Für eine Kerze mit bereits angebranntem Docht forderte in dem Delikatessengeschäft in der Wiener Innenstadt bisher noch keiner einen angemessenen Ersatz. Das eine oder andere Gläschen Honig mit deutlichen Spuren der Verkostung findet aber immer wieder seinen Weg zurück in den Handel. Und stößt dort auf Kulanz. Lebensmittel, die den Geschmack des Kunden nicht treffen, werden natürlich ohne Aufhebens umgetauscht, versichert die Chefin des kleinen Familienbetriebs. Nicht verkneifen will sie sich jedoch den dezenten Hinweis darauf, dass der Lebensmittelkonzern ums Eck diesem Begehren wohl kaum nachgeben würde.

Zurück zum Sender: 41 Prozent der Pakete im Onlinehandel gingen 2019 in Österreich retour an den Handel.
Foto: Imago

Auf wenig Gegenliebe stößt in einer Buchhandlung eines Wiener Außenbezirks die Bitte einer Kundin, ein Buch umzutauschen. Es sei für sie eigens bestellt worden. Der Aufwand rechne sich nicht, er müsse anders kalkulieren als große Ketten, murrt der Inhaber. Ob er Leser damit nicht an internationale Onlineriesen verliere, die ungeliebte Geschenke völlig widerspruchslos zurücknehmen, wirft die Kundin vorsichtig ein. Sie erhält das Buch schließlich doch durch ein anderes ersetzt und will dem alteingesessenen Unternehmen auch künftig treu bleiben.

Angst vor Imageschäden

Der Handel hat gar keine andere Chance bei Reklamationen, als zuvorkommend zu reagieren. Zumal so manch Kunde gleich drohe, sich an Konsumentenschützer zu wenden, sinniert ein Verkäufer feiner Lederwaren, der auf 30 Jahre Erfahrung zurückblickt. Vor allem große Handelshäuser ließen sich von "präpotentem Auftreten und fadenscheinigen Argumenten" leicht unter Druck setzen, befürchteten sie doch miese Bewertungen und bleibende Imageschäden, ist er überzeugt. In kleinen Geschäften wie dem seinen erlebe er es hingegen selten, dass einer seinen Kauf bereue. "Bei gut beratenen Kunden stellen sich diese Probleme einfach nicht."

Männer gut vorbereitet

Selbst in Sachen Damenunterwäsche seien Männer mittlerweile gut vorbereitet, legten Muster auf den Ladentisch und schätzten Kleidergrößen realistisch ein, lobt die Verkäuferin einer Dessous-Filiale. Immer weniger ihrer Beschenkten seien daher zum Umtausch gezwungen. Ware sei überall verfügbar, wer in stationäre Geschäfte gehe, wolle Beratung – und sei folglich vor Fehlgriffen gut gefeit, ergänzt eine Kollegin.

Alle Jahre wieder dreht sich rund um Weihnachten das Umtauschkarussell. Gesetzliche Ansprüche darauf hat der Konsument im stationären Handel keine. Verweigert wird die Rückgabe in der Praxis jedoch den wenigsten. Auch Wertminderung wird selten in Rechnung gestellt. Teils verlangen große Ketten nicht einmal mehr Rechnungsbelege für den Kauf. Denn der Druck der Konkurrenz ist groß, die Sorge, von Kunden abgestraft zu werden, ebenso. Wer will schon Umsatz leichtfertig an Internetkonzerne verlieren, bei denen Konsumenten mit Retouren leichtes Spiel haben.

Die Umtauschwelle rollt, stationäre Händler sind zur Rücknahme nicht verpflichtet.
Foto: Imago

Wer online einkauft, darf in der Regel 14 Tage davon ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Und die Verbraucher nutzen dies auch weidlich und, wie Händler klagen, "maßlos" aus. Gut 490 Millionen Artikel in 280 Millionen Paketen schickten allein die Deutschen 2018 retour, erhoben Forscher der Universität Bamberg. 79 Prozent wurden als Waren erster Wahl, 13 Prozent als Artikel zweiter Wahl wiederverkauft. Vier Prozent landeten ihren Untersuchungen zufolge im Müll. Die Kosten der Retouren gipfelten auf weit mehr als fünf Milliarden Euro, das Klima werde mit jährlich rund 200.000 Tonnen CO2 belastet.

In Österreich ebbte die Welle an Rücksendungen im Vorjahr erstmals leicht ab – von 43 auf 41 Prozent, rechnet der Handelsverband auf Anfrage vor und führt dies auf genaue Produktbeschreibungen, Kundenbewertungen und mehr Gutscheine zurück. Bei Mode sei die Retourquote zeitgleich von 54 auf 50 Prozent gesunken.

Anprobe im Wohnzimmer

"Konsumenten fällen Entscheidungen für einen Kauf zu Hause. Ihnen ist nicht bewusst, welche Kosten sie damit verursachen, welche Folgen dies für die Umwelt hat", sagt Marco Atzberger, Chef des Kölner Marktforschers EHI. Es sei daher sinnvoll, darüber nachzudenken, ob Retouren weiterhin kostenlos sein dürfen.

In Deutschland nähert sich die Politik dem heiklen Thema zögerlich aber stetig an. Die Wissenschaftler der Uni Bamberg schlagen einen gesetzlich vorgeschriebenen Betrag von drei Euro pro Paket vor, den Kunden für Retouren begleichen sollen. Das sollte impulsives Shoppen bremsen, die Flut an Rücksendungen um 16 Prozent reduzieren und damit den Verbrauch an Ressourcen schonen. Möglich sind Gebühren bereits jetzt, bisher hebt allerdings allein ein Siebtel der Händler welche ein. Der Mehrheit der Händler wäre ein Ende der Portofreiheit für Kunden liebsam, sie räumen jedoch ein, dass der Mut dafür fehlt.

In der Branche sind verpflichtende Gebühren hart umstritten. Gerrit Heinemann, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des eWeb-Research Centers der Hochschule Niederrhein, bezweifelt, dass Kunden sie akzeptieren. Auch führende Webanbieter würden nicht mitziehen. "Der Wettbewerb lässt es nicht zu."

Retouren verschlingen Milliarden Euro. Schon Neckermann hat vor 30 Jahren versucht, sie in den Griff zu bekommen.
Foto: Imago

Heinemann redet das Problem der Retouren nicht klein, warnt aber vor Populismus. Was ihren Anteil vehement nach oben treibe, sei vor allem der Modehandel. Bei ihm kehrten allerdings 97 Prozent der Textilien zurück in den Verkauf. Bei Büchern etwa, Elektro- oder Schreibwaren, sprenge der Anteil nicht die Zehn-Prozent-Marke. Eine Differenz zwischen Angebot und Nachfrage sei in einer freien Marktwirtschaft nicht zu vermeiden, auch wenn die Effizienz jährlich steige. "Die Alternative dazu wäre Planwirtschaft."

Etliche große deutsche Händler zeigten bereits vor, dass Retourquoten von unter zehn Prozent möglich seien, etwa durch transparentere, verlässliche Größentabellen, sagt Heinemann. Was aus seiner Sicht gern übersehen werde, sei der Überschuss an Waren, die sich im stationären Handel nach Saisonende ansammeln, um Platz für neues Angebot zu machen. "Bei Textilien geht es hier um die vier- bis fünffache Menge. Nur, dass keiner davon spricht."

Verbranntes Geld

Markus Werner Filler, Chef der Plattform Restposten 24, betätigte sich über Jahre selbst als Großhändler. Er nimmt Konsumenten in Schutz. Keiner bestelle und retourniere aus Jux und Tollerei. Im Übrigen habe es Rücksendungen schon vor 30 Jahren zu Zeiten Neckermanns gegeben. Wie geht er mit Bildern von Millionen nagelneuer geschredderter, verbrannter Produkte um? "Die Sachen sind bezahlt, sie werden recycelt. Das ist Jammern auf hohem Niveau." Sie wieder in den Handel zu bringen, übersteige oft letztlich schlicht ihren Warenwert.

Gabriele Zgubic, Expertin für Konsumentenschutz der Arbeiterkammer, appelliert an jeden Einzelnen, sein Konsumverhalten kritisch zu reflektieren. Dass Kunden gesetzlich dazu verpflichtet werden sollen, für ihre Retouren zu zahlen, lehnt sie jedoch ebenso ab wie Rainer Will, Chef des Handelsverbands. Nichts abgewinnen kann sie auch Wills Vorschlag, stattdessen die zeitliche Frist fürs Retournieren zu kürzen.

Von Reklamationen verschont sieht sich derweil ein Wiener Messer- und Scherenspezialist. 60 Kunden zähle er am Tag, vielleicht einmal im Monat bringe wer etwas zurück, berichtet er. Unverfrorene, bei denen sich Messer über Nacht in der Küchenlade quasi von selbst verbiegen, zähle er nicht zu seinen Kunden.

In ihrem ganzen Geschäftsleben noch nie untergekommen sind Reklamationen einer Beraterin für Urnen und Särge eines Wiener Bestattungsunternehmens. "Was hier entschieden ist, ist entschieden." Und so riesig sei dann die Auswahl zum Glück doch nicht. (Verena Kainrath, 9.1.2020)