STANDARD: Auch eine Woche nach dem US-Drohnenangriff auf den iranischen General Ghassem Soleimani in Bagdad wird noch darüber gestritten, ob eine solche Form der gezielten Tötung rechtlich gesehen legitim ist. Wie lautet dazu die Lehrmeinung?

Janik: Die rechtliche Schwelle für einen bewaffneten Angriff ist grundsätzlich sehr hoch. Der Internationale Gerichtshof hat im Fall des Konflikts der USA mit Nicaragua 1986 festgehalten, dass ein bewaffneter Angriff im Sinne des Artikels 51 der Uno-Charta eine besonders hohe Gewaltschwelle erfordert. Es muss also ein schwerwiegender und unmittelbarer Angriff auf die USA vorliegen, wobei besonders die zeitliche Nähe sehr streng ausgelegt wird. Gerade diese zeitliche Nähe haben die USA bisher nicht eindeutig beweisen können.

Der getötete iranische General Soleimani war für die Auslandsoperationen des Regimes verantwortlich.
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STANDARD: Die iranischen Revolutionsgarden und die von Soleimani befehligten Quds-Brigaden werden von der US-Regierung seit 2019 als terroristische Vereinigungen definiert. Spielt dies eine Rolle?

Janik: Aus rechtlicher Sicht nicht. Im Fall einer außergerichtlichen Tötung ist entscheidend, ob diese sich innerhalb eines bewaffneten Konflikts ereignet oder nicht. Konkret deutet nichts darauf hin, dass sich die USA gegenwärtig in einem Konflikt mit den Quds-Brigaden befunden haben, weshalb – wie immer außerhalb eines Kriegszustands – das allgemeine Menschenrecht auf Leben gilt. Dann darf man jemanden nur töten, um eine unmittelbare Bedrohung für das Leben anderer abzuwenden. Nach allem, was bisher bekannt ist, lag diese unmittelbare Bedrohung im Fall Soleimanis nicht vor.

STANDARD: Ein Kriegsakt kann die Tötung ja schon deshalb nicht gewesen sein, weil der US-Kongress niemanden autorisiert hat, Krieg zu führen, oder?

Janik: Aus völkerrechtlicher Sicht ist es völlig egal, ob es dafür eine innerstaatliche Rechtsgrundlage gegeben hat oder nicht. Die gängige Definition für internationale Konflikte ist, dass es Waffengewalt zwischen zwei oder mehreren Staaten geben muss. Strenggenommen war die gezielte Tötung des iranischen Generals also ein ganz kurzzeitiger bewaffneter Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Ob eines der Länder dem anderen davor den Krieg erklärt hat, ist unerheblich. Wenn die Tötung also innerhalb eines Krieges passiert, wäre Soleimani ein legitimes Ziel. Das wäre aber eine absurde Auslegung, die Soldaten auch zu Friedenszeiten in wandelnde Zielscheiben verwandeln würde. Alle anderen Szenarien machen eine Tötung wie gesagt nur dann legal, wenn die Tötung das einzige Mittel ist, einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag zu verhindern.

US-Präsident Donald Trump rief den Iran nach dessen Gegenschlag zur Zusammenarbeit auf.
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STANDARD: Was unterscheidet den Fall Soleimani etwa von der Tötung Anwar al-Awlakis, eines in den USA ausgebildeten Islamisten, der 2011 im Jemen ebenfalls von einer Drohne aufgespürt und bombardiert wurde?

Janik: Der große Unterschied ist, dass die USA mit Soleimani zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg einen ranghohen Militärangehörigen eines fremden Staates getötet haben. Das letzte Mal war es der japanische Marinechef Isoroku Yamamoto, dessen Flugzeug im Rahmen der Operation "Vengeance" 1943 abgeschossen wurde. Yamamoto wurde von den USA für den Angriff auf Pearl Harbor verantwortlich gemacht. Während des Irak-Kriegs 2003 haben die USA außerdem großflächige Angriffe gegen Saddam Hussein vorgenommen. Gezielte Drohnenangriffe gelten allerdings üblicherweise Terroristen, also Menschen, die nicht in offizieller Funktion für einen Staat tätig waren. Soleimani war als ranghoher General ein quasistaatliches Ziel. Und genau das war der Dammbruch.

STANDARD: Werden die USA noch mehr Beweise veröffentlichen, wonach der Drohnenangriff auf Soleimani und seinen irakischen Kompagnon unbedingt vonnöten war?

Janik: Nach dem, was bis jetzt aus der US-Regierung bekannt geworden ist, würde es mich wundern, wenn jetzt noch Beweise vorgelegt werden, dass die Tötung Soleimanis die einzige Möglichkeit war, eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung abzuwenden. (Florian Niederndorfer, 9.1.2020)