Für Sebastian Kurz ist dieser Auftritt sichtlich ein Akt der Genugtuung, Freitagvormittag im Parlament. Der neue alte Kanzler, neben ihm sitzt seine frischangelobte türkis-grüne Riege, hebt stehend zur zweiten Regierungserklärung in seiner steilen Politkarriere an: "Wir schlagen ein neues Kapitel auf", verspricht der ÖVP-Chef stolz vor dem Nationalrat und mit entspannten Zügen – um schon nach wenigen Sätzen daran zu erinnern: Das letzte Mal, also vor rund sieben Monaten, sei ihm hier das Misstrauen ausgesprochen worden. Damals verfolgte Kurz mit steinerner Miene, wie ihn Rot, Blau und die Liste Jetzt stürzten. Doch er, Kurz, sei mittlerweile "zurückgewählt" worden, betont er – und daher sei für ihn heute auch "ein Tag der Demokratie" und "ein Tag der Dankbarkeit".

Lange Rede, kurzer Sinn: Auf der Regierungsbank wandte sich Grünen-Chef Kogler gegen "falsche Führer und Verführer" – prompt prangerte die Opposition seine Umfaller an.
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Auf der Galerie verfolgt auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, oberster Troubleshooter der Republik im Zuge der Nachbeben des blauen Ibiza-Gate, das Geschehen. In seiner Rede dankt Kurz nicht nur den "Österreicherinnen und Österreichern", sondern auch dem Staatsoberhaupt, denn: "Die Übergangsphase war keine leichte Zeit für unser Land", meint er. Gleich neben ihm, wo bis vor kurzem noch Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Platz genommen hat, sitzt nun Kurz’ neuer grüner Vize Werner Kogler.

Prompt beschwört Kurz in seiner Regierungserklärung gleich zweimal "die Schöpfung", die es angesichts der Klimakrise nun zu schützen gelte – und noch viel öfter bedankt er sich bei Kogler, mit dem "eine neue Art der Kompromissfindung" bei der Erstellung des Koalitionsprogramms möglich war. Herausgekommen ist für Kurz bekanntlich "das Beste aus beiden Welten" – auch diese Formel hat er für Türkis-Grün schon mehrmals bemüht. Für Kurz bedeutet das: Die Schuldenquote auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung drücken, die Menschen in Beschäftigung halten und illegale Migration reduzieren. Gleich sechs seiner Regierungsmitglieder von insgesamt zehn türkisen Ministern plus einem Staatssekretär lobt Kurz als Experten dafür, "den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken".

Wehrhaft statt verschreckt

Nach rund zwanzig Minuten ist Vizekanzler Kogler am Wort. Der Grünen-Chef legt seine Rede hörbar spontaner an, weshalb sich sein Auftritt aber auch auf eine gute halbe Stunde ausdehnt. Gleich vorweg lobt Kogler "das Megaressort", das seine Parteifreundin Leonore Gewessler leiten darf und in dem die Agenden Klima, Umwelt, Energie, Mobilität und Technologie unter einem Dach vereint seien. Dazu sollen abgasarme Autos günstiger, "große Stinker" dagegen teurer werden.

Unter Sozialminister Rudi Anschober wiederum verspricht Kogler nicht nur einen Kurs der sozialen Absicherung, sondern auch einen verstärkten Dialog mit den Sozialpartnern – die unter Türkis-Blau bekanntlich links liegengelassen wurden.

Als emotionalen Höhepunkt seiner Rede wählt Kogler dann die Begegnung mit den Eltern von Alma Zadic bei deren Angelobung als Justizministerin: Für ihn "einer der bewegendsten Momente" der letzten Wochen, wie er sagt – weil ihre Familie während des Kriegs in Bosnien nach Österreich geflohen ist. Angesichts des von FPÖ-Politikern losgetretenen Shitstorms gegen Zadic hält Kogler einmal mehr fest: "Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht!"

Generell wendet sich der grüne Vizekanzler gegen nationalistische, illiberale Tendenzen, gegen "falsche Führer und Verführer", die den Rechtsstaat bedrohen, und stellt "eine wehrhafte Demokratie" in Aussicht. Abschließend wendet sich Kogler in Richtung Opposition, um "die Hand" zu allen Fraktionen auszustrecken, für eine gute Zusammenarbeit im Hohen Haus.

Freud'scher Versprecher

Danach schlägt die Stunde von Rot, Blau und Pink, die das 326-seitige Regierungsabkommen von Türkis-Grün zerpflücken. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner lobt zwar vorweg den Kampf gegen Klimakrise und Rassismus, liefert dann aber wegen der ÖVP-Dominanz in der Koalition gleich einen Freud’schen Versprecher: Sie redet von einem schwarzen Programm "mit türkiser Tarnfarbe", ehe sie auf "grüne Tarnfarbe" verbessert. Gelächter im Saal.

Doch Rendi-Wagner fährt mit ernstem Gesicht fort, dass in vielen Bereichen der türkis-blaue Kurs fortgesetzt werde: Für einen fairen Familienbonus sei kein Geld da, und Menschen, die sich 45 Jahre lang abrackern, dürften bald wieder nicht mehr abschlagsfrei in Pension gehen. Gemeint ist damit die anvisierte Rücknahme der Hacklerreglung. Stattdessen gäbe es Steuersenkungen für Reiche und Konzerne.

Dennoch sei sie zu einer Zusammenarbeit bereit, sagt Rendi-Wagner – nach dem Misstrauensvotum gegen Kurz und Co tritt sie an die Regierungsbank, um dem Jetzt-wieder-Kanzler "eine zweite Chance" zu geben. Doch Kurz schüttelt ihr nur kurz die Hand, um sich dann sogleich wieder abzuwenden. Anders Kogler, der sofort aufsteht, um die SPÖ-Chefin herzlich zu bestärken.

Pakt für Bobos und Bürgerliche

Danach geht FPÖ-Klubchef Herbert Kickl mit Türkis-Grün ins Gericht. Mehrmals verhöhnt er die neue Regierung als "Greta-Koalition" in Anspielung auf die schwedische Klimaschutzaktivistin, welche die Autofahrer noch viel Geld kosten werde. Danach ergötzt sich der freiheitliche Ex-Innenminister an den "Plagiaten" von Türkis-Blau, wie der von Türkis-Grün paktierten Sicherungshaft. "Was war das für ein Gejammer, eine Weltuntergangsstimmung!", spottet Kickl, um daran zu erinnern, wie er diese Maßnahme gegen Gefährder umsetzen wollte. Zadic, damals Abgeordnete von Jetzt, greift er als einst "eine der größten Hysterikerinnen" an. Dass nun ausgerechnet sie als Justizministerin, der die ÖVP im Zuge der Koalitionsverhandlungen den Verfassungsdienst zurück ins Kanzleramt transferiert hat, diese Maßnahme umsetzen müsse, bereitet Kickl offensichtlich besonderes Vergnügen.

Kickls Parteikollegin Dagmar Belakowitsch vermisst wiederum Maßnahmen für die arbeitende Bevölkerung – "das ist ein Programm für Bobos und neoliberale Bürgerliche!", ruft sie erbost in den Plenarsaal.

Neos-Klubchefin Beate Meinl-Reisinger will der neuen Koalition zwar eine Schonfrist gewähren, fordert allerdings vehement Nachbesserungen ein, weil: Im Regierungsprogramm seien so viele "Absichtserklärungen" ohne jede konkrete Finanzierbarkeit "drinnen".

Und auch der pinke Vizeklubchef Niki Scherak erinnert vor allem die Grünen an ihre früheren Dogmen: Das, was die Ökopartei im Koalitionspakt mit der ÖVP besiegelt habe, sei "die ultimative Bankrotterklärung für Grund- und Freiheitsrechte", befindet er. Besonders der Plan, für einen angeblich verfassungskonformen Bundestrojaner und eine ebensolche Sicherungshaft zu sorgen, ist ihm ein Dorn im Auge. Scheraks Fazit in Richtung Kogler, Zadic und Co: "Es gibt keine menschenrechtskonforme Präventivhaft – und das haben Sie nicht verstanden!" (Nina Weißensteiner, 10.1.2020)