Im Gastkommentar sieht die Politikwissenschafterin Natascha Strobl die Grünen in der Koalitionszwickmühle.

"Klima und Grenzen schützen" wurde als Motto noch vor Angelobung der türkis-grünen Regierung ausgegeben. Ein Motto, das während der Verhandlungen wohl kaum konsensual gefunden wurde. Just zum Grünen-Bundeskongress gab Sebastian Kurz der Bild-Zeitung ein Interview, in dem er private Seenotretter für das Sterben im Mittelmeer verantwortlich machte. Inhaltlich ist das für die Grünen sicherlich nicht nach ihrem Geschmack, sind doch Organisationen wie Sea Watch, aber auch die Ärzte ohne Grenzen Teil ihres außerparlamentarischen Umfelds. Der Zeitpunkt war auch unpassend, war dieser Abend doch Werner Koglers Chance, auf dem Höhepunkt seiner Macht ganz hell zu scheinen.

Am Tag der Regierungsangelobung sprach Kurz dann im Ö1-Morgenjournal davon, dass Alma Zadić strafrechtlich verurteilt sei, er sie aber schätze und sie trotzdem zur Justizministerin vorschlagen werde. Auf Twitter (und nur dort) stellte er schnell klar, dass es natürlich um eine medienrechtliche Verurteilung ging. Für eine Entschuldigung fehlten wohl die Zeichen.

Strategie statt Unachtsamkeit

Schon während der Verhandlungen drangen angeblich bizarre Forderungen der Grünen nach außen. Sie würden wegen des Insektenschutzes das Flutlicht in Stadien abdrehen wollen. Anschließend gab Kurz den Retter des heimischen Fußballs. Mit betonter Lässigkeit lächeln Kogler und Co all diese "Fouls" weg und halten im Sinne der Koalition die zweite Wange hin.

Vizekanzler Werner Kogler muss sich von Kanzler Sebastian Kurz abgrenzen.
Foto: Matthias Cremer

Dabei übersehen die Grünen, dass das keineswegs Ausrutscher und Unachtsamkeiten sind, sondern dass es einer Strategie folgt. Mit immer wiederkehrenden kleinen und großen Nadelstichen wird so ein Koalitionspartner vorgeführt, gefügig gemacht und schlussendlich zermürbt. Das klingt dramatisch, deckt sich aber mit dem Vorgehen gegen die eigenen Leute in der ÖVP (wie es Reinhold Mitterlehner so treffend in seinem Buch beschrieben hat), gegen die SPÖ und auch gegen die FPÖ (wenngleich hier zu Beginn weitaus milder). Es ist bemerkenswert, mit welcher Vehemenz dies noch vor der Angelobung gegen die Grünen passiert ist.

Diese Nadelstiche sind auch ein Austesten, wie weit man gehen kann. Die Grünen wissen, dass sie eine Fassade des Wohlwollens zu erhalten haben und dementsprechend keinen lauten Widerspruch gegen den eigenen Regierungschef kundtun können. Das weiß eben auch die ÖVP. Das Perfide ist, dass die Grünen damit in eine Lose-lose-Situation gelangen. Wehren sie sich, riskieren sie wegen einer vermeintlichen Banalität den Koalitionszwist. Lassen sie es über sich ergehen, wirken sie schwach und lassen sich von der ÖVP treiben.

Sach- gegen Machtebene

Die ÖVP macht das aber nicht zum launigen Zeitvertreib, sondern weil es ihr dabei hilft, die eigene Agenda zu befördern. Die neue ÖVP unter Kurz hat einen Plan und will diesen kompromisslos umsetzen. Am Ende steht der autoritäre Umbau der Gesellschaft zuungunsten der schwächsten Gruppen. Während die Grünen versuchen, in dieser Regierung auf einer Sachebene zu arbeiten, arbeitet die ÖVP vor allem auf der Machtebene. Es geht nicht um Ausgleich, Kompromiss und Konsens, sondern um die Durchsetzung der eigenen Interessen und die Interessen derer, denen man verpflichtet ist.

Dagegenhalten ist schwierig. Trotzdem sollten die Grünen rote Linien einziehen. Nicht nur thematisch, sondern vor allem auch im Stil. Wenn sie tatsächlich an ein Miteinander in dieser Regierung glauben, dann müssen das auch alle zeigen. Mal als Opposition und mal als Regierung je nach Befindlichkeit zu agieren, wird für die Grünen nicht funktionieren, dann hätte man diese Koalition gar nicht erst eingehen brauchen. Wenn man wirklich der Meinung ist, dass diese Regierungskonstellation richtig und notwendig ist, dann sollte man sie selbstbewusst vortragen und sich nicht zum Spielball des Regierungspartners machen lassen. Freilich könnte man bei diesem Verhalten auch zu einem anderen Schluss kommen. Nämlich, dass ein Miteinander und ein Kompromiss, egal wie zaghaft, mit dieser ÖVP nicht möglich ist. (13.1.2020)