Foto: Matthias Cremer

Ob Finanzminister Gernot Blümel auch den Römer Seneca zu seinen Lieblingsphilosophen zählt, wie sein Vorvorgänger Hartwig Löger? Nein, winkt der studierte Philosoph ab, die "lebensnahe Philosophie" Søren Kierkegaards sei ihm näher. Dessen Entweder – Oder sei sein philosophisches Lieblingsbuch, da gehe es auch um Ambivalenz, um Widerspruch.

STANDARD: Was ist denn der größte Widerspruch in Ihnen?

Blümel: Einmal habe ich mit den Blauen, einmal mit den Grünen regiert. Vielleicht ist das einer.

STANDARD: Mit den "Metamorphosen" von Ovid in der Hand hat man Sie auch schon abgebildet gesehen.

Blümel: Das war ursprünglich nicht intendiert, dass das Foto publiziert wird.

Ganz oben im Finanzministerium ist Gernot Blümel schon angelangt. Nicht gänzlich aus dem Blickfeld: das Wiener Rathaus.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Apropos Metamorphosen – zieht es Sie von Prinz Eugens Winterpalais bald ins Wiener Rathaus?

Blümel: Bei einer Wahl wird erst gewählt, dann wird ausgezählt, dann schauen wir weiter.

STANDARD: Sie kandidieren doch bei der Wien-Wahl als ÖVP-Chef?

Blümel: Das ist fix. Ich habe diese Position vor vier Jahren übernommen. Hätte ich damals jemandem gesagt, dass wir bei drei Bundeswahlen den zweiten Platz in Wien erzielen, hätte mich jeder für verrückt erklärt. Das ist aber gelungen. Aber lassen wir die Kirche im Dorf: Wir starten bei unter zehn Prozent.

STANDARD: In den Prognosen liegt die ÖVP bei rund 20 Prozent, und die rot-grüne Mehrheit in Wien könnte wanken.

Blümel: Ein ÖVPler hat einmal gesagt: Umfragen sind wie Parfum. Bitte gern daran riechen, aber nicht trinken. Die Wahrscheinlichkeit war noch nie so groß, dass Wien vielleicht gänzlich neu regiert wird, aber so groß sie ist, so klein ist sie auch.

STANDARD: Zu Ihren jetzigen Agenden: Im Regierungsprogramm fällt auf, dass ÖVP-Anliegen wie die Steuerentlastung sehr konkret verankert sind, grüne Forderungen aber sehr vage.

Blümel: Den Eindruck habe ich insofern nicht, als die Grünen sehr hart verhandelt haben. Das gilt besonders für Werner Kogler, der ein Überzeugungstäter ist – im positiven Sinne gemeint –, der sich auch sehr gut in der Materie auskennt. Andererseits spiegelt das Regierungsprogramm auch den Wahlausgang wider. Dazu kommt, dass es bei CO2-Abgaben oder -Bepreisung ein weit weniger ausgearbeitetes Grundkonzept gibt als beispielsweise bei der Senkung von Steuertarifen. Bei der Lohnsteuersenkung ist klar, wie es funktioniert, was es kostet. Bei der Bepreisung von umweltschädlichem Verhalten ist das viel komplexer.

Beim Verkehr haben ÖVP und Grüne keinen großen Durchbruch geschafft.
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STANDARD: Aber selbst bei simpleren Dingen wie der Abschaffung von klimafeindlichen Subventionen wie dem Dieselprivileg oder der Steuerbefreiung von Kerosin findet man im Regierungsprogramm nur vage Punkte oder Hinweise auf eine Arbeitsgruppe. Hat da nicht die ÖVP den Stempel aufgedrückt?

Blümel: Das ist eine Interpretation, die ich nicht in allen Bereichen nachvollziehen kann. Richtig ist, dass wir einen weiten Weg zu gehen haben, bis das Ergebnis dieser Arbeitsgruppe da ist. Aber: Es wird kommen, das ist sicher.

STANDARD: Die Lohnsteuerentlastung soll fix 2021 kommen?

Blümel: Ja, wir haben uns darauf geeinigt, dass wir die Steuerreform in Stufen angehen. Die erste Stufe wollen wir in diesem Jahr verhandeln und beschließen. Da geht es um die Senkung der ersten Tarifstufe, um die mittleren und kleineren Einkommen zu entlasten. Da sind auch die ersten Ökologisierungsmaßnahmen vorgesehen, beispielsweise die Flugticketabgabe, die NoVA-Adaptierung und die Spreizung der Lkw-Maut.

Bei der NoVA sollen die Tarife je nach CO2-Ausstoß stärker gespreizt werden.
Foto: APA/Helmut Fohringer

STANDARD: Die erste Stufe betrifft den Steuersatz von 25 Prozent, der auf 20 Prozent sinken soll. Wie geht es dann weiter?

Blümel: Das gilt es zu verhandeln. Insgesamt soll es zu einer massiven Entlastung der Menschen kommen, ohne neue Schulden zu machen. Die Entlastung soll so schnell wie möglich kommen, aber eingedenk der anderen Parameter: Investitionen im Klimabereich und ausgeglichener Haushalt. Wir haben fünf Jahre Zeit.

STANDARD: Wann kommt die Entlastung für Unternehmen in Form der Senkung der Körperschaftsteuer?

Blümel: Auch das ist eine Frage von Verhandlungen.

STANDARD: Die Grünen drängen darauf, die CO2-Bepreisung 2022 umzusetzen. Ist das realistisch?

Blümel: Wir haben ausgemacht, dass die Arbeitsgruppe in zwei Jahren beendet sein soll. Das würde heißen, dass es danach in Kraft gesetzt wird. Wann genau, das ist noch zu vereinbaren. Das Aufsetzen des Prozesses läuft gerade. Da sollen auch Experten mitarbeiten.

STANDARD: Was ist so kompliziert an einer CO2-Steuer, wie sie in Schweden oder der Schweiz schon lange eingehoben wird?

Blümel: In vielen Bereichen haben wir schon einen ähnlichen CO2-Preis wie Schweden, beispielsweise beim Benzin. Beim Heizen ist er dafür geringer. Die Frage ist, wie man das standortadäquat und sozial verträglich für die Menschen umsetzen kann.

STANDARD: Laut OECD liegt Österreich bei Abgaben auf Diesel und Benzin unter dem EU-Schnitt.

Blümel: Bei Benzin liegen wir, wenn alle CO2-relevanten Abgaben mitberücksichtigt werden, im internationalen Vergleich schon recht hoch, ungefähr auf schwedischem Niveau.

Gläserne Decke gibt es im BMF keine, dafür einen gläsernen Boden.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Sie planen auch einen Wegfall der Wertpapiersteuer, wenn Aktien länger behalten werden. Wie soll das genau aussehen?

Blümel: Die Behaltefrist ist erst auszuarbeiten. Es geht aber nicht darum, das Spekulantentum zu begünstigen, sondern Privaten bei extrem niedrigen Zinsen am Sparbuch die Teilhabe am Kapitalmarkt zu ermöglichen.

STANDARD: Derzeit zahlt man 27,5 Prozent auf Wertpapiergewinne, Arbeit wird mit bis zu 55 Prozent besteuert. Ist es angemessen, Kapitaleigner zu entlasten?

Blümel: Ja, weil am Sparbuch aktuell nicht einmal mehr die Geldwertsicherung zu erwarten ist. Das ist ein guter Kompromiss, weil damit auch der Kapitalmarkt belebt wird.

STANDARD: Die Entlastung macht rund sechs Milliarden Euro aus, mit weiteren Ausgaben kommt man auf acht Milliarden Budgetlast. Wie soll sich da ein ausgeglichener Haushalt ausgehen?

Blümel: Alle Maßnahmen zusammengerechnet kommt man wahrscheinlich ungefähr auf diese Summe, vielleicht etwas höher oder niedriger. Wenn man alles gleichzeitig umsetzen will, ja, dann würde sich das ohne Sparziele nicht ausgehen. Wir haben aber fünf Jahre Zeit und werden die Maßnahmen unseren Prioritäten nach ordnen – und daher wird sich das alles gut ausgehen.

STANDARD: Der Spitzensteuersatz für Topverdiener von 55 Prozent läuft aus – wird er verlängert?

Blümel: Das werden wir gemeinsam entscheiden.

STANDARD: Ihre Priorität?

Blümel: Möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wir werden das gemeinsam entscheiden.

STANDARD: Auch sonst gäbe es zwecks Gegenfinanzierung der Entlastungen diverse Ideen. Österreich hat international gesehen sehr niedrige Vermögenssteuern, keine Erbschaftssteuer. Zu alldem findet sich nichts im Regierungsprogramm. Warum nicht?

Blümel: Man hat sich nicht darauf geeinigt. (Andreas Schnauder, Renate Graber, 10.1.2020)