"Als ich vor drei Jahren mit starken Wehen ins Krankenhaus kam, wurde ich lieblos in Empfang genommen", erzählt die 27-jährige Irena Polz. "Im Kreißsaal wurde ich mit meinen Wehen alleingelassen. Nur alle paar Stunden schaute die Hebamme vorbei. Das machte mir wirklich Angst, denn ich war mit der Situation überfordert. Irgendwann waren die Wehen weg. Es gab einen Geburtsstillstand. Wieder rief ich die Hebamme, die genervt auf mich reagierte. Ein Arzt verabreichte mir ein Wehenmittel, das unaushaltbare Schmerzen auslöste. Danach folgte eine PDA. Die Hebamme und der Arzt pressten auf meinen Bauch, und zum krönenden Abschluss bekam ich einen ungefragten Dammschnitt."

Die Wienerin erzählt das Erlebte unter Tränen. Dem Kind ging es nach der Geburt gut, aber die körperlichen und seelischen Verletzung der jungen Frau waren groß. Ständig kreisen ihre Gedanken um die Frage, ob nicht alles ganz anders hätte laufen können. Wenn sie eine einfühlsame Hebamme gehabt hätte, die sie gut betreut. Die Geburt ihres Sohnes beschreibt sie als "traumatische Erfahrung", an der sie "noch lange zu nagen" habe.

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Am Ende ist man froh, dass man es geschafft hat und Mutter und Kind wohlauf sind. Das während der Geburt Erlebte prägt dennoch viele Frauen.
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Die Geburt als prägendes Ereignis

Nicht selten können sogar Großmütter die Geburtsgeschichten ihrer Kinder detailliert wiedergeben. Die Emotionen dieses Tages scheinen sich für immer in ihr Bewusstsein gebrannt zu haben. Sie erinnern sich sogar an einzelne Sätze, die der Arzt oder die Hebamme gesprochen hatten.

Ganz gleich, ob die Geburt als schön oder schlimm empfunden wurde, sie gehört zu den prägendsten Ereignissen im Leben einer Frau. Das Bewusstsein dafür ist mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Geburten werden immer sanfter. Selbstbestimmung ist ein großes Thema. Dennoch kommt es während der Geburt immer wieder zu Übergriffen, an denen die Frauen noch lange zu nagen haben. Eine abschätzige Bemerkung der Hebamme, Medikamente, die ohne zu fragen vom Arzt verabreicht werden, oder das schlichte Gefühl, nicht ausreichend betreut zu werden.

Gewalt oder Respektlosigkeit in der Geburtshilfe werden jährlich am "Roses Revolution Day" (25. November) sichtbar gemacht. Frauen legen an diesem Tag eine rote Rose oder einen Brief vor das Krankenhaus, in dem sie eine unwürdige Erfahrung machen mussten.

Hebammen unter Stress und Zeitdruck

Wie es zu solchen Vorkommnissen kommt, lässt sich aus Sicht des Hebammengremiums Österreich leicht erklären: "Die Geburtshilfe ist unterfinanziert, und nun zeigen sich an allen Ecken und Enden die Probleme", sagt Marianne Mayer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Wien. Immer mehr Hebammen arbeiteten in chronisch unterbesetzten Kreißsälen und seien einem Arbeitsdruck ausgesetzt, der ungesunde Ausmaße annehmen könne. "Eine einzelne Hebamme betreut inzwischen bis zu fünf Gebärende gleichzeitig. Das sind unzumutbare Bedingungen für die gebärenden Frauen und für die Hebammen."

Für die Frau und das Baby ist es während der Geburt enorm wichtig, dass das betreuende Team vor Ort Ruhe und Sicherheit vermittelt. Dies sei allerdings nur möglich, wenn man auch die Zeit habe, diese Aufgabe zu erfüllen. Stattdessen stehen viele angestellte Hebammen unter Stress, und der Druck bei der Arbeit nimmt immer mehr zu. So kommt es dazu, dass Frauen und Neugeborene im Kreißsaal immer öfter unzureichend versorgt sind. Mayer betont: "Ein positives Geburtserlebnis ist etwas, das jeder Frau und jedem Baby in Österreich zustehen sollte."

Geburtshilfe finanziell unattraktiv

In anderen Teilen Österreichs – auch in ländlicheren Regionen – sieht es nicht besser aus. Kathrin Schwarzenberger, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Tirol des Österreichischen Hebammengremiums, weiß, dass die Geburtshilfe als Leistung für die Krankenhäuser finanziell unattraktiv ist. Sie vermutet, dass deswegen die Kreißsäle dementsprechend personell am unteren Limit betrieben werden.

"Bei der Ausbildung zur Hebamme, welche drei Jahre dauert, lernt man eigentlich immer nur, wie man eine Patientin betreut", sagt sie. Im Berufsleben sehe das aber ganz anders aus. Dies bestätigt auch Mag. Beate Kayer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Burgenland des Österreichischen Hebammengremiums. Sie weiß, dass es heute keine Seltenheit ist, wenn man in einer Schicht von einer zur nächsten Frau rotiert. Schön sei das weder für die Hebammen noch für die Gebärenden.

Selbstbestimmte Geburt für die, die es sich leisten können

Kritik an der Geburtshilfe und am Klinikbetrieb kommt indes nicht nur vonseiten der Hebammen. "Ich bin davon ausgegangen, dass eine selbstbestimmte Geburt im österreichischen Gesundheitssystem eine Selbstverständlichkeit ist", sagt die feministische Bloggerin Antonia Wenzl. Bei der Geburt ihrer Tochter hat sie dann im Krankenhaus Dinge erlebt, die alles andere als selbstbestimmt abliefen: Ihr wurden Infusionen verabreicht, ohne über deren Zweck informiert zu werden, die Hebamme bestand auf eine bestimmte Gebärposition, und sie bekam teilweise gar nicht mit, was rund um sie passierte, weil keiner mit ihr sprach.

Bei der Geburt ihrer zweiten Tochter entschied sie sich dann für ein Geburtshaus, das von Hebammen betrieben wird – privat bezahlt, aber ein schönes Geburtserlebnis. Ihre Erkenntnis daraus: "Eine selbstbestimmte Geburt ist leider auch eine Frage der finanziellen Mittel – aber auch der persönlichen Kompetenzen. Denn es braucht Wissen und gegebenenfalls Mut, aufzustehen und zu widersprechen", sagt Wenzl.

Kayer vom Hebammengremium im Burgenland sieht das etwas anders: "Ein schönes Geburtserlebnis kann eine Frau auch im öffentlichen Krankenhaus erfahren." In ihrer 30-jährigen Erfahrung als Hebamme hat sie das häufig erlebt. Allerdings merkt sie an, dass dieses vor allem dann als positiv beschrieben wurde, wenn die Gebärende das Team vor Ort schon kannte. In Österreich kann man nur in wenigen Krankenhäusern die Wahlhebamme mit zur Geburt nehmen. Das sei ein Problem, an dem laut Kayer aber nach und nach gearbeitet wird.

Die Wahlhebammen sind wiederum selbst zu bezahlen. Die Rechnung kann zwar bei der jeweiligen Krankenkasse eingereicht werden, leisten muss man es sich dennoch können. In einer Privatklinik hingegen kann man sich das Team aussuchen – die Hebamme und den Arzt. Man führt vorab Gespräche, erstellt einen Geburtsplan und ist gut informiert. "Die Ökonomisierung in der Geburtshilfe und die Einsparungen beim Personal sind aber so weit fortgeschritten, dass eine Eins-zu-eins-Betreuung in öffentlichen Krankenhäusern praktisch unmöglich geworden ist", sagt Mayer von der Landesgeschäftsstelle Wien des Österreichischen Hebammengremiums.

Eins-zu-eins-Betreuung wäre optimal

Dabei gibt es zahlreiche Studien zur Geburtshilfe, die alle zum gleichen Ergebnis kommen: Frauen wünschen sich eine möglichst gleichbleibende Fachperson, die sie in der Schwangerschaft, während der Geburt und in den ersten Monaten danach gut betreut. Frauen wünschen sich eine Eins-zu-eins-Betreuung. Dann ist die Zufriedenheit der Frauen mit der Geburtshilfe am größten.

Die WHO-Geburtshilfe-Richtlinie (Infokasten unten) aus dem Jahr 2018 zur "Betreuung während der Geburt für ein positives Geburtserlebnis" spricht eine klare Empfehlung für Hebammen-geleitete Eins-zu-eins-Betreuung aus, bei der eine bekannte Hebamme oder eine Gruppe bekannter Hebammen die Frau in der Schwangerschaft, Geburt und Zeit nach der Geburt betreut.

Ein großer Cochrane-Bericht (Infokasten unten) aus dem Jahr 2015 vergleicht Hebammen geleitete Eins-zu-eins-Betreuung mit anderen Modellen der Schwangerenbetreuung und kommt zu dem Ergebnis, dass Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen zahlreiche Vorteile für Mütter und Babys bringt und keine negativen Auswirkungen hat – im Vergleich mit Betreuungsmodellen, bei denen Ärzte die Leitung haben oder die Leitung zwischen Ärzten und Hebammen geteilt wird. Der Cochrane-Report nennt als wesentliche Vorteile die geringeren Raten an Epiduralanästhesie, Dammschnitten und Interventionen während der Geburt, außerdem ein geringeres Frühgeburtsrisiko.

Hausgeburt in Österreich kostenlos

98 Prozent der Babys kommen in Österreich im Krankenhaus zur Welt. Nur ein kleiner Teil entscheidet sich für eine Hausgeburt. Diese wird mit einer Kassenhebamme zur Gänze von der Krankenversicherung übernommen. Allerdings erscheint diese Art der Geburt den meisten Frauen als zu risikoreich. Für Kayer wäre ein separates Geburtshaus neben der Klinik auch eine gute Lösung. Auf diese Weise könnten die Frauen gemeinsam mit der Hebamme in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre gebären. Für Notfälle stünde ein Team im Hintergrund parat.

Druck auf Gesetzgeber muss von Frauen kommen

Doch das Problem des Hebammenmangels hat nicht nur Auswirkungen auf die Geburt. Bereits in der Schwangerschaft und im Wochenbett sollten Frauen gut betreut werden. Kayer berichtet davon, dass es in Österreich Bezirke gibt, in denen man keine einzige Hebamme findet – weder Kassen- noch Wahlhebammen. Dabei ist im Mutter-Kind-Pass sogar ein Hebammengespräch in der 18. bis 22. Schwangerschaftswoche vorgesehen.

"Wenn man für die Nachbetreuung eine Kassenhebamme will, ist man in der 20. Schwangerschaftswoche schon zu spät dran", sagt Kayer. Das sei etwas, das sie als Hebamme immer ganz besonders schmerze. "Die Nachbetreuung im Wochenbett ist eine ASVG-Leistung, die gewährleistet sein muss. Und dann scheitert es an den finanziellen Mitteln." Gerade Frauen aus sozioökonomisch niedrigen Schichten würden am meisten von der Nachbetreuung profitieren, sagt Kayer. Es sei die Aufgabe der Politik, eine flächendeckende Betreuung durch Hebammen sicherzustellen.

Sie fordert Mütter und Väter dazu auf, hier Druck auf die Gesetzgeber aufzubauen, damit sich endlich etwas ändert. "Ich, aus der Berufsgruppe der Hebammen, werde dahingehend oft nicht gehört, weil unsere Wünsche für die Frauen als berufsgruppentypisches Geplänkel abgetan werden."

Wien braucht zusätzliche Hebammen-Studiengänge

Die Leiterin des Wiener Hebammengremiums fordert zusätzliche FH-Studiengänge für Wien. Zurzeit startet jedes Jahr ein Hebammen-Studiengang mit 30 Studienplätzen an der FH Campus Wien. Laut Mayer ist das in der aktuellen Situation viel zu wenig. Sie fordert als rasche Sofortmaßnahme, dass in den kommenden Jahren jeweils zwei Hebammen-Studiengänge starten. (Nadja Kupsa, 16.1.2020)