Ob wir, fragte der Mann im Lift, unsere Neujahrsvorsätze vorverlegt hätten. Schließlich, setzte der Liftmann im Bademantel später – im Liegen-Land – fort, sei es doch einigermaßen ungewöhnlich, dass jemand, der sich "auf Wellness" befinde, so aktiv sei.

Er meinte das ehrlich, freundlich und anerkennend. Und er hatte recht. Denn zwischen all den weißen Frotteebademänteln nahmen wir uns ja tatsächlich seltsam aus. Aber die Freaks sind natürlich immer nur die anderen.

Foto: thomas rottenberg

Klar tanzten auch wir dann irgendwann ganz in Weiß am Pool an. Später. Nicht nur weil sich das so gehört, sondern auch weil das Abhängen beim Nichtstun schon der Grund ist, "auf Wellness" zu gehen. Oder sagt man da "zu fahren"? Egal.

Auf alle Fälle waren wir da, um genau das zu tun, was auch die anderen Leute am, rund um und beim (aber eher selten im) Pool taten: ausspannen. Das Jahr ausklingen und vielleicht noch ein bisserl Revue passieren lassen. Zur Ruhe kommen. Und die Batterien ein bisserl aufladen.

Foto: thomas rottenberg

Bloß: Was das mit Neujahrsvorsätzen zu tun haben soll, war uns nicht ganz klar. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick – obwohl das vermutlich mit unserem Freak-Status in den Augen des Bademantelmannes zusammenhing.

Denn dass wir im Ehrenhausener Loisium (auf eigene Vollzahlerrechnung, das nur nebenbei) bei eher mäßigem Wetter nicht ausschließlich dem Liegentapezieren und Warmwasserdümpeln frönten, fiel eben auf. Nicht nur ihm. Was für uns das absolute Bewegungsminimalprogramm war, wirkte aus der Bademantelliegeperspektive wie ein Bootcamp.

Foto: thomas rottenberg

"Ihr macht in zwei Tagen so viel Sport wie ich und meine Frau zusammen in einem Monat", meinte der Bademantelmann irgendwann an der Wellnessbar. Dazu setzte er umgehend den entschuldigend-schuldbewussten Blick eines Schülers auf, der gesteht, die Hausaufgaben nicht gemacht zu haben.

Ich wusste, was als Nächstes kommen würde – und es kam: Zuerst die Selbstbezichtigung. "Ich weiß eh, ich sollte mehr tun." Dann das kleine Versprechen. "Aber am Nachmittag geh ich ins Gym. Wollte ich eh gestern schon." Und jetzt bitte der Vorsatz: "Und nächstes Jahr …" Bingo. Kam eventuell auch noch eine kleine Ausrede? Natürlich: "Laufen wäre fein. Aber bei dem Wetter?" Jetzt fehlte noch die – freundliche – Abgrenzung: "Ihr seids halt ein bissi extrem, gell?" Deswegen wohl die Ansage mit den vorgezogenen Neujahrsvorsätzen.

Foto: thomas rottenberg

Neujahrsvorsätze sind toll. Zumindest für die Fitnessindustrie. Es gibt sicher Studien und genaue Zahlen über Neuinskribenten in Fitnesscentern im Jänner und Absatzkurven bei Fitnessgeräten im Fach- und Onlinehandel.

Aber im Grunde genügt die Privatempirie: etwa die Häufigkeit, in der im Jänner in meinem Fitti neue Trimm-Kandidatinnen und Kandidaten durchs Haus geführt werden, um dann mit dem Manager in seinem Büro zu verschwinden. Oder die Zunahme der Yogamatten in Easy-Flow-Stunden nach den Heiligen Drei Königen.

Foto: thomas rottenberg

Von Freunden und Bekannten in der Branche weiß ich, dass Fitnessbetriebe diese Menschen dringend brauchen: Jahresvertrag-Karteileichen sind ein Stück des Fundamentes der Kalkulation. Würden diese Leute nämlich alle tatsächlich so oft und regelmäßig Sport machen kommen, wie sie es bei der Anmeldung angeben, würde es in den meisten Trimmbetrieben richtig eng.

Beim Laufen ist das – abgesehen vom Platzproblem – ganz ähnlich: Die Zahl der Leserzuschriften zum Thema "ist der XY ein guter Laufschuh? Und brauche ich als Anfänger eine 600-€- oder doch eine 700-€-Uhr?" ist zu Jahresbeginn signifikant höher als sonst.

Foto: thomas rottenberg

Wobei es da eben die (vermeintliche) Wettereinschränkung gibt. Die Frage, die man dann auch im Fitnesscenter von Leuten hört, die glauben, sich dafür rechtfertigen zu müssen, auf dem Laufband unterwegs zu sein. Hier kam sie eben vom Bademantelmann im Loisium: "Ich würde echt gern draußen laufen, aber im Winter kann einer wie ich das doch nicht."

Doch, das kannst du. Du musst halt wollen. "Aber da verkühle ich mich doch." Nein, nicht wenn du in Bewegung bleibst und ein paar Grundregeln beachtest, die im Grunde eh immer gelten. "Aber ist es falsch, drinnen, am Laufband?" Nein. Dagegen ist nix einzuwenden. Wenn es dir Spaß macht, ist es super. Für dich. Aber für mich wäre es halt nix. Ich will an die frische Luft. "Du bist halt extrem." – Bin ich das? Weil: Freaks sind immer die anderen.

Foto: thomas rottenberg

Aber bleiben wir kurz bei der frischen Luft. Ehrenhausen, das Loisium, ist da ein gutes Beispiel. Schließlich sind die Gegend um Gamlitz, die Südsteiermark und die Weinstraße nicht ohne Grund für das Malerische und Romantische der Landschaft, die rollenden Hügel, die weiten Blicke und die Schlösser und Gutshöfe an jedem Eck berühmt.

Doch egal, ob es um schöne Auto- und Motorradmomente, Radtouren, Wanderungen, Gastro-und-Weinerlebnisse oder ums Laufen (nicht ohne Grund ist das Ziel des Welschlaufes in Ehrenhausen) geht: Die dazu gezeigten Bilder und Impressionen sind immer sommerlich. Oder zumindest frühlingshaft.

Auf schneelose trist-regnerische Spätdezemberbilder verzichtet die Tourismuswerbung.

Foto: thomas rottenberg

Nicht, dass das nicht nachvollziehbar wäre: Blühende Landschaften sieht jeder lieber als Gatsch und Regen. Nur heißt das halt noch lange nicht, dass man da draußen nix tun kann. Dass die Blicke ins und übers Land weniger Tiefe und Perspektive zu bieten hätten.

Dass die sanft rollenden Hügelketten nicht mehr rollen. Oder pittoreske Schlösser und Burgen sich in Speichersilos verwandeln. Oder dass die Strecken – egal ob auf Waldwegen, Forststraßen oder entlang kaum befahrener Landstraßen – nicht mehr belaufbar wären. Ganz und gar nicht: Nur weil etwas so nicht im Prospekt oder auf der Homepage zu finden ist, heißt das ja noch lange nicht, dass es dieses Etwas nicht dennoch gibt. Oder dass es nicht auch so wunderschön sein kann.

Foto: thomas rottenberg

Manchmal hilft das vollkommen zu Unrecht als "schlecht" diffamierte Trübwetter dann sogar, den Genuss zu steigern. Zum einen, weil da einfach weniger los ist: Mittig auf einer Landstraße zu laufen ist auch bei weit einsehbaren Strecken nur begrenzt zu empfehlen – in der Hochsaison, wenn neben den paar Einheimischen auch Touristen unterwegs sind, würde ich aber in jedem Fall am linken Straßenrand im Gänsemarsch laufen.

Außerdem laufe ich in kühler Luft ohne herunterprügelnde Sonne lieber und vor allem besser als im Hochsommer.

Foto: thomas rottenberg

Und das, was eine Region von anderen unterscheidet, ist ja sowieso, meist, von der Jahreszeit unabhängig: Auch wenn das Betreten des hölzernen Wasser-Aussichtsturmes von Weinleiten bei schlechtem Wetter (Definitionssache!) offiziell (aus Versicherungsgründen) natürlich verboten ist, ist die Treppe auf die Aussichtsplattform des weithin sichtbaren Turmes doch ganzjährig offen – und nicht nur ein lohnendes Spazier-, sondern auch Laufziel.

Foto: ©Carina Pusch

Und oben überrascht der Turm gleich mehrfach. Nicht nur wegen seiner phänomenalen Fernsicht ("He, da hinten liegt ja oben sogar ein bisserl Schnee auf den Bergen." – "Mhm. Aber wirklich nur oben – und das sind schon echte Berge. Wollen wir darüber diskutieren, ob das immer noch nur ein bisserl Wetter ist?") oder weil da oben statt auf Orte und Städte anderswo eben auf die Wasserspeicher der Region hingewiesen wird.

Und wegen der Glasplatte im Boden: Dass da unten jemand ein Herz in den Schotter gezeichnet hat, freut nur Menschen ohne Höhenangst.

Foto: thomas rottenberg

Außerdem sieht man vom Turm aus auch den Motorikpark Gamlitz. Und der ist nicht nur – laut seinen Betreibern – der größte Europas, sondern auch und gerade bei weniger gutem Wetter etwas für Erwachsene. Schlicht und einfach weil wir uns bei schönem Wetter vor den Kindern bis auf die Knochen blamieren würden. Weil Kinder Balance- und Koordinationsübungen, an denen Erwachsene oft scheitern und verzweifeln, meist mit traumwandlerischer Sicherheit und echtem Spaß an der Übung an sich bewältigen – während unsereiner hier oft die eigene Steifheit, eigene Unsicherheit und verlorenes Balance- und Körpergefühl vor Augen geführt bekommt: Die Stunde, die wir hier verbrachten, war vermutlich fordernder als so mancher lockere Geländelauf – obwohl das doch "nur" ein Spielplatz ist.

Foto: thomas rottenberg

Der Bademantelmann war beeindruckt: Er hätte, meinte er, gar nicht gewusst, dass die unmittelbare Umgebung hier so viele und so unterschiedliche Impressionen und Erlebnisse parat halte. "Und das geht echt ohne Auto? Auch bei so einem Wetter?"

Die nächste Frage kam als Feststellung: Dass wir trotzdem noch genügend Zeit zum Nixtun, Lesen, Schlafen und Faulsein hatten, sei "bewundernswert. Wahnsinn, was sich alles ausgeht."

Foto: thomas rottenberg

Wir lagen Liege an Liege. Er sah mich schuldbewusst an. "Ich habe es auch heute wieder nicht ins Gym geschafft. Und jetzt bin ich zu müde." Er seufzte. Ich sagte, dass das doch egal sei – solange er mit seiner Art, sein Leben zu leben und zu genießen, zufrieden sei. Aber das kam nicht bei ihm an. Das tut es nie.

Ich wusste, was jetzt kommen würde: "In zwei Tagen ist Neujahr. Ab dann wird alles anders. Diesmal wirklich."

Ich glaube, er glaubte seine Aussage sogar. Und wünsche ihm viel Glück. (Thomas Rottenberg, 8.1.2020)

Foto: thomas rottenberg