Karoline Edtstadler koordiniert Österreichs EU-Politik, setzt bei Klimaschutz und Migration auf Europa.

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Zwei Tage nach der Angelobung absolvierte Europaministerin Karoline Edtstadler den ersten offiziellen Auslandsbesuch in Frankreich. Dort war die Skepsis gegenüber Österreich wegen der FPÖ seit 2000 stets groß.

STANDARD: Ihre französische Amtskollegin Amélie de Montchalin hat die neue türkis-grüne Regierung freudig und offensiv begrüßt, die Vorbehalte gegen Wien wegen der FPÖ sind weg. Haben Sie das auch so empfunden?

Edtstadler: Ich war positiv überrascht über den sehr offenen Zugang. Das können wir als Österreich nutzen, auch wenn es in der Sache bei manchen Themen kontroversielle Einstellungen gibt. Mir ist es als Europaministerin ein Anliegen, mit allen EU-Mitgliedsstaaten ins Gespräch zu kommen. Aber ich habe natürlich nicht zufällig Frankreich für den ersten Auslandsbesuch ausgesucht.

STANDARD: Ist es eine Wende? Ihre Amtskollegin sprach von einer "progressiven Regierung"?

Edtstadler: Es ist vielleicht in gewisser Weise eine Wende. Vor allem aber birgt es eine riesige Chance. Ich habe als Abgeordnete im Europäischen Parlament erlebt, mit welcher Spannung Europa auf Österreich geschaut hat, ob sich eine Mehrheit für ÖVP und Grüne ausgehen wird, in welcher Form es zur Zusammenarbeit kommt.

STANDARD: Was wird anders?

Edtstadler: Die Volkspartei war immer die proeuropäische Kraft schlechthin. Jetzt haben wir eine Regierung, mit der es auf internationaler Ebene leichter sein wird.

STANDARD: Die Franzosen sehen Österreich in zentraler Rolle. Will die Regierung eine solche spielen?

Edtstadler: Nach diesem wirklich herzlichen Empfang habe ich große Hoffnung, dass wir tatsächlich als Vorreiter in Europa wahrgenommen werden. Wir können elementar mitgestalten, wie dieses Europa gestaltet wird, auch in der Konferenz zur Zukunft Europas, die bald starten wird. Die großen Dinge sollen auf EU-Ebene gelöst, die kleineren in den Mitgliedsstaaten belassen werden.

STANDARD: Was sind große Dinge?

Edtstadler: Das sind natürlich der Klimawandel, Migration, die Digitalisierung. Wir müssen mit dem Klimaschutz auch in Industrie, Wirtschaft und Landwirtschaft zukunftsorientierte Innovationen schaffen, müssen das verbinden. Besonders wichtig ist es, die Bürger mitzunehmen.

STANDARD: Im Regierungsprogramm wird zur Migration betont, dass Lösungen nur auf der europäischen Ebene gefunden werden können. Die FPÖ war da immer dagegen. Auch dabei eine Wende?

Edtstadler: Ich habe immer gesagt, dass wir die Migrationsfrage nicht auf nationaler Ebene lösen können. Es braucht eine gemeinsame europäische Lösung des Asylsystems. Seit April 2016 liegen sieben EU-Rechtsakte auf dem Tisch. Wir haben jetzt eine historische Chance, bei der Migrationspolitik einen Neustart zu schaffen, Unterschiede zu überwinden, alle an Bord zu holen, uns nicht auseinanderdividieren zu lassen.

STANDARD: Österreich braucht Einwanderung, um den Wohlstand halten zu können. In der öffentlichen Debatte zur Migration wird aber wieder nur das Negative betont, nicht das Ziel einer differenzierten Migrationsstrategie, Stichwort Sicherungshaft. Warum?

Edtstadler: Es ist richtig, dass wir geordnete Einwanderung brauchen, auch in Europa. Aber die Migration muss nach klaren Spielregeln ablaufen, wir müssen entscheiden, wer nach Europa kommen darf. Es muss klar sein, dass es keine illegale Migration geben darf. Aber es gibt eben auch Probleme, denen muss man entgegentreten können. Wir sind in Europa nicht ausreichend darauf eingestellt, dass wir einerseits einen großen Fachkräftemangel haben, andererseits aber auch viele Menschen im Inland haben, die integriert, ausgebildet werden müssen.

STANDARD: Geredet wird gerade fast nur über die Sicherungshaft.

Edtstadler: Die Sicherungshaft ist nur ein Teil dieses Migrationspakets. Vielleicht haben wir mit einem neuen Regierungspartner die Chance, dass das nicht so kontroversiell gesehen wird. Es gibt immerhin 15 EU-Mitgliedsstaaten, die eine Form der Sicherungshaft haben, also außerhalb von Untersuchungshaft, Strafhaft und Schubhaft noch eine weitere Möglichkeit, wenn es um Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geht und es eine gewisse Gefährdungseinschätzung gibt, zum Schutz der Bürger.

STANDARD: Warum kapriziert man sich so darauf?

Edtstadler: Wir haben ein klares Regelwerk, haben eine Verfassung, und die Europäische Menschenrechtskonvention steht in Österreich im Verfassungsrang. Es sollte jedenfalls möglich sein, eine Haftform zu schaffen, die Fällen vorbeugt, wie wir das in Dornbirn hatten. Ich stand schon 2019 einer solchen Haftform positiv gegenüber. Wir werden prüfen müssen, ob eine Verfassungsänderung notwendig ist, aber ich bin der Meinung, dass man das innerhalb des Rechtsrahmens der Europäischen Menschenrechtskonvention machen kann. Haft ist ein schwerer Eingriff in die Freiheitsrechte, dafür braucht ein Richter feststellbare Tatsachen, um eine Haft verhängen zu können.

STANDARD: Wie wird die EU-Politik in der Regierung abgewickelt? Wie sind die Grünen eingebunden?

Edtstadler: Es wird Gespräche zwischen Kanzler und Vizekanzler geben. Der Regierungschef ist der, der im Europäischen Rat die Letztentscheidung trifft. Dazu wird es eine Einbindung des Koalitionspartners geben.

STANDARD: Aber formell sind nur Sie zuständig, die grüne Staatssekretärin Ulrike Lunacek nicht?

Edtstadler: So ist es. Aber es gibt eine Koordinierung aller Regierungsmitglieder, der Fachminister, nicht nur der Grünen, sondern auch der ÖVP. Die werden im Kanzleramt koordiniert. Als Europaministerin bin ich dafür zuständig, die Dinge für den Bundeskanzler aufzubereiten, diejenige, die Europapolitik nach außen in europäischen Gremien vertritt, auch den Bürgern näherbringt. (Thomas Mayer, 10.1.2020)