Roland Geyer, der Chef des Theaters an der Wien.

Foto: Sabine Hauswirth.

Intendanten triezen Intendanten, bisweilen werden sie aber auch zur inspirativen Stütze. Gerard Mortiers Salzburger Festspieldramaturgie etwa hat Roland Geyer dazu "motiviert, am Theater an der Wien etwas zu wagen. Es gab ja Attacken und Druck. Da hieß es: ,Es wird eh nix! Das Theater ist ja immer geschlossen!‘"

Inzwischen kann Geyer zwar mit einer gewissen Lockerheit auf 130 Premieren seit 2006 zurückblicken. Manch Hürde bleibt jedoch unvergessen: "Noch 2008 musste ich Künstlern erklären, dass sie sich nichts vergeben, wenn sie bei uns auftreten. Da gab es Ängste durch Zurufe im Stil von: ,Wenn du beim Geyer auftrittst, wird es deiner Karriere schaden!‘"

Die Vermutung, dass es nach 2010, als Dominique Meyer an die Staatsoper kam, diese Probleme nicht mehr gab, ist berechtigt. Als eines der führenden Stagione-Theater Europas gewinnt man mittlerweile ja auch vielbeschäftigte Hollywood-Mimen als Regisseure. "Bei Christoph Waltz war es Beethovens Fidelio. Es gibt wohl ganz wenige Künstler, die es nicht reizvoll fänden, das Werk am Uraufführungsort zu inszenieren. Daher war es prinzipiell nicht schwer, ihn zu gewinnen. In der Umsetzung merke ich, wie sensibel Waltz als Mensch ist, wie umsichtig man jemanden behandeln muss, der es gewohnt ist, mit der amerikanischen Filmbranche zu produzieren." Da sei Spannung zu spüren. "Alles ist freundlich, höflich, aber mit klarer Bestimmtheit. Dirigent Manfred Honeck aufzubieten war schon ein Asset für Waltz. Ihm vertraut er sehr."

Die vier Tageszeiten

Eigentlich hätte die laufende Saison Geyers letzte sein sollen. Da ihn Stefan Herheim erst ab 2022 beerbt, hat er zwei Jahre hinzugefügt und einen Vierjahreszyklus gestaltet. Auf "Im Morgengrau" folgt derzeit "Mittagsblau". In der nächsten Saison wird es "Abendrot" sein – und dies mit Werken, "die wunderschöne Abendstimmung vermitteln, aber meist in Katastrophen enden." Etwa Gershwins Porgy & Bess: "Die Oper wird exklusiv für das Theater an der Wien in Kooperation mit der Cape Town Opera produziert. Inszenieren wird Matthew Wild", erzählt Geyer, der das Nachtmotto seiner finalen Saison nicht als Ode an den Pessimismus sehen will. "Im Gegenteil: Die Saison 21/22 heißt ,Schwarze Nachthelle‘. Es geht um Opern, die zwar die Tristesse der Nacht evozieren, am Ende allerdings doch Hoffnung schöpfen lassen."

Wenn Geyer über seine Theaterzeit hinausblickt, ist er sich nicht sicher, ob zwischen Bogdan Roščić, der die Staatsoper übernimmt, und Herheim ein Wettspiel stattfinden wird. "Ich kann Roščić nicht einschätzen. Wenn er es schafft, das System zu ändern, wird es ein Match. Wenn nicht, wird es für die wichtigen Regisseure, die kommen sollen, schwer bei diesen Rahmenbedingungen."

Auch unter Herheim bleibe das Haus an der Wienzeile ein Stagione-Theater. "Er ist jedoch gefordert, auch etwas anders zu versuchen. Andererseits ist mein bisheriges Konzept doch sehr erfolgreich. Der Status quo ist also Vorteil wie Bürde zugleich. Der große Unterschied wird sein: Herheim wird sich als großartiger Regisseur jährlich einbringen und dem Theater einen neuen Fokus verleihen."

Schnee von morgen

Es ist letztlich für Geyer Schnee von morgen. Das Beethoven-Jahr bindet seine Aufmerksamkeit weitaus stärker. "Vor allem gilt es, mit dem Bild des mürrischen, schwerhörigen Genies aufzuräumen und auch andere Perspektiven zu eröffnen. Zum Beispiel Beethovens Leidenschaft für Technik und Innovation: Er war sehr aufgeschlossen, modern und in die Zukunft blickend."

Zum aufgefrischten Bild sollen auch zwei Uraufführungen beitragen: Egmont von Christian Jost wird im Theater an der Wien aus der Taufe gehoben, Genia von Tscho Theissing in der Wiener Kammeroper: "Wir versuchen neue Klänge und Bilder in den Köpfen unseres Publikums über Beethoven entstehen zu lassen. Egmont wurde abseits von Beethovens Schauspielmusik noch nie vertont – und es ist ein Stück über Macht, Freiheit und Utopie. Genia zeigt Beethoven wiederum zwischen Muse und Metronom."

Ob Waltz’ Fidelio Neues bringt, wird sich zeigen. Besondere Spannung ist jetzt schon gegeben. "Den fast globalen medialen Hype habe ich so nicht erwartet. Andererseits ist Waltz ein Regisseur, der Ruhe zum Inszenieren braucht. Wir werden ihn also abschirmen müssen, was für uns in dieser Intensität eher ungewohnt ist ..." (Ljubiša Tošić, 7.1.2020)