Zu Besuch bei der Großmutter.

Foto: imago

(Zukunft. Geräumiges Zimmer in einem Seniorenheim in einem Vorort von Wien. Künstliches Licht. Fenster geöffnet. Klimaanlage in Betrieb. An der Wand über dem Bett, umgeben von mehreren Porträtfotos, die Fotografie der österreichischen Bundesregierung bei ihrer Angelobung am 7. Jänner 2020. Auf ihrem Bett sitzend, in Trainingshose und Strickjacke, Großmutter. Ihr gegenüber auf Stühlen zwei Enkelkinder.)

GROSSMUTTER (lächelnd): Ach, Kinder, jetzt hab’ ich es euch schon so oft erzählt, und ihr wollt es immer wieder hören … Aber stimmt schon, es war ja wirklich spannend damals … Auf Messers Schneide ist es gestanden … Der Kurz … Ein unheimlich gewiefter Verhandler … Mit allen Wassern gewaschen … (Hustet.) Wollt’ unbedingt, dass es so bleibt wie vorher … Aber nicht mit uns, haben wir gesagt ... Wir sind es den WählerInnen schuldig, dass sich was ändert … Hat er probiert Einzelgespräche, hat er gedacht, irgendeine wird schon umfallen oder irgendeiner … Aber da hat er sich getäuscht … Wir sind zusammengestanden wie ein- … (Hustet.) Na ja, zusammengestanden halt, da hat kein Blattl Papier gepasst zwischen uns … Ich bin sicher, dass er einigen von uns sogar Geld anbieten wollt’, unauffällig, gell, so dass ihm niemand was ankann … Hände in Unschuld, ihr wisst schon … Aber wir haben das sofort durchschaut ... Wir haben gesagt, entweder das wird geändert oder wir können die Verhandlungen gleich abbrechen … Hat er gesagt, gut, die Freiheitlichen sind ihm sowieso inhaltlich näher, haben wir ge- … (Hustet längere Zeit.) Haben wir gesagt, uns auch recht, soll er halt wieder mit den Freiheitlichen, wenn er meint, die WählerInnen werden eine Freud’ haben, wenn er wieder mit dem Kickl daherkommt. (Lacht.)

ERSTES ENKELKIND: Und dann?

GROSSMUTTER: Na ja, das war’s dann, damit war klar, dass ihm nichts anderes übrigbleibt. Und weg waren s’, die 140er-Taferln, weg war s’, die Teststrecke, Tempo 130, so wie wir’s gefordert haben, und basta.

ZWEITES ENKELKIND: Super!

ERSTES ENKELKIND: Ich bin schön froh, dass ihr standhaft geblieben seid!

GROSSMUTTER: Kannst du auch sein! Ich möcht’ nicht wissen, wie’s in unserm Land heute ausschauen tät’, wenn wir damals nicht in die Regierung gegangen wären. (Hustet längere Zeit, dann zum zweiten Enkelkind:) Geh, machst du bitte das Fenster zu? Es kommt ja die ganze schlechte Luft herein.

ZWEITES ENKELKIND (steht auf und schließt das Fenster)

(Vorhang) (10.1.2020)