Seine Lebensgeschichte könnte den Stoff für gleich mehrere Agentenromane liefern. Wilhelm Höttls Karrierestationen werfen aber auch ein bezeichnendes Licht auf Österreich und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus – in der Zeit vor 1938 ebenso wie nach 1945. Noch als Student baut der 1915 geborene Höttl in Wien den Geheimdienst der illegalen SS mit auf, wird wegen Korruptionsverdachts kurz kaltgestellt, ehe er dank Ernst Kaltenbrunner 1944 vermutlich eine zentrale Rolle bei der Beraubung und Deportation zehntausender ungarischer Juden spielt.

SS-Sturmbannführer Wilhelm Höttl 1945, letzte Aufnahme in SS-Uniform.
Foto: holocaustresearchproject.org

Dass Höttl – ein Meister des Tarnens und Täuschens – dafür nach 1945 nie belangt wird und 50 Jahre nach Kriegsende sogar noch das Goldene Ehrenzeichen der Steiermark aus den Händen von Josef Krainer jun. erhält, verdankt er mehreren Umständen. Zum einen sagt er beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess gegen seine ehemaligen Freunde Adolf Eichmann und Kaltenbrunner aus, und von ihm wird Eichmanns Aussage der "sechs Millionen ermordeten Juden" überliefert.

Zum anderen dient er sich nach dem Krieg den US-Amerikanern an und verkauft sein geheimdienstliches Wissen und seine Netzwerke im Kalten Krieg teuer der US-Spionageabwehrabteilung CIC – ehe man dort erkennen muss, dass Höttl wenig Neues liefert und möglicherweise sogar Doppelspion für die Sowjets sein könnte. 1953 wird Höttl öffentlich enttarnt und bloßgestellt, womit die turbulente Agentenkarriere des damals 38-Jährigen beendet ist.

Vom Spion zum Schuldirektor

Fortan bestreitet der promovierte Historiker seinen Unterhalt als Privatschuldirektor im steirischen Bad Aussee, ehe er auch damit Bankrott macht. Zu den Schülerinnen und Schülern seiner Anstalten gehören André Heller ebenso wie die spätere Formel-1-Ikone Jochen Rindt oder die Schriftstellerin Barbara Frischmuth. Daneben betätigt er sich als Sachbuchautor und vor allem von Journalisten gefragter Zeitzeuge für die NS-Zeit und die Nachkriegszeit, ehe er 1999 stirbt.

Aus seinen letzten Lebensjahren datierte der Kontakt, den der ORF-Redakteur und damalige Geschichtestudent Martin Haidinger zu Höttl herstellte: Zunächst befragte ihn der Journalist 1996 als Zeitzeugen, kurz vor Höttls Tod machte er 1999 ein längeres Interview mit ihm, das allem Anschein nach Eindruck hinterließ: 2006 schloss Haidinger sein Geschichtestudium mit einer Diplomarbeit über den promovierten Historiker Höttl ab.

Noch einmal rund 14 Jahre später legte Haidinger, dem von seinem Arbeitgeber ORF eine ins Auge gefasste Mitarbeit am FPÖ-Historikerbericht untersagt worden war, auf Basis der Diplomarbeit vor kurzem eine Biografie Höttls vor, deren Lektüre gemischte Gefühle hinterlässt. Was man dem detailreichen Band gewiss nicht vorwerfen kann: dass man sich beim Lesen je langweilen würde.

Martin Haidinger, "Wilhelm Höttl. Spion für Hitler und die USA", € 22,95 / 208 Seiten. Ueberreuter, Wien 2019.

Unfassbare Wendungen

Zu turbulent und mitunter schier unfassbar sind die Wendungen, die Höttls Karriere von Beginn an nehmen und die Haidinger flott erzählt. En passant erfährt man allerlei Aufschlussreiches über Höttl-Freunde wie Taras Borodajkewycz, der Höttl nicht nur einmal in die Bredouille brachte. Dazu kommen die vielen spannenden und zum Teil ungelösten Fragen rund um Höttl, der es selbst meisterhaft verstand, die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit sowohl als Spion wie auch als Zeitzeuge zu verwischen.

Wie sehr war er in den Verrat der Juden in Budapest und damit indirekt in den Holocaust verstrickt? Wie sah seine Beteiligung am legendären "Goldzug" aus, der bei Kriegsende die "arisierten" Besitztümer aus Ungarn in den Westen schaffte und selbst spurlos verschwand? War Höttl womöglich indirekt auch an der Festnahme Eichmanns in Argentinien beteiligt? Haidinger geht in seinem Buch diesen Fragen zwar nach, eindeutige Antworten lassen sich freilich nicht immer finden.

Dazu sind etliche Textpassagen und Fußnoten mit Copy und Paste aus Haidingers Diplomarbeit übernommen und entsprechen nicht mehr dem letzten Stand der Forschung. So wird im Zusammenhang mit dem angeblich schlechten Verhältnis Höttls zu Seyß-Inquart der Deutsche Klub erwähnt, der nach dem Verbot der NSDAP ein Refugium der NS-Sympathisanten in Wien war und über den es neuere Arbeiten gibt. So hätte sich leicht recherchieren lassen, dass Höttl im April 1936 noch als Student Mitglied dieses einflussreichen Vereins wurde, der ihm beste Kontakte zur künftigen Nazi-Elite Wiens bescherte.

Stilistische Eigenheiten

Unangenehm sind einige formale Einfälle und stilistische Idiosynkrasien des Autors, die vom Lektorat nicht beanstandet wurden. Ob die erfundenen Passagen zu Beginn der meisten Kapitel eine gute Idee für eine Biografie einer Person sind, die selbst beständig die Trennung zwischen Fakten und Fiktion unterlief (Zitat Höttl: "Wie so oft ist etwas wahr geworden, das ich erlogen habe"), sei dahingestellt. Dass Höttl im Text immer wieder salopp als Willi (mitunter "Willy") bezeichnet wird, kann man auch als Verharmlosung eines offensichtlich schweren NS-Täters lesen.

Vor allem aber wären 200 bis 300 Ausrufezeichen problemlos streichbar gewesen: Höttls Lebensgeschichte enthält genug Dramatik, die nicht erst noch durch exzessive Verwendung des Exklamationszeichens betont werden muss.

Zwei Nachbemerkungen

PS: Höttl spielte, wie vor allem aus den Recherchen des Historikers Thomas Riegler bekannt ist, auch eine nicht ganz unbedeutende Rolle bei der Formierung des Verbands der Unabhängigen (VdU) 1949, der Vorläuferpartei der FPÖ – ein Aspekt, der im Historikerbericht der FPÖ nur en passant erwähnt wird, aber vorab im STANDARD hier aufgearbeitet wurde.

Thomas Riegler, "Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVT-Affäre", € 26,–/ 328 Seiten. Klever-Verlag, Wien 2019.

Nachzulesen sind Rieglers Recherchen in zwei kurzen Fallgeschichten, die in seinem ebenfalls vor kurzem erschienenen Essayband "Österreichs geheime Dienste" enthalten sind (Klever-Verlag).

PPS: Neue Erkenntnisse zu diesen Fragen darf man sich vom deutschen Historiker Gerhard Sälter erwarten, der an diesem Dienstag in Wien über den "NS-Untergrund in Österreich nach 1945 und die Organisation Gehlen" referieren wird, die eine Vorläuferorganisation des westdeutschen Bundesnachrichtendiensts (BND) war. Auch dieser Vortrag will einen Beitrag zur Frühgeschichte der FPÖ leisten. Und laut Sälter ist der Akt, den die deutschen Geheimdienstler in den 1940er- und 1950er-Jahren zu Höttl anlegten, einer der besonders umfangreichen. Als Mitglied der Kommission zur Erforschung des BND hatte Sälter Zugang zu diesen Akten. (Klaus Taschwer, 14.1.2020)