Selfie-Kultur und soziale Medien befeuern das Ideal vom faltenfreien Gesicht, sagen Experten.

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Wer sich Botox spritzen lässt, will in der Regel eines: jünger aussehen. Das ist bekannt und im Grunde nichts Neues. Neu ist hingegen, dass jene Menschen, allen voran Frauen, die sich das Nervengift injizieren lassen, das in immer jüngeren Jahren tun. Das beobachtet zumindest Maja Hofmann, Oberärztin der Klinik für Dermatologie und Venerologie der Charité in Berlin.

Das heißt, früher kamen vor allem Frauen in ihren Vierzigern oder Fünfzigern zu ihr, heute sind viele hingegen gerade einmal Mitte bis Ende zwanzig. Eine Beobachtung, die die Vereinigung der deutschen ästhetisch-plastischen Chirurgen (VDÄPC) bestätigt. Den Grund hierfür sehen die Experten vor allem im derzeitigen Selfie-Boom. Der plastische Chirurg Dominik von Lukowicz, ebenfalls Mitglied der VDÄPC, hatte sogar schon junge Frauen in seiner Praxis, die als Vorbild ihr bearbeitetes Selfie mitbrachten. Dazu, wie viele Menschen sich in Österreich minimalinvasiven Eingriffen wie dem Spritzen von Botox unterziehen, gibt es laut der Österreichischen Gesellschaft für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) keine repräsentativen Zahlen. Dennoch ist zu vermuten, dass sich der Trend auf Österreich übertragen lässt.

Doch was bedeutet es, wenn junge Menschen sich Falten wegspritzen lassen, die noch gar nicht da sind? Ist die neue Selfie-Kultur wirklich der treibende Faktor? Und wie steht es eigentlich um die Gesundheit? Botulinum Toxin A, kurz Botox, ist schließlich ein Nervengift und hat eine Halbwertszeit von gerade einmal sieben Monaten. Will jemand, der sich mit 28 Jahren das erste Mal Botox spritzen lässt, auch mit 65 Jahren keine Falten auf der Stirn, muss er mit gut 63 weiteren Sitzungen rechnen. Und hat solch eine Langzeitbehandlung Nebenwirkungen?

Gut verträgliches Nervengift

Um zu verstehen, welche Risiken eine Behandlung mit Botox auf Dauer haben kann, hilft es zu wissen, wie die Substanz wirkt: Neben UV-Strahlen, Rauchen und der normalen Schwerkraft entstehen Falten unter anderem durch die Mimik. Denn je mehr sich unsere Muskeln an- und entspannen, desto öfter knautschen sie die Haut zusammen. Das Ergebnis: Es entstehen Falten. Wird das Nervengift dann in die Stirn gespritzt, verhindert es die Freisetzung bestimmter Botenstoffe, die für die Funktionsfähigkeit der dort sitzenden Nerven verantwortlich sind.

"Auf diese Weise erhalten die Muskeln, die von diesen Nerven versorgt werden, keine Impulse mehr und sind quasi lahmgelegt", erklärt Lukas Prantl, plastischer Chirurg vom Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC). "Wo sich nichts bewegt, entstehen auch keine Falten." In diesem Sinn könne Botox tatsächlich präventiv wirken. Einzige Gefahr: Wird ein Muskel dauerhaft außer Kraft gesetzt, kann das die Mimik stören. Damit das nicht passiert, werden die Muskeln heute nur noch teilweise lahmgelegt – so schaffen die Behandler und Behandlerinnen es auch, dass das Gesicht weiterhin natürlich aussieht.

Natürlich kann bei Botox auch einiges schieflaufen. Wird die Substanz in die falsche Stelle gespritzt, legt sie die Augenpartie lahm – ein vorübergehendes, vorwiegend ästhetisches Problem. Möglich sind allerdings auch Störungen einzelner Gesichtsnerven. Werden versehentlich Gefäße angestochen, kann es in äußerst seltenen Fällen auch zur Erblindung kommen oder dass Hautpartien nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden. Das Gewebe kann absterben und muss sehr selten sogar transplantiert werden. Prantl hat solche Unfälle aber noch nicht erlebt während der 16 Jahre, die er als plastischer und ästhetischer Chirurg tätig ist. "Insgesamt ist Botox tatsächlich gut verträglich", sagt er.

Wenn die Mimik eingeschränkt ist

Ob eine Botox-Behandlung über Jahrzehnte hinweg noch andere körperliche Probleme verursachen kann, lässt sich bislang nicht eindeutig sagen. Denn Langzeituntersuchungen gibt es nicht. "Möglich ist, dass die Behandelten mit der Zeit Antikörper gegen die Substanz bilden und das Botox dann nicht mehr wirkt", sagt Hofmann von der Charité. Eine Abwehrreaktion, die aus der Neurologie bekannt sei, wo das Nervengift unter anderem zur Behandlung von Spastiken eingesetzt wird. Dazu gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass Menschen, deren Gesicht bestimmte Mimiken nicht mehr machen kann, Schwierigkeiten haben Gefühle von anderen zu erkennen und selbst bestimmte Emotionen auszudrücken. Grund hierfür ist vermutlich, dass sie das Gesicht ihres Gegenübers nicht mehr so gut imitieren können und dadurch sehr feine Veränderungen der Mimik, sogenannte Mikroexpressionen, schwieriger erkennen. Was dies auf lange Sicht für den Gefühlshaushalt einer Person bedeuten würde, dazu gibt es bislang keine Untersuchungen.

Fest steht jedoch: Je öfter ein Mensch sich in seinem Leben Botox spritzen lässt, desto höher ist das Risiko, dass eine Nebenwirkung auftritt – eine potenzielle Gefahr, die sich durch den teils unregulierten Markt erhöht. Denn die Bezeichnung als Schönheitschirurg oder Schönheitschirurgin ist kein geschützter Begriff. Er ist auch nicht im ärztlichen Weiterbildungsrecht definiert. Das heißt, im Grunde kann sich jeder Arzt so nennen und eine entsprechende Qualifikation vortäuschen.

Studien dazu, ob junge Menschen, die viel auf Facebook, Instagram, Youtube und Snapchat unterwegs sind, tatsächlich häufiger zum Schönheitschirurgen gehen, gibt es nicht. Die Autoren und Autorinnen eines umfassenden Reports der gemeinnützigen Organisation Nuffield Council on Bioethics aus dem Jahr 2017, der sich aus ethischer Perspektive mit Schönheitschirurgie beschäftigt, vermuten jedoch einen Zusammenhang. Denn ein wesentlicher Grund, weshalb sich ein Mensch kosmetischen Eingriffen wie einer Botox-Behandlung unterzieht, liegt in der Unzufriedenheit mit dem eigenen Erscheinungsbild – und dass soziale Medien beeinflussen, wie sich Userinnen und User in ihrem Körper fühlen, darauf weisen inzwischen zahlreiche Studien hin.

Das eigene Aussehen akzeptieren

Eine Untersuchung der University of Haifa an 248 Frauen zwischen zwölf und 19 Jahren kam beispielsweise zu folgendem Ergebnis: Je mehr Modezeitschriften sich die Befragten anschauten, je mehr sie fernsahen und in sozialen Netzwerken unterwegs waren, desto unwohler fühlten sie sich mit ihrem Aussehen. Eine entscheidende Ursache liegt vermutlich darin, dass Menschen in sozialen Netzwerken vor allem Bilder posten, die sie von ihrer besten Seite zeigen. Laut dem britischen Report bearbeiten zudem gut drei Viertel der jungen Userinnen und User ihr Foto mithilfe spezieller Filter: machen sich dünner, zeichnen ihre Lippen nach, retuschieren ihre Haut. Das setze nicht nur andere unter Druck, ihrem Beispiel zu folgen und ebenso "perfekt auszusehen", sondern führe auch dazu, dass es den Personen immer schwerer falle, das "realistische" Bild von sich selbst zu akzeptieren – ein Teufelskreis.

Maja Hofman von der Charité Berlin hatte beispielsweise schon junge Frauen bei sich in Behandlung, die ihr zur Demonstration, wo an ihrem Hals die Falten sind, bestimmte Kopfhaltungen vorgemacht haben – "so als würden sie für ein Selfie posieren", beschreibt es die Fachärztin für ästhetische Medizin. Mancherorts nennt man diesen Effekt auch den "Selfie-Hals" – "ein Trend, der glücklicherweise noch sehr selten ist", so Hofmann.

Natürlich geht nicht jeder, der mit seinem Äußeren unzufrieden ist, zum plastischen Chirurgen. Es sind auch nicht allein die sozialen Medien, die junge Menschen dazu bringen, sich in ihrem Körper unwohl zu fühlen. Weitere wichtige Einflussfaktoren sind beispielsweise die Promi-Kultur sowie die Tatsache, dass die kosmetischen Eingriffe immer leichter verfügbar sind und immer stärker für sie geworben wird.

Marketing über soziale Medien

Auf der Plattform Instagram gab es beispielsweise Filter, mit denen Nutzer und Nutzerinnen ihr Gesicht so verändern konnten, als hätten sie es einer Botox-Injektion oder Gesichtsstraffung unterzogen. Diese Bearbeitungsmöglichkeiten wurden aufgrund zahlreicher Kritik zwar inzwischen von der Plattform genommen. Über die Firma Spark AR, die viele der vermeintlich schönheitsverbessernden Filter entwickelt hat, können Userinnen und User seit August ihre eigenen Filter designen. Zu welchem Ergebnis das führen wird, bleibt abzuwarten.

Wie gut sich soziale Medien – allen voran Facebook – fürs Marketing eignen, hat inzwischen auch die Industrie der Schönheitschirurgie erkannt. So hat das Department of Surgery des Stanford University Medical Center im Jahr 2017 eine Studie herausgegeben, die Ärztinnen und Ärzten Tipps gibt, wie sie Medien wie Facebook und Instagram noch gezielter für ihre Werbung nutzen können. Auf Platz eins der Liste finden sich Wettbewerbe für kostenlose Behandlungen, dicht gefolgt von Vorher-nachher-Aufnahmen.

In Österreich ist Werbung für Schönheitsoperationen zwar verboten, und es gilt die Werbebeschränkung des Paragrafen 8 Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG), im Internet lässt sich das jedoch schwer kontrollieren. Dass Werbemaßnahmen für ästhetische Eingriffe absolut nichts für Jugendliche sind, hat nun jedoch auch Facebook erkannt, der Mutterkonzern von Instagram. Im September hat der Konzern eine Altersbeschränkung eingeführt, wonach Werbung für kosmetische Eingriffe – und ebenso für Diätprodukte – nur noch über 18-Jährigen gezeigt werden darf. Dazu können Userinnen und User Inhalte, mit denen sie sich unwohl fühlen, seit längerem der Plattform melden. Diese werden dann von Facebook beziehungsweise Instagram geprüft und gegebenenfalls entfernt oder mit einer Altersschranke versehen.

Neue Schönheitsideale finden

Das Problem ist nur, dass die Überprüfung bislang nicht ausreichend funktioniert. Das zeigt etwa ein aktueller Bericht des Kompetenzzentrums jugendschutz.net: Um zu untersuchen wie gut die Meldemöglichkeiten der Plattformbetreiber funktionieren, hat jugenschutz.net rund 950 unzulässige Inhalte – darunter auch Hassbotschaften und Cybermobbing – untersucht. Das Ergebnis: Die von den Userinnen und Usern gemeldeten Inhalte wurden von den Betreibern gerade einmal in 34 Prozent der Fälle gelöscht. Ob das bei Posts, die zu kosmetischen Eingriffen aufrufen, oder Hashtags wie #lippenunterspritzung, bei denen junge Frauen ihre Schmollmünder in die Kamera halten, besser funktionieren wird, bleibt abzuwarten.

Der grundsätzliche Wille, Werbung für Schönheitsoperationen zu unterbinden, ist vermutlich auch im Sinn der Autorinnen und Autoren des Ethikreports. Wichtig ist ihnen jedoch auch, dass die Gesellschaft allgemein umdenkt und vom Schönheitsideal des jungen, schlanken Körpers wegkommt. Denn auch wenn kosmetische Eingriffe durchaus das Wohlbefinden und den Selbstwert eines Menschen verbessern können, fehlen doch Studien, die nachweisen, dass dieser Effekt auch anhält. (Stella Hombach, 13.1.2020)