Gelernt haben sie zwar etwas anderes – sie ist Sozialpädagogin, er Künstler –, aber als Kinder haben sie viel Zeit auf dem Land verbracht. Der Wunsch, aus der Stadt in die Berge zu ziehen und die Lebensmittel des täglichen Bedarfs selbst herzustellen, ist bei Judith Hahn, 24, und ihrem Freund Sebastian Kraner, 29, groß. Durch die Klimakrise wurde er verstärkt. Deshalb ist das Paar aus Wien auf der Suche nach einem Bauernhof, wo es ein Stück Boden mit Permakultur bewirtschaften will. "Wenn man aber keinen Hof geerbt hat, ist es nicht so einfach, einen zu finden", sagt Kraner. Vor einigen Monaten haben die beiden deshalb einen Steckbrief auf einer Onlineplattform veröffentlicht.

"Perspektive Landwirtschaft" orientiert sich an Methoden von Dating-Apps: Das Netzwerk vermittelt zukünftige Bauern, die auf Hofsuche sind (wie Hahn und Kraner), an Landwirte, die ihren Hof an eine jüngere Generation übergeben wollen. Beide Nutzergruppen können online ein Profil anlegen oder zu Events kommen, bei denen Landwirte in spe mit Bauern beim Speeddating aufeinandertreffen. Findet man sich, profitieren im Idealfall beide Parteien: Junge Menschen bringen frische Ideen in die Landwirtschaft und unterstützen die Älteren, erhalten von diesen wiederum Know-how und übernehmen schließlich den Betrieb, wenn die Bauern sonst keine Nachfolge haben. Gleichzeitig wird mit der Arbeit der Initiative Kulturlandschaft bewahrt.

Sebastian Kraner und Judith Hahn suchen einen Bauernhof, den sie mit Permakultur bewirtschaften wollen.
Foto: Sebastian Kraner

Digitale Schere zwischen Alt- und Jungbauern

Wer im Zug auf der Westbahnstrecke unterwegs ist und aus dem Fenster schaut, kann sie nicht übersehen: die alten, teils verfallenen Vierkanter. "Seit 1995 mussten rund 40 Prozent der heimischen Höfe ihren Betrieb aufgeben", sagt Manuel Bornbaum von Perspektive Landwirtschaft. Täglich seien es vier bis fünf Betriebe, die aufgelöst werden. Das hat zwar viele Gründe, ein wesentlicher aber ist, dass niemand aus der Familie den Hof weiterführen möchte. Manchmal gibt es gar keine Kinder, die den Hof übernehmen könnten.

So ist es auch bei der Imkerin Cordula Scherngell, die ihren Hof in der Steiermark seit über 20 Jahren betreibt. "Ich will den Platz, den ich mir geschaffen habe, auch anderen zur Verfügung stellen", sagt sie. "Bei der Onlineplattform Perspektive Landwirtschaft geht es darum, dass Neues auf schon Bestehendem aufbauen kann, gleichzeitig wird etwas erhalten. Dieser Grundgedanke gefällt mir." Jetzt sucht die alleinstehende Bäuerin über die Plattform nach Menschen, die längerfristig mit ihr gemeinsam arbeiten und sich mit ihren jeweiligen Interessen einbringen, damit ihr Hof weiter bestehen kann.

"Fast die Hälfte der Höfe mit Betriebsleitern über 50 Jahren haben aktuell die Nachfolge nicht geklärt", so Initiator Bornbaum, der selbst in der Landwirtschaft arbeitet. "Das wollen wir ändern."

Sandra, Magdalena und Kasija (von links) von der Perspektive Landwirtschaft packen auch selbst an.
Foto: Magdalena Aigner

Gegründet wurde die Plattform von Studierenden der Universität für Bodenkultur Wien (Boku). Sie erkannten das Bedürfnis junger Quereinsteiger, die selbst keinen Hof geerbt hatten, und gründeten die Plattform. An Interessenten mangelt es nicht – über 200 Hofsuchende haben bereits eine Anzeige verfasst. Das Problem liegt viel eher in der Kommunikation. Hier setzt das Netzwerk an: "Junge Menschen haben definitiv Interesse, in die Landwirtschaft zu gehen. Viele ältere Landwirte sind aber hauptsächlich offline unterwegs und haben schlicht keinen Zugang zu möglichen Hofübernehmern außerhalb der Familie", so Margit Fischer, die ebenfalls Teil der Initiative ist. "Mit einigen Landwirten schicken wir die Dokumente sogar mit der Post hin und her. Dass unsere zwei Zielgruppen so unterschiedlich sind, macht es spannend. Wir übernehmen da die Rolle von Mediatoren."

Bei einer Hofübergabe gehe es vor allem um ein emotionales und nicht um ein materielles Interesse. Es gilt nicht nur die Gebäude, sondern den bäuerlichen Betrieb selbst zu erhalten. "Die Bodenpreise sind sehr hoch, die Einkommen in der Landwirtschaft aber niedrig, darum funktioniert das am normalen Markt nicht. Man kann sich nicht einfach einen Hof auf Willhaben kaufen und denken, dass man das ausgegebene Geld einfach wieder erwirtschaftet", so Fischer (Pia Gärtner, 12.1.2020)