Diskursforscherin Ruth Wodak verweist auf die schleichenden Veränderungen im öffentlichen und politischen Diskurs.

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"Sicherungshaft" ist laut den Wissenschaftern ein Euphemismus für "Schutzhaft".

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Wien – Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich langsam: Das sagte am Montag Ruth Wodak, emeritierte Professorin für Diskursforschung, bei einer Pressekonferenz. Gemeinsam mit anderen Forschern des Wissenschaftsnetzwerks Diskurs warnte sie vor einer Normalisierung des Rechtsextremismus in Österreich. Etwa wenn von der "Sicherungshaft" die Rede ist. Dieser Begriff sei ein Euphemismus für "Schutzhaft", die es ermöglicht, Menschen auf Verdacht hin einzusperren.

Wodak verwies auf die schleichenden Veränderungen im öffentlichen und politischen Diskurs, wodurch sich Rechtsextremismus immer weiter verbreiten würde. Schritt für Schritt verschöben sich Begriffe. Dadurch gewöhne sich die Gesellschaft an Positionen, so Wodak. Auch Feindbilder aus der rechtsextremen Szene würden mittlerweile vom Mainstream übernommen: Nicht mehr nur die FPÖ beschuldige den Milliardär und Philanthropen George Soros, für Probleme aller Art verantwortlich zu sein, ob Migrationsströme oder die Verbreitung des Ibiza-Videos.

Österreicher wünschen sich illiberale Demokratie

Ein Blick auf die Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zeige, wie sehr autoritäre Muster in den Köpfen verankert seien: Circa 38 Prozent würden sich eine illiberale Demokratie à la Orbán wünschen, sagte die Meinungsforscherin Martina Zandonella vom Sora-Institut. Gleichzeitig stünden aber neun von zehn Menschen immer noch hinter der Demokratie. Diese Ambivalenz gelte es anzuerkennen und auch zu nutzen, sagte Zandonella. Ihre Befragungen hätten ergeben, dass Menschen primär mit rechten Erklärungsmustern in Berührung kommen. Andere Sichtweisen würden diese Menschen kaum erreichen.

Meinungsfreiheit und Hate-Speech

Wie sich eine solche schleichende Normalisierung rechtsextremer Positionen äußert, zeige sich an der aktuellen Diskussion rund um Meinungsfreiheit an Universitäten, sagte Rechtsextremismusexpertin Judith Götz. Nach Protesten von Studenten gegen den FPÖ-nahen Historiker Lothar Höbelt stellen mittlerweile Burschenschafter und Identitäre den Saalschutz. Am Dienstag sollen wieder Proteste gegen den Professor stattfinden, der in rechtsextremen Medien veröffentlichte und an einer Festschrift für den Holocaustleugner David Irving mitwirkte.

Nur auf den ersten Blick gehe es ihnen um die Meinungsfreiheit, sagte Götz. So hat ein führender Identitärer unter dem Hashtag #hatespeechisfreespeech wüste Beschimpfungen gegen Greta Thunberg verbreitet. "Hier wird unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nach Lust und Laune diskriminiert", so Götz.

Feindbild Justizministerin

Was diese Enttabuisierung von rechtsextremen Positionen konkret heißt, haben auch die Grünen vor wenigen Tagen zu spüren bekommen: Justizministerin Alma Zadic wurde Opfer einer großen Hasskampagne, die im Zusammenspiel von rechtsextremen Akteuren und der FPÖ befeuert wurde. Laut dem Wiener Soziologen Jörg Flecker spiele Rassismus hier eine zentrale Rolle: Er soll die Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen zementieren: Gastarbeiter sollen Gastarbeiter bleiben, in einem Ministerium hätten sie nichts verloren. (Laurin Lorenz, Markus Sulzbacher, 13.1.2020)