Der Bauernbefreier Hans Kudlich aus der K.-u.-k.-Zeit (Clara Liepsch) gerät im amerikanischen Exil auf das Filmset des Westerns "Giganten" und erhält die Rolle von James Dean.

Matthias Heschl

Die Welt ist komplex, und um diese Komplexität abzubilden, bemüht das Theater schonungslos auch komplexe Strategien. Autoren schieben Zeiten ineinander, vermischen Realität und Fiktion, lösen Figuren auf oder kippen Weisheitssprüche aus der Fachliteratur auf der Bühne ab. Und das alles gern im Eiltempo. Es liegt also nicht an Ihnen, wenn Sie im zeitgenössischen Theater streckenweise Bahnhof verstehen.

Schauspielhaus Wien

Überforderung tut aber auch gut. Denn alles andere, die Unterforderung, erzeugt am Theater rasch Ödnis und Langeweile. Autor Thomas Köck (34) ist eher auf der Überforderungsseite tätig. Seine Stücke sind Recherche- und Konzeptexplosionen, und wenn er selber auch bei der Regie Hand anlegt, wie jetzt am Schauspielhaus Wien an der Seite von Elsa-Sophie Jach, dann sollte man gewappnet sein für eine mehrfach verschachtelte Erzählweise und aufgeschlossen für brandneue dramatische Gattungen.

Wem gehört die Geschichte?

Uraufgeführt wurde nämlich ein "carbondemokratischer Spaghettiwestern". Alles halb so wild. Im Übertitel heißt das Stück Kudlich in Amerika und handelt – sehr grob gesprochen – von globalen Ausbeutungsverhältnissen. Who owns history lautet der Untertitel. Und insgesamt ist dieser Abend der "zweite Teil der Kronlandsaga". Kein Problem, wenn Sie beim ersten nicht dabei waren. Es gibt viele Chancen, einzusteigen.

Kudlich in Amerika ist ein vielschichtiges Erzählagglomerat über unsere Gegenwart, den Niedergang des Anthropozäns, also des Menschenzeitalters, angesiedelt in der "posthistorischen Sierra", einer verorteten Zukunft, die im Text mit "zweitausendachtzehnhundertvier und circa sechzig plus minus ein zwei volle jahre" beziffert ist.

Film als Gerüst

Besonders schön ist diese Zeit nicht, wenn man an den projizierten Katastrophenbildern (Bühne und Video: Stephan Weber) Maß nimmt. Köck lässt den nach Amerika ausgewanderten Bauernbefreier Hans Kudlich (1823–1917) auf das Set eines Filmdrehs in Texas geraten, genau genommen ist er (Clara Liepsch) plötzlich James Dean in der Rolle von Jett Rink im Western Giganten mit Elizabeth Taylor (Sebastian Schindegger) und Rock Hudson (Vera von Gunten) anno 1956. Die Filmmusik kommt passenderweise von Andreas Spechtl (Ja, Panik).

Ähnlich wie Kollege René Pollesch nützt Köck hier den Film als Folie für sein Thema Ausbeutung (Texas wurde den mexikanischen Bauern gestohlen) sowie als Dialoggerüst, um in schillernden Kostümen – Cowboys in Rüschenkleidung (Giovanna Bolliger) – über Kapitalismus, Ölindustrie und das Ende der Geschichte zu palavern. Eingebaut sind eine Reflexion über geschlechtsstereotype Figurendramaturgien (der Heldentod gehört den Männern), Kalamitäten unter Schauspielern und jede Menge O-Töne aus einschlägigen Endzeit-Sachbüchern.

"Control über die message"

Eine Figur namens Nobody (Jesse Inman) wird des Predigens nicht müde, erreicht naturgemäß aber auch nichts. Am Ende lösen sich die Reste der Kudlich’schen Identität auf und wird der Western zum Gleichnis für den Weltzustand: "Vierzig Krisen westwärts", und immer noch haben die gleichen die "control über die message". Klingt lustig, doch der steil konstruierte Text war auf diese locker hingeworfene Weise auf der Bühne nicht zu stemmen. (Margarete Affenzeller, 13.1.2020)