Türkis-Grün will mehr Radwege für mehr Radfahrer.

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Leonore Gewessler, die neue Ministerin für Umwelt und Verkehr, kam am Dienstag mit dem Fahrrad zur Amtsübergabe. Kameras fingen die Szene ein, fahren Amtsträger doch sonst eher mit Limousinen samt Dienstchauffeur vor. Ungewöhnlich, aber nicht inszeniert wirkte Gewesslers Ankunft. Die 42-jährige frühere Umweltaktivistin und jetzige Grünen-Politikerin gab in Interviews an, möglichst alle Dienstwege künftig mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen zu wollen.

Gewessler geht mit gutem Beispiel voran. Denn im türkis-grünen Regierungsprogramm findet sich eine "Offensive für aktive, sanfte Mobilität" wieder. Darin enthalten: die Erhöhung des Radverkehrsanteils von derzeit sieben auf 13 Prozent bis 2025.

Die Zielsetzung hat die aktuelle Regierung von Türkis-Blau übernommen. Vor bald zwei Jahren hatten der damalige Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) und die ehemalige Umwelt- und jetzige Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) die Klima- und Energiestrategie präsentiert. Die Begründung für die angestrebte Erhöhung damals: 13 Prozent Radfahrer im Personenverkehr würden die CO2-Emissionen in diesem Bereich um rund 3,2 Prozent reduzieren.

Kritik von Vassilakou

Zugpferde sollten die Städte sein, es wurde an deren Eigenverantwortung appelliert. Was nicht gut ankam. Die ehemalige Wiener Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) warf der ÖVP vor, selbst auf der Bremse zu stehen. Nach der Präsentation der ambitionierten Ziele schrieb sie im April 2018 einen Brief an Köstinger. Der Ausbau von Radwegen werde "leider auch von Ihren Parteikollegen in Wien" immer wieder "reflexartig skandalisiert und damit massiv erschwert". Vor allem mit den Bezirken hatte Vassilakou zu kämpfen, da die Errichtung von Radwegen zum Teil Bezirkssache ist. Jeder Radweg führe zu einem "mittleren Weltuntergang", war ihre Kritik an anderer Stelle sehr deutlich.

Experten kritisierten 2018 zudem fehlende Begleitmaßnahmen. Auch die jetzigen Punkte im Regierungsprogramm zur Erreichung des Ziels sind noch sehr vage gehalten:

  • Beim Bau von Straßen, Bahnhöfen, im Wohn- und Städtebau und in der Raumplanung sollen Radfahrer berücksichtigt werden.

  • Es sollen künftig mehr Finanzmittel aus dem Bund für die Infrastruktur sowie die Kombination von Fahrrad und Öffis zur Verfügung stehen. Genaue Zahlen werden nicht genannt.

  • Steuerliche Benachteiligungen für Radfahrer sollen abgeschafft werden, etwa beim Kilometergeld für dienstliche Radfahrten.

  • Für Kinder wird ein Aktionsprogramm Radfahren geschaffen.

  • Im ländlichen Raum sollen Radwege attraktiviert werden.

  • Im Verkehrsministerium soll eine eigene Organisationseinheit für Fahrradfahren und Zufußgehen geschaffen werden.

Auch der Anteil der Fußgänger soll ausgeweitet werden. Hier fehlen Zahlenangaben im Regierungsprogramm völlig. Zur Orientierung: In Wien gingen laut "Modal Split" 2018 26 Prozent zu Fuß, 2016 waren es noch 28 Prozent. Geplant ist jedenfalls, den Fußgängerverkehr bei der Gestaltung des Straßenraums stärker zu berücksichtigen. Daraus lässt sich ableiten, dass Bewegungs- und Fußgängerzonen weiter ausgebaut werden könnten. Außerdem sollen Kriterien für Klimaförderungen angepasst werden, damit Maßnahmen für Fußgänger hineinfallen.

Ein Kapitel widmet Türkis-Grün der Verkehrssicherheit. Von der Annäherung an die "Vision Zero" ist die Rede, also der Reduzierung der Unfalltoten auf null:

  • Vor allem bei der Lkw-Sicherheit will Türkis-Grün ansetzen. Immer wieder gibt es tragische Unfälle wie jenen eines neunjährigen Buben in Wien im vergangenen Jahr, der auf einem Schutzweg von einem Lkw-Fahrer übersehen worden war und verstarb. Die Fahrer sollen in Sachen toter Winkel besser ausgebildet werden, die Verkehrsteilnehmer dafür sensibilisiert werden. Geprüft wird eine Förderung für die Nachrüstung mit einem Abbiegeassistenten. Parkplätze der Asfinag sollen mit Einrichtungen ausgestattet werden, die bei der korrekten Ausrichtung der Spiegel von Lkws unterstützen sollen. Außerdem soll die Einhaltung arbeitsrechtlicher Regelungen im Lkw-Verkehr strenger kontrolliert werden.

  • Bei den Rettungsgassen soll der Begriff "Stocken des Verkehrs" durch eine Geschwindigkeitsangabe klargestellt werden.

  • In Begegnungszonen soll die Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h künftig ausnahmslos nicht mehr überschritten werden dürfen. Derzeit sind im Genehmigungsfall bei sicheren Bedingungen auch 30 km/h möglich.

  • Türkis-Grün will außerdem Temporeduktionen im Ortskern, vor Schulen und an Unfallhäufungsstellen leichter ermöglichen.

  • Der missbräuchliche Einsatz von Traktoren soll bekämpft werden. In Erinnerung ist ein tragischer Unfall im vergangenen Sommer, bei dem in Bayern zwei Kinder aus Vorarlberg ums Leben kamen.

  • Schließlich werden Alkohol- und Suchtgiftlenker ins Visier genommen. Evaluieren will die Regierung 2022, fünf Jahre nach Pilotbeginn, das Alkolocksystem. Alternativ zum Führerscheinentzug wird in das Auto eine Sperre eingebaut, die den Motor erst dann starten lässt, wenn eine Atemprobe abgegeben wurde und diese weniger als 0,1 Promille Alkohol aufweist. (Rosa Winkler-Hermaden, 9.1.2020)