Zwei von den dreien auf dem Bild ziehen bald über den Atlantik.

Foto: John Stillwell

Das abgelaufene Jahr hat Königin Elizabeth II vornehm als "ziemlich holprig" bezeichnet. 2020 beginnt für die britische Königsfamilie mit einer mächtigen Erschütterung: Ohne den Buckingham-Palast zu warnen, hat das glamouröse Herzogspaar Sussex seinen weitgehenden Rückzug von ihren royalen Rollen bekanntgegeben. In Zukunft wollen Meghan und Harry eine "progressive neue Rolle" innerhalb des Königshauses einnehmen, peilen aber gleichzeitig finanzielle Unabhängigkeit an. Dem spektakulären Schritt folgte eine beispiellose öffentliche Ohrfeige: Man sei "verletzt und zutiefst enttäuscht", ließ der Palast verlauten.

Der Vorgang lieferte sämtlichen Londoner Zeitungen die Schlagzeile am Donnerstag. "Wir kündigen", meldete Daily Mail, vom Zerwürfnis im Palast schrieb The Times. Während Daily Star den "früher als Prinzen bekannten Royal" hervorhob, konzentrierte sich The Sun auf die Frau an Harrys Seite: "Megxit" lautete das Wortspiel mit dem britischen EU-Austritt.

Video zum Rückzug von Meghan und Harry
DER STANDARD/APA/dpa

Knapp dran an der Wahrheit

Offenbar war das auflagenstarke Boulevardblatt verantwortlich für den hastigen Schritt. Denn tags zuvor war die Zeitung mit der Exklusivgeschichte erschienen, die Eltern des acht Monate alten Archie wollten zukünftig weitgehend in Kanada leben, jedenfalls aber ihr Büro dorthin verlegen. Damit kam The Sun der Wahrheit ziemlich nahe. In der offiziellen Verlautbarung des Herzogspaares ist zwar nur von "Nordamerika" die Rede, doch gilt unter Eingeweihten Kanada als erheblich wahrscheinlicher als die USA, deren Präsident Donald Trump von der bekennenden Feministin Meghan herzlich verabscheut wird.

Die gebürtige Amerikanerin (38) lebte vor ihrer Heirat mit Prinz Harry (35) in Toronto. Erst kürzlich verbrachte das Paar ein Sabbatical auf Vancouver Island vor der Westküste der früheren britischen Kolonie, deren Staatsoberhaupt bis heute die Queen ist. Die bestens vernetzte Schwiegertochter des früheren kanadischen Premierministers, Jessica Mulroney, zählt zu Meghans engsten Freundinnen.

Die Frage des Geldes

Wie den künftigen Wohnsitz ließ die auf Instagram veröffentlichte Botschaft auch andere Details offen. Insbesondere ist unklar, wie das Paar die angestrebte finanzielle Unabhängigkeit erreichen will (siehe Frage & Antwort unten). Schon spekulieren Marketingspezialisten heftig darüber, wie viel das Paar auf dem freien Markt erwirtschaften könnte. Mit einigermaßen geschmackvollen Merchandisingvereinbarungen, Auftritten als Repräsentant ausgewählter Firmen oder gar kleineren Engagements für die gelernte Schauspielerin ließe sich gewiss die eine oder andere Million verdienen.

Was Harrys Großmutter, vor allem aber Vater Charles und Bruder William davon halten? Die Queen sei traurig, die Nummern eins und zwei der Thronfolge aber extrem zornig, hieß es aus dem royalen Umfeld. Die Gespräche über die zukünftige Rolle der Abtrünnigen seien in einem Frühstadium, teilte ein Sprecher des Palastes mit. "Es geht um schwierige Fragestellungen, die zu klären Zeit brauchen wird."

Gänzlich überraschend kann all das aber nicht gekommen sein. Seit ihrer Hochzeit auf Schloss Windsor im Mai 2018 hat das Paar mit Anpassungsschwierigkeiten gekämpft. Öffentliche Kritik, etwa am millionenteuren Ausbau ihres Domizils Frogmore Cottage im Schlosspark zu Windsor, kränkte Meghan und Harry ebenso wie die höhnische Reaktion auf manch naive Äußerung. Dass sie aus Gründen des Umweltschutzes ihre Familie auf vier begrenzen wollen, wurde sofort als Kritik an Williams fünfköpfiger Familie gewertet. Wenig gut kam in den Medien auch an, dass Meghan vor Archies Geburt zu einer Babyshower für einige Tage über den Atlantik jettete.

Trennung vom Bruder

Im Raum stand die Frage nach einer sinnvollen Beschäftigung für den in der Thronfolge auf Rang sechs abgerutschten Prinzen und seine Frau schon seit längerem. William und Harry hatten seit vergangenem Jahr nicht nur separate Adressen, sondern auch getrennte Arbeitsplätze. Als letzter symbolischer Akt wurde die 2009 von den Brüdern gegründete wohltätige Stiftung ganz auf den Herzog von Cambridge und seine Frau übertragen. Meghan und Harry gründeten ihre eigene Stiftung, die mithilfe von reichen Spendern globale Projekte fördern soll. Tut sich da eine Tür auf zu sinnvoller und gut bezahlter Tätigkeit?

Die offenbar angestrebte Hybridlösung jedenfalls halten viele Kenner der Materie für kaum durchführbar. "Die Königsfamilie kennt keine Hybriden, und progressive schon gar nicht", urteilt Robert Hardman von Daily Mail. Der Historiker Andrew Wilson stimmt ihm zu: "Das Königshaus soll ja gerade nicht frisch sein, sondern traditionell, ja langweilig." Paradebeispiel für einen erfolgreichen royalen Neuzugang, glaubt die Drehbuchautorin Daisy Goodwin, sei Williams Gattin Kate, deren 38. Geburtstag am Donnerstag von den Ereignissen überschattet wurde: "Sie ist eine ‚Stepford wife‘" – im englischen Sprachgebrauch ein Synonym für eine elegante, freundliche, weitgehend stumme Gattin.

Dazu hat Meghan Markle gewiss nie getaugt. (Sebastian Borger aus London, 9.1.2020)