendiplomatie

Der Irak appellierte indes an den Uno-Sicherheitsrat, die Tötung von Soleimani und Muhandis zu verurteilen. Der US-Angriff auf irakischem Staatsgebiet stelle eine "Aggression gegen das Volk und die Regierung des Irak" dar, schrieb UN-Botschafter Mohammed Hussein Bahr Aluloom. Er bezeichnete in einem Brief an das mächtigste Uno-Gremium den Angriff auch als "eklatanten Verstoß" gegen die Vereinbarungen zur US-Truppenpräsenz im Irak sowie als "gefährliche Eskalation", die einen "verheerenden Krieg im Irak, in der Region und der Welt" auslösen könnte. Dass der Rat der Aufforderung nachkommt und den US-Angriff verurteilt, ist allerdings de facto ausgeschlossen. Die USA besitzen in dem Gremium ein Vetorecht und können damit alle inhaltlichen Beschlüsse blockieren.

Zugleich haben die USA dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif Regierungskreisen zufolge ein Visum für eine Anreise zu einer Sitzung des Sicherheitsrats am Donnerstag in New York verweigert. Die konkreten Hintergründen erläuterte der US-Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte, am Montag nicht.

Die internationale Krisendiplomatie zur Entschärfung der Lage läuft auf Hochtouren. Die EU-Außenminister planen für Freitag ein Krisentreffen in Brüssel. UN-Generalsekretär António Guterres rief erneut dringend zur Deeskalation auf. Die Welt sei in Aufruhr, sagte er. Mehr und mehr Länder würden "nie da gewesene Entscheidungen mit unvorhersagbaren Folgen und der tiefgreifenden Gefahr von Fehlkalkulationen" treffen. (Gudrun Harrer, APA, 6.1.2020)