Verschiedene Arten von Ringmolekülen verheddern sich so ineinander, dass sie ihre Bewegung einschränken und so die Eigenschaften von Glas hervorbringen.
Illustration: Jan Smrek, Universität Wien

Wien – Herkömmliches Glas entsteht, wenn Ketten aus Molekülen ungeordnet und dicht beieinander liegen und dann rasch abgekühlt werden. Dadurch werden die ursprünglich frei beweglichen Bestandteile von ihren Nachbarmolekülen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. So entsteht etwa das bekannt durchsichtige und relativ feste Fensterglas aus Siliziumdioxid-Molekülen.

Das andere Glas

Die Vermutung, dass es auch noch eine andere Form von Glas geben könnte, hegen Wissenschafter bereits seit rund 25 Jahren, berichtet die Universität Wien. Diese andere Art des Glases würde sich der Theorie zufolge nicht aus Molekülketten, sondern aus langen Ringen aus vielen verbundenen Molekülen zusammensetzen.

Hier entsteht eine feste Struktur, wenn sich längere Ringe sozusagen ineinander verheddern und so deren Bewegung verhindert wird. Sind diese langen Ringpolymere dann derart aufgefädelt, kann sich auch kaum einer der vielfach verworrenen Ringe aus der Verbindung verabschieden, was die glasartige Verbindung recht stabil werden ließe.

Beobachtet konnte ein solcher theoretisch vorhergesagter Zustand bisher allerdings noch nicht werden. Die Wissenschafter führen das darauf zurück, dass es ziemlich langer Ringpolymere bedarf, um zu einem Zustand zu kommen, den sie als "aktives topologisches Glas" bezeichnen. Derart lange Ringe ließen sich jedoch bisher nicht künstlich herstellen.

Neuer Zugang

Doch nun berichten Polymerforscher aus Wien und Deutschland im Fachjournal "Nature Communications", wie es doch gehen könnte. Das Team um Iurii Chubak und Jan Smrek vom Arbeitsbereich Computergestützte Physik und Physik der Weichen Materie an der Uni Wien setzte auf einen anderen Zugang: "Anstelle des unphysikalischen Einfrierens der Ringe haben wir in unseren Simulationen einige Ringsegmente beweglicher gemacht", so die Forscher.

Die derart "aktiv angetriebenen Ringe fädeln und verwickeln sich dann so stark, dass sie sich praktisch nicht aneinander vorbeibewegen können". Mit diesem Trick konnten die Wissenschafter das topologische Glas auch bei derzeit erreichbaren Ringlängen beobachten.

Dieses neue Material unterscheide sich unter dem Mikroskop stark von herkömmlichem Glas. Ihre Entdeckung lässt die Physiker auch schon über neue Anwendungen nachdenken: So etwa an ein "flüssiges Material mit umkehrbarer Verglasung bei Lichteinwirkung", so der Ko-Autor der Studie, Christos Likos. (APA, red, 10. 1. 2020)