Das Statement-Festival in Göteborg ist weiblichen Zuschauerinnen vorbehalten.

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Die Aufregung im Juli 2018 war groß: Während die halbe Welt über #MeToo diskutierte, verabschiedete Schweden ein international aufsehenerregendes Gesetz. Nurmehr ein ausdrückliches Ja zum Sex gilt laut schwedischem Sexualrecht seither als Ja: Die beteiligten Partner müssen klar erkennbar damit einverstanden sein. Alles andere gilt seither als Vergewaltigung, auch wenn sich ein Partner nicht verbal oder körperlich wehrt.

Passivität wird also nicht mehr mit Zustimmung gleichgesetzt; und während das Gericht dem Beschuldigten bisher vorsätzliches Handeln nachweisen musste, betont es nun dessen Pflicht, sich zu vergewissern, dass der Partner oder die Partnerin den Geschlechtsakt auch wirklich will. "Unachtsame Vergewaltigung" lautet der neue Straftatbestand, der mit mindestens vierzehn Tagen und bis zu vier Jahren Haft geahndet werden kann.

"Grob fahrlässig gehandelt"

Im Juli 2019 sprach dann das Oberste Gericht erstmals ein Urteil auf Grundlage des neuen Gesetzes. Acht Monate Gefängnis lautete die Strafe für einen Mann, der eine Internetbekanntschaft besucht, mit ihr im Doppelbett übernachtet und schließlich mit ihr Sex gehabt hatte – wobei die Frau die sexuellen Handlungen passiv hinnahm. Nach eigener Aussage hatte sie zuvor der gemeinsamen Übernachtung zwar zugestimmt, Geschlechtsverkehr aber abgelehnt. Der Mann habe nicht nachweislich mit Vorsatz gehandelt, befand das Gericht. Er sei jedoch grob fahrlässig vorgegangen.

Laut einer Untersuchung des Schwedischen Rundfunks vom vergangenen November gab es seit Juli 2018 in Schweden an die 200 Anzeigen wegen "unachtsamer Vergewaltigung"; etwa zwanzig Personen wurden verurteilt. Verlässliche Statistiken liegen aber noch nicht vor, und für Schlussfolgerungen darüber, wie das Gesetz Schwedens Rechtsprechung beeinflusst hat, ist es laut übereinstimmender Expertenmeinung zu früh.

Längere Strafen bei Gewalt

Eine erste Bilanz soll der staatliche Rat für Kriminalitätsprävention im Juni vorlegen. "Schon jetzt kann man aber feststellen: Es gab Anklagen und Verurteilungen in mehreren Fällen, bei denen das früher nicht möglich gewesen wäre, da keine Gewalt im Spiel war", sagt Katarina Bergehed, Expertin für Frauenrechte bei Amnesty International Schweden, im Gespräch mit dem STANDARD. Zudem gebe es Anzeichen dafür, dass nun bei Fällen von Gewaltanwendung längere Freiheitsstrafen verhängt werden. Im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Gesetzes hat Schweden auch das Strafmaß für den herkömmlichen Tatbestand der Vergewaltigung geändert. Es beträgt jetzt zwei bis sechs, bei schweren Vergehen maximal zehn Jahre.

Die Chance, der Justiz zu entkommen, ist für schwedische Sexualstraftäter insgesamt aber nach wie vor groß. Gerade einmal zwölf Prozent aller Anzeigen wegen Vergewaltigung einer volljährigen Person führten 2018 zu einer Anklage, 197 Personen wurden schließlich verurteilt.

Schleppende Ermittlungen

Zwar sei die Gesetzesänderung von 2018 ein positiver Schritt zum Schutz persönlicher Integrität und für sexuelle Selbstbestimmung, sagt Bergehed. "Wichtig ist nun allerdings, dass das Potenzial des Gesetzes nicht verpufft." Neben besseren polizeilichen Arbeitsmethoden, insbesondere bei Verhören, mahnt die Expertin eine stärkere Konsequenz bei der Strafverfolgung von Sexualverbrechen ein. Angesichts wachsender Bandenkriminalität inklusive Schusswechseln und Bombenattentaten sind die Ermittlungen bei Sexualverbrechen oft schleppend.

Eine konsequentere Strafverfolgung wäre schon deshalb dringend geboten, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu heben. Das zeigt eine aktuelle landesweite Untersuchung. Der Rat für Kriminalitätsprävention geht demnach von knapp 150.000 schwerwiegenden Sexualverbrechen im Jahr 2018 aus – nur ein Bruchteil davon wurde überhaupt angezeigt. Da hilft es auch wenig, dass die Polizei bei großen Veranstaltungen verstärkt im Einsatz ist. 2018 wurde ein großes Festival gestrichen, weil es im Vorjahr zu mehreren Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen gekommen war. Manche Veranstaltungen, wie etwa das Statement-Festival in Göteborg, sind nur noch für Frauen geöffnet. Beim Vertrauen der Schwedinnen und Schweden in das Rechtswesen ist noch viel Luft nach oben. (Anne Rentzsch, 11.1.2020)