Iranische Journalisten und Journalistinnen werden im November 2019 bei einer Pressekonferenz in der iranischen Atomanlage Fordo über den schrittweisen Rückzug des Iran aus dem JCPOA informiert.

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Der Patient ist tot, aber keiner will den Totenschein unterschreiben und die Leiche begraben: Zwei Tage nach der Ankündigung des Iran, alle vom Atomdeal verhängten Beschränkungen seines Urananreicherungsprogramms als null und nichtig zu betrachten, wurden am Dienstag letzte diplomatische Kräfte zur Rettung des 2015 in Wien abgeschlossenen Abkommens mobilisiert, mit geringen Aussichten.

Die Außenminister des Formats E3/EU – Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands sowie vonseiten der EU der neue Außenbeauftragte Josep Borrell – berieten in Brüssel, wie sie den Iran zur Rückkehr zum JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), wie das Wiener Abkommen von 2015 offiziell heißt, bewegen könnten. Allerdings ist das den nach dem Austritt der USA 2018 verbliebenen JCPOA-Partnerstaaten schon vor der jüngsten Eskalation nicht gelungen. Teheran hat sich schrittweise aus dem Deal zurückgezogen, nachdem US-Sanktionen die wirtschaftlichen Vorteile, die der Iran aus dem JCPOA ziehen sollte, zunichtegemacht hatten.

Die iranischen Schritte zur Ausweitung seiner streng beschränkten und kontrollierten Urananreicherung waren anfangs eher symbolisch gewesen, hatten zuletzt jedoch an Substanz gewonnen. Deshalb stand schon im Dezember im Raum, ob die E3/EU nicht den "Disputlösungsmechanismus" in Gang setzen würden, der die iranischen Verletzungen letztlich vor den Uno-Sicherheitsrat bringen könnte. Die Entscheidung, das zu tun, könnte nach den jüngsten iranischen Ankündigungen noch diese Woche kommen.

Europäisches Verständnis

Teheran sieht es angesichts der Tatsache, dass die USA als Erster das Abkommen zum Schaden des Iran gebrochen haben, als sein Recht an, seinerseits nicht mehr alle Vorschriften einzuhalten. Wirtschaftlich hat der Iran so gut wie nichts mehr davon, sich an den Deal zu halten. Dass der Deal auch politisch nichts bringt, will Teheran an den ausgebliebenen europäischen Verurteilungen der Tötung von General Ghassem Soleimani ablesen. Im Gegenteil, der Iran ist mit der Tatsache konfrontiert, dass zumindest unterschwelliges Verständnis für die extralegale Tötung Soleimanis geäußert wurde.

Jene europäischen Staaten, die am Anti-IS-Einsatz im Irak beteiligt sind, sind ihrerseits verärgert über das Vorgehen der USA bei der Operation gegen Soleimani und den irakischen Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis: Denn nicht nur US-Personal ist ja auf den Stützpunkten im Irak von etwaigen Gegenschlägen gefährdet, sondern auch dasjenige anderer Staaten. Und diese wurden nicht vorab von den USA informiert.

Verhaltener Optimismus

Der gemeinsame Ärger über die USA dürfte jedoch kaum dazu ausreichen, den Atomdeal noch einmal auf Schiene zu bringen. Grund zu etwas Optimismus sahen Verfechter des JCPOA darin, dass der Iran nicht, wie befürchtet, ankündigte, mit der Anreicherung wieder auf knapp 20 Prozent, also scharf an die Schwelle zu höher angereichertem Uran, gehen zu wollen. Das würde die "breakout time" rasch senken – die Zeit, die man braucht, um genügend spaltbares Material anzusammeln, um (nach weiterer Anreicherung) eine Atombombe bauen zu können. Der ganze Sinn und Zweck des JCPOA war es ja, den Iran auf Jahre kontrolliert von dieser Schwelle fernzuhalten.

Der Iran hat immer beteuert, keine Atomwaffen anzustreben – geforscht hat er gleichwohl daran, dafür gibt es genügend Hinweise. Experten erwarten jedoch nicht, dass nun der Iran sein Nuklearprogramm prompt zu einem Atomwaffenprogramm ausbaut, auch wenn der JCPOA völlig zusammenbricht.

Im iranischen Parlament wurde als Reaktion auf die Tötung Soleimanis jedoch der Ruf laut, der Iran solle komplett aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) austreten, in dem sich Staaten zum Verzicht auf Atomwaffen verpflichten. Die Führung in Teheran ist sich jedoch sehr bewusst, dass sie mit einem solchen Schritt riskieren würde, Unterstützung und politisches Verständnis von Russland und China zu verlieren.

Inspektionen gehen weiter

Die Linie der Regierung von Präsident Hassan Rohani bleibt auch deshalb nach der jüngsten Verkündigung unverändert: Sowohl Außenminister Mohammed Javad Zarif, der Architekt des JCPOA aufseiten des Iran, als auch Vizeaußenminister Abbas Araqchi betonten, der Iran habe den Atomdeal nicht verlassen, alle iranischen Schritte seien reversibel. Auch die Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) laufen normal weiter. Und da es dazu keine iranische Ansage gibt, kann man davon ausgehen, dass der Iran auch weiterhin verschärfte Inspektionen unter dem sogenannten "Additional Protocol" akzeptiert. (Gudrun Harrer, 8.1.2020)