Johnson bei der Abstimmung im Unterhaus am Donnerstag.

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EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier bei einer Pressekonferenz in Stockholm.

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Nach jahrelangem Streit und rund drei Wochen vor dem geplanten EU-Austritt hat das britische Unterhaus am Donnerstagabend abschließend über das Brexit-Gesetz von Premierminister Boris Johnson abgestimmt: Das Unterhaus, wo die regierenden Konservativen eine deutliche Mehrheit haben, segnete das Gesetz zur Ratifizierung des Brexit-Abkommens mit einer klaren Mehrheit von 330 zu 231 Stimmen ab.

Der Gesetzestext muss nun – bis zum geplanten Austritt am 31. Jänner – noch vom britischen Oberhaus abgesegnet werden. Auch das Europaparlament muss das Abkommen noch ratifizieren.

358 gegen 234 Stimmen

Das Unterhaus in London hatte bereits am 20. Dezember mit 358 gegen 234 Stimmen in einem ersten Beschluss für das Abkommen gestimmt. In dieser Woche wurden die abschließenden Beratungen über den Gesetzestext fortgesetzt. Dafür setzte die Regierung lediglich drei Tage an. Viele Abgeordnete machten sich am Dienstag und Mittwoch nicht einmal die Mühe, zu den Parlamentssitzungen zu erscheinen. Die Änderungsanträge der oppositionellen Labour Party wurden umgehend abgewiesen.

Labour gewinne im Moment "vielleicht nicht viele Abstimmungen im Parlament, aber wir können die moralische Auseinandersetzung gewinnen", sagte der Labour-Politiker Keir Starmer, der als Favorit für die Nachfolge des bisherigen Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn gilt.

Die 535 Seiten umfassende Vereinbarung legt unter anderem die finanziellen Verpflichtungen Londons gegenüber der EU sowie die künftigen Rechte der Bürger der beiden Seiten fest. Damit soll der EU-Austritt nach mehrfacher Verschiebung Ende Jänner tatsächlich vollzogen werden. Dann beginnt eine Übergangsphase bis Ende 2020, während der sich so gut wie nichts ändert: Großbritannien bleibt im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Ein harter Schnitt für die Wirtschaft soll so vermieden werden.

Barnier: Brauchen für Abkommen mit London mehr als ein Jahr

In dieser Zeit müssen sich London und Brüssel auf ein Abkommen über die künftigen Beziehungen einigen. Der EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier warnte die britische Regierung am Donnerstag vor Illusionen angesichts der Verhandlungen mit der EU. Die Gespräche über ein umfassendes Abkommen zu den künftigen Beziehungen nach dem geplanten Brexit am 31. Jänner würden mehr als ein Jahr dauern, sagte Barnier.

Johnson hatte dagegen angekündigt, dass seine Regierung die Frist bis Ende des Jahres nicht verlängern werde. Barnier hielt dem entgegen: "Wir sind bereit, unser Bestes zu geben und in den elf Monaten das Maximale für ein grundlegendes Abkommen mit dem Königreich zu tun. Aber wir brauchen mehr Zeit, um jeden Punkt der politischen Erklärung abzustimmen."

Barnier warnt vor Senkung der Sozial- und Umweltstandards

Die EU werde in den kommenden Monaten Prioritäten setzen müssen, so Barnier. Am wichtigsten sei es, die künftige Zusammenarbeit beim Klimaschutz und für den Frieden im Nahen Osten zu klären. Zweites Projekt sei dann eine sehr enge Sicherheitspartnerschaft.

Großbritannien solle den Wettbewerb mit der EU nicht über niedrigere Sozial- und Umweltstandards suchen, sagte Barnier. Dies würde nur Arbeitern, Konsumenten und dem Planeten schaden. Johnson hatte gesagt, er wolle keine Partnerschaft entlang der bestehenden EU-Regeln etwa im Sozialbereich. Barnier schloss nicht aus, dass am Ende der Verhandlungen ein breites Abkommen steht, das die Beziehungen in nahezu allen Politikbereichen regelt.

Was zu bedenken ist: Mit dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien ist das Thema Brexit für die Briten sicher nicht vom Tisch: Großbritannien muss zahlreiche Lücken füllen, die sich mit dem Verlassen der EU auftun, sei es in den Handelsbeziehungen zu Drittstaaten, bei Verkehr, Strafverfolgung oder der Rechtsprechung. Mit dem Brexit beginnt also eine Menge Arbeit. Um wenigstens einen symbolischen Abschluss zu finden, will Johnson Ende Jänner das Brexit-Ministerium abschaffen. (red, APA, 9.1.2020)