Marc Paczian hat dieses Jahr beruflich zweimal telefoniert. Mit seinen Kollegen und Kunden bespricht er sich per Videocall. 70 E-Mails erhält er laut eigenen Angaben pro Woche – bei seinem vorigen Arbeitgeber waren es bis zu 500. Paczian ist Solutions Architect beim Smart-Workspace-Anbieter Dropbox in der DACH-Region. Als solcher berät er Unternehmen zu Arbeitsproduktivität und begleitet dort den Einsatz neuer Tools.

STANDARD: Wann ist man eigentlich produktiv?

Paczian: Das hängt viel damit zusammen, wie wohl man sich fühlt mit dem, was man gerade tut, und wie man seine Arbeit erledigen kann. Wenn das gegeben ist, kommt man in einen Flow-Zustand, in dem man Zeit und Raum vergisst und sich voll auf seine Arbeit fokussieren kann.

STANDARD: Welche Ablenkungen sind dafür besonders hinderlich?

Paczian: Ich glaube, die größte Ablenkung ist der Wechsel zwischen unterschiedlichen Tools. Wir arbeiten täglich mit so vielen Programmen. Zum Beispiel erstellt man eine Präsentation, öffnet das Mail-Programm und schickt sie an die Kollegen, die es betrifft. Jeder muss das lesen, ins Dokument gehen und kommentieren. Wenn die antworten, ist man womöglich schon bei einer ganz anderen Aufgabe. Durch diese Wechsel wird es unfassbar schwierig, sich zu konzentrieren. Diverse Studien zeigen auch: Wenn man einmal aus einer Aufgabe draußen ist, weil man eine Benachrichtigung auf Slack oder eine E-Mail erhält, dauert es mindestens zehn Minuten, bis man sich wieder hineindenkt.

Marc Paczian ist Solutions-Architect bei Dropbox und beschäftigt sich mit Arbeitsproduktivität.
Foto: Dropbox

STANDARD: Die E-Mail wird oft als großes Übel gesehen. Stimmen Sie zu?

Paczian: Ja. Wenn wir es schaffen würden, vollständig darauf zu verzichten, würde die Welt um einiges besser. Die Frage ist, wie man es schafft, dass E-Mails gar nicht erst verschickt werden. Dropbox will auch das E-Mail-Volumen verringern, Ablenkungen minimieren und den Flow ermöglichen.

STANDARD: Wie?

Paczian: Ich bin überzeugt, dass es hingegen total okay ist, wenn man im jeweiligen Arbeitskontext Nachrichten bekommt: also wenn man an etwas arbeitet und in Echtzeit direkt neben dem Dokument ein Kommentar einer Kollegin zum Thema aufscheint. Deshalb haben wir "Dropbox Spaces" geschaffen. Das ist eine Art digitaler Schreibtisch, eine sogenannte Vordergrund-App, wo man nicht nur Dateien hochladen und mit anderen teilen kann, sondern auch viele andere Programme von Google, Microsoft oder Adobe, aber auch der Messenger Slack und das Videokonferenz-Tool Zoom an einem Ort integriert sind. So muss man nicht mehr hin- und herwechseln.

STANDARD: Die angesprochenen Anbieter haben selbst ähnliche Lösungen, um in der Cloud zu arbeiten. Wie grenzen Sie sich ab?

Paczian: Das machen wir gar nicht. Für uns ist viel wichtiger, die Tools, die bei der Arbeit genutzt werden, zusammenzubringen. Es gibt viele Dateien, die am Laptop erzeugt werden, und gleichzeitig gibt es immer mehr Firmen, die in der Cloud arbeiten. Oft wissen die Mitarbeiter gar nicht mehr, welche Dateien es schon gibt. In Spaces sieht man alle Inhalte, ob lokal oder Cloud, auf einer Plattform und kann sie mit Kollegen teilen. Das ist ein Riesenvorteil.

STANDARD: Die Benachrichtigungen bleiben ja trotzdem bestehen – und die triggern uns laut Studien besonders, zum Smartphone zu greifen oder die Mail zu öffnen ...

Paczian: Natürlich gibt es die Trigger über die Benachrichtigungen. Die kann man auch nicht per Tool ausschalten. Ein technischer Fortschritt benötigt auch immer einen kulturellen Wandel. Ein Beispiel: Slack ist ein Messenger, wo man schnell kommuniziert und rasch eine Antwort erwartet. Bei uns in der Firma gibt es etwa die Möglichkeit, Slack oder E-Mails im individuellen Rhythmus zu lesen. Wir müssen weg von dem Gedanken, alles sofort machen zu müssen. Und das kann man nur organisatorisch verändern, nicht technisch.

STANDARD: Wie macht man das?

Paczian: Mit einem höheren Maß an Vertrauen. Wenn man weiß, dass keiner meckert, wenn man nicht binnen zehn Sekunden antwortet, kann man in der Geschwindigkeit kommunizieren, wie es einem in der Arbeit am besten unterstützt. Der Fokus auf den Menschen ist wichtig, sodass die Mitarbeiter nicht nur als Effizienzsteigerung gesehen werden. Das muss vorgelebt werden – besonders von ganz oben – und sich durch die ganze Firma ziehen.

STANDARD: Wo sollten die Unternehmen nachbessern?

Paczian: Viele müssen erst erkennen, dass hier ein Umdenken notwendig ist. Firmen, die sich etwa gerade in einem digitalen Transformationsprozess befinden, nehmen das oft als Anlass, auch die Kommunikationskultur anzupassen. Für manche ist da ein erster Schritt, einander zu duzen. Das ist ein Weg, um enger zusammenzuarbeiten, es baut Hierarchie ab.

STANDARD: Ergeben sich nicht auch Herausforderungen, wenn ältere mit jüngeren Kollegen über Tools wie Dropbox Spaces zusammenarbeiten?

Paczian: Absolut. Das ist eine Herausforderung, die ich bei unseren Kunden sehe. Wichtig ist, wie man ihnen das Tool näherbringt. Mitarbeiter 50 plus fragen meist, was ihnen das überhaupt bringt. Sie sehen vielleicht gar nicht, wie mühsam sie vorher gearbeitet haben. Zum Beispiel hat ein Kunde Bedienungsanleitungen auf einem USB-Stick per Post zum Endkunden in der Industrie geschickt. Das hat mindestens einen Tag gedauert, weil die Dateien zu groß waren für eine E-Mail. Mit modernen Lösungen ist das in Sekunden erledigt. Es geht nicht ums Alter, sondern darum, die Arbeitsweise des Einzelnen zu verbessern. (Interview: Selina Thaler, 8.1.2019)