Der Professor für Bioethik, Peter Singer, beurteilt im Gastkommentar die Tötung des iranischen Generals Soleimani kritisch und fragt, ob das Recht auf Leben nicht für Schurken gelte.

Am 3. Jänner verübten die USA einen Anschlag auf Ghassem Soleimani, einen der ranghöchsten iranischen Militärkommandeure, während dieser zusammen mit Abu Mahdi al-Muhandis, einem irakischen Führer der vom Iran unterstützten Miliz Kataib Hisbollah, in einem Auto den internationalen Flughafen von Bagdad verließ. Alle Autoinsassen wurden getötet.

Trauernde Iraner beim Begräbnis von Ghassem Soleimani in dessen Geburtsstadt Kerman. Der getötete General wird im Iran als Märtyrer verehrt.
Foto: APA/AFP/ATTA KENARE

Auf einer extra einberufenen Pressekonferenz sagte ein ungenannter leitender Vertreter des US-Außenministeriums, dass Soleimani seit 20 Jahren "der wichtigste Architekt" iranischer Terroranschläge gewesen sei und "allein im Irak 608 Amerikaner getötet" habe. Soleimani und al-Muhandis seien von den Vereinten Nationen zu Terroristen erklärt worden, und beide seien "Musterbeispiele für Schurken".

Im Jahr 2003 waren die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse der USA über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen völlig falsch. Diese Fehler führten zur Invasion in den Irak, die den Weg freimachte für das Engagement des Iran und Soleimanis im Lande. Doch gehen wir davon aus, dass die Äußerungen der US-Regierung diesmal den Tatsachen entsprechen. War der tödliche Anschlag auf Soleimani und al-Muhandis ethisch vertretbar?

Recht auf Leben

Wir können mit der Annahme beginnen, dass es falsch ist, Menschen zu töten. Präsident Donald Trump wird das nicht bestreiten. Vor einem Jahr erklärte er: "Ich werde das erste Recht in unserer Unabhängigkeitserklärung, das Recht auf Leben, immer verteidigen." Trump richtete seine Bemerkungen an aktive Abtreibungsgegner, doch wenn Föten ein Recht auf Leben haben, muss dies für ältere Menschen ebenfalls gelten.

Aber gibt es eine Ausnahme für "Schurken"? Lassen Sie uns, um die Argumentation auch hier weitestmöglich zu vereinfachen, davon ausgehen, dass das Recht auf Leben nur Unschuldige schützt. Wer soll diese Unschuld beurteilen? Wenn wir, wie es die Amerikaner häufig für sich in Anspruch nehmen, "eine Regierung der Gesetze, nicht Einzelner" bevorzugen, muss es ein gesetzliches Verfahren zur Entscheidung der Schuld geben. Seit 2002 bemüht sich der Internationale Strafgerichtshof, ein derartiges Verfahren weltweit zur Anwendung zu bringen. Das Gericht hat einige bemerkenswerte Erfolge bei der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzuweisen, doch seine Kompetenzen sind begrenzt, und die Weigerung der USA, sich den 122 anderen Ländern anzuschließen, die die Zuständigkeit des Gerichts anerkannt haben, hat nicht zu dessen Einfluss beigetragen.

Wer (ver)urteilt?

Agnès Callamard, Sonderberichterstatterin für außergesetzliche, standrechtliche oder willkürliche Hinrichtungen im Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, hat im Gefolge der Tötung Soleimanis erklärt, dass es keine Aufsicht über außerhalb der Grenzen eines Landes durchgeführte gezielte Tötungen gebe. Die Exekutive entscheide einfach ohne ordnungsgemäßes rechtliches Verfahren oder die Zustimmung einer anderen staatlichen Gewalt, wer getötet werden solle. Ein derartiges Handeln zu akzeptieren macht es schwierig, prinzipielle Einwände gegen ähnliche von anderen Ländern geplante oder durchgeführte Tötungen zu finden. Dies schließt den angeblich von Soleimani selbst konzipierten Anschlagsversuch im Cafe Milano in Washington, D.C., von 2011 ein, bei dem iranische Agenten planten, den saudischen US-Botschafter zu töten, während dieser zu Mittag aß.

Das Einzige, was die USA zur Verteidigung ihrer Tötungen vorbringen können, ist, dass ihr Ziel echte Schurken seien und dass der saudische Botschafter keiner gewesen sei. Damit stellen sie die Entscheidungen durch Einzelne über den Rechtsstaat.

Die andere Rechtfertigung, die das Pentagon für die Tötung anbot, war ein vager Verweis auf eine "Abschreckung gegen künftige iranische Anschlagspläne". Wie Callamard aufzeigt, ist dies nicht dasselbe wie ein "unmittelbar bevorstehender" Angriff, der nach internationalem Recht erforderlich ist, um ein Handeln zur Selbstverteidigung zu rechtfertigen. Sie verwies zudem darauf, dass bei dem Anschlag noch weitere Menschen getötet wurden – laut Berichten starben dabei insgesamt sieben Personen –, und deutete an, dass es sich bei diesen weiteren Toten eindeutig um ungesetzliche Tötungen handele.

Gerechter Krieg

Eine sorgfältige Lektüre der Mitschrift der Pressekonferenz dreier leitender Vertreter des US-Außenministeriums zeigt die wahre Denkweise der Trump-Regierung. In Reaktion auf wiederholte Fragen bezüglich der Rechtfertigung für den Anschlag verglich ein Regierungsvertreter diesen mit dem 1943 erfolgten Abschuss eines Flugzeugs mit dem japanischen Admiral Isoroku Yamamoto an Bord. Yamamoto besuchte damals japanische Truppen im Pazifik, und der Vorfall ereignete sich während des Krieges, mehr als ein Jahr nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor. Ein anderer Regierungsvertreter sagte: "Wenn ich diese Fragen höre, dann ist das, als beschrieben Sie Belgien während der letzten 40 Jahre. Es handelt sich um das iranische Regime. Wir haben es mit 40 Jahren Kriegshandlungen zu tun, die dieses Regime gegenüber Ländern auf fünf Kontinenten begangen hat." An einer Stelle platzte es aus dem Regierungsvertreter, der den Anschlag mit der Tötung Yamamotos verglichen hatte, heraus: "Jesus, müssen wir erklären, warum wir diese Sachen tun?"

Wenn leitende Vertreter des US-Außenministeriums der Ansicht sind, dass sich die USA in einem gerechten Krieg mit dem Iran befinden so wie mit Japan im Jahre 1943, ergibt die Tötung Soleimanis Sinn. Laut der gängigen Theorie vom gerechten Krieg dürfen sie ihre Feinde töten, wann immer sie Gelegenheit dazu haben, solange die Bedeutung des Ziels den sogenannten Kollateralschaden – die Schädigung Unschuldiger – übersteigt.

Negative Folgen

Doch die USA befinden sich nicht im Krieg mit dem Iran. Die US-Verfassung gibt dem Kongress die alleinige Befugnis, den Krieg zu erklären, und dem Iran wurde nie der Krieg erklärt. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sagt, dass die Kongressführung bezüglich des Plans zur Tötung Soleimanis hätte konsultiert werden müssen. Wenn es sich dabei um eine Kriegshandlung handelt, hat sie recht.

Falls die Tötung andererseits keine Kriegshandlung war, handelte es sich dabei um eine außergesetzliche Tötung, die, da sie nicht notwendig war, um einen unmittelbar bevorstehenden Angriff abzuwehren, sowohl ungesetzlich als auch unethisch war. Sie birgt die Gefahr ernster negativer Folgen – nicht nur die Eskalation gegenseitiger Vergeltungsmaßnahmen im Mittleren Osten betreffend, sondern auch, indem sie zu einem weiteren Niedergang der internationalen Rechtsordnung beiträgt. (Peter Singer, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 9.1.2020)