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Reste des Fahrwerks der Unglücksmaschine.

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Teile der abgestürzten Boeing.

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Eines der beiden Triebwerke.

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Das Leitwerk.

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Wurde die Passagiermaschine versehentlich abgeschossen?
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Nach dem Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs bei Teheran rückt in den USA, in Großbritannien und in Kanada der Verdacht eines versehentlichen Abschusses durch eine iranische Rakete in den Vordergrund. Nach Angaben des kanadischen Regierungschefs Justin Trudeau deuten Geheimdienstinformationen darauf hin, dass die Maschine "von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde". Dies könnte unabsichtlich geschehen sein, sagte Trudeau am Donnerstagabend. Auch der britischer Premier Boris Johnson vermutete einen Abschuss.

Die Führung in Teheran bezeichnete diese Darstellung als "psychologische Kriegsführung" gegen den Iran. Das iranische Außenministerium forderte Kanada wenig später auf, Einsicht in die entsprechenden Geheimdienstberichte zu gewähren.

Iran und Ukraine fordern Beweise

Die iranische Luftfahrtbehörde forderte die USA und Kanada auf, ihre Informationen über einen möglichen Abschuss der ukrainischen Maschine an die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO zu übergeben.

Bevor Schlussfolgerungen gezogen würden, müssten erst die Fakten geklärt werden, sagt der Chef der Behörde, Ali Abedsadeh. Jeder müsse vorsichtig sein, wenn solche Angaben von Politikern verbreitet würden. Die Echtheit der Aufnahmen, die zeigen sollen, wie das Flugzeug von einer Rakete getroffen wird, könne nicht verifiziert werden, fügte er an.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Freitag in Kiew: "Unser Ziel ist es, die unstrittige Wahrheit herauszufinden". Das sei auch die internationale Gemeinschaft den Familien der Opfer schuldig. "Der Wert eines Menschenlebens ist höher als jegliche politische Motive."

Vor allem an die Regierungen von Kanada, Großbritannien und den USA gerichtet sagte das Staatsoberhaupt weiter: "Wir rufen alle internationalen Partner (...) dazu auf, der Ermittlungskommission Daten und Beweise zu vorzulegen, die die Katastrophe betreffen."

Iran: Ermittlungen könnten ein bis zwei Jahre dauern

Der Flugschreiber der abgestürzten Passagiermaschine kann einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens zufolge jedenfalls ausgewertet werden. Allerdings sei diese sogenannte Black Box ebenso beschädigt wie der Voice Recorder, der Stimmen aus dem Cockpit aufzeichnet. Laut den iranischen Behörden soll der Flugschreiber noch im Laufe des Freitags geöffnet werden. Ali Abedsadeh, dämpfte jedoch Hoffnungen auf eine rasche Klärung. Es könnte insgesamt ein bis zwei Jahre dauern, bis die Ermittlungen zum Absturz abgeschlossen seien.

Laut US-Regierungsvertretern haben Spionagesatelliten die Hitzesignatur zweier Luftabwehrraketen aufgezeichnet, die kurz vor dem Absturz gestartet sind. Unmittelbar darauf sei eine Explosion in der Nähe der Boeing 737-800 registriert worden. Die US-Regierung sei sich daher sicher, dass die Boeing durch eine iranische Rakete abgeschossen wurde – wahrscheinlich ein Versehen der iranischen Luftabwehr, hieß es. Alle Insassen kamen bei dem Absturz um Leben: An Bord waren größtenteils Iraner und iranischstämmige Kanadier.

"New York Times"-Video soll Absturz zeigen

Von einem möglichen Fehler hatte zuvor auch US-Präsident Donald Trump gesprochen: Er habe das Gefühl, dass etwas sehr Schreckliches passiert sei. Details nannte er aber nicht. Aus US-Sicherheitskreisen wurde verlautet, die USA prüften nun die Möglichkeit, dass die Boeing 737 versehentlich abgeschossen wurde. Das US-Verteidigungsministerium lehnte eine Stellungnahme ab.

Die "New York Times" veröffentlichte am Donnerstagabend ein Video, das die Darstellung der USA, Kanadas und Großbritanniens bekräftigen könnte. Dieses zeige, wie das ukrainische Passagierflugzeug Minuten nach dem Start von einem Geschoss getroffen wurde. Die US-Tageszeitung verifizierte nach eigenen Angaben den Standort des Videos durch einen Vergleich mit dem letzten bekannten Standort des Flugzeugtransponders.

US-Behörde beteiligt sich an Untersuchungen

Mehrere iranische Behörden haben am Donnerstag wiederholt bekräftigt, dass eine technische Ursache zu der Katastrophe geführt habe. Luftfahrtbehörden-Leiter Abedsadeh, sagte, bei der US-Darstellung handle es sich um "unlogische Gerüchte". "Wissenschaftlich gesehen ist es unmöglich, dass eine Rakete die ukrainische Maschine getroffen hat."

Bei der Pressekonferenz gestand Abedsadeh aber, dass der Iran ausländische Hilfe bei der Auswertung der Blackbox brauche – weil diese zu beschädigt sei. Ukrainische Experten seien in Teheran angekommen, um zu helfen. Außerdem würden sich Boeing-Fachleute aus den USA, Kanada und Frankreich an den Untersuchungen zur Absturzursache beteiligen, sagte Abedsadeh. Am Donnerstag hat auch die US-Behörde für Transportsicherheit in Washington erklärt, dass sie sich an der Untersuchung beteilige.

Laut iranischem Ermittlungsstand befand sich die Unglücksmaschine vor dem Absturz auf dem Rückweg zum Flughafen. "Wegen eines technischen Defekts hat die Maschine Feuer gefangen, und dies führte zum Absturz", hatte Verkehrs- und Transportminister Mohammed Eslami zuvor der iranischen Nachrichtenagentur ISNA gesagt.

Veränderte Einschätzung der Sicherheitslage

Auch die Ukraine hat einen Raketenangriff oder einen Terroranschlag als Ursache nicht ausgeschlossen. Bei dem Absturz am Mittwoch starben nach Behördenangaben 82 Iraner, 63 Kanadier, elf Ukrainer, zehn Schweden, vier Afghanen, drei Deutsche und drei Briten. Kurz zuvor hatte der Iran Raketen auf US-Militärstützpunkte im Irak abgefeuert.

Entgegen den Angaben des ukrainischen Außenministeriums geht das deutsche Auswärtige Amt aktuell nicht davon aus, dass beim Absturz auch Deutsche ums Leben gekommen sind. Man habe "derzeit keine entsprechenden Erkenntnisse", hieß es aus Berlin.

Wegen der "veränderten Einschätzung der Sicherheitslage" streicht die AUA nun doch ihre Flüge nach Teheran. Eine bereits am Weg befindliche Maschine drehte Donnerstagabend in Sofia wieder um – und die morgige Rotation wird nicht stattfinden, teilten Austrian Airlines mit. (red, APA, Reuters, 9.1.2020)