Durch die intensive Landnutzung und Pestizideinsätze gerät die Biodiversität unter Druck.

Foto: APA/dpa/Pleul

Wer vermisst schon den St.-Helena-Riesenohrwurm? Bereits der Name dieses ausgestorbenen Insekts lässt die Sympathiewerte sinken. Man könnte sich fragen, ob der Wegfall von derart ungustiösen Arten wirklich so dramatisch ist, wie ihn Naturschützer darstellen. Wie so oft kommt es weniger auf den Einzelfall als auf das System an: Wir befinden uns im sechsten großen Artensterben der Erdgeschichte. Darauf gibt es mannigfaltige Hinweise, insbesondere die Aussterberate, die aktuell tausendmal höher liegt als die natürliche Hintergrunddezimierung. Von den geschätzt acht bis zehn Millionen Arten von Lebewesen auf der Erde ist vermutlich eine Million vom Aussterben bedroht.

Wie beim Klimawandel hat der menschliche Einfluss das Phänomen durch diverse Eingriffe in die Natur hervorgerufen. Und wir Menschen sind es auch, die große Probleme haben werden, mit den Folgen der Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten umzugehen. Denn gesunde, artenreiche Ökosysteme haben den großen Vorteil, dass sie flexibel und robust sind: Sie können schwierige Bedingungen wie Extremwetter und Schädlingsbefall eher wegstecken. Ist die Biodiversität geringer, können beträchtliche Schäden entstehen, wenn auch nur eine einzige Art wegfällt. Und wir verlassen uns von der Ernährung bis hin zu Baumaterialien auf intakte Ökosysteme.

Intensive Landnutzung

Wie ist die Artenvielfalt aber zu schützen? Dies hat die Universität Wien zur Semesterfrage gemacht und von Experten beantworten lassen. Bei der Podiumsdiskussion am vergangenen Montag wurden grundlegende Erkenntnisse dazu unter der Moderation von STANDARD-Chefredakteur Martin Kotynek besprochen.

Die größte Ursache für die sinkende Biodiversität stellt die intensive Landnutzung dar, die sich beispielsweise in der Aneinanderreihung gleichförmiger Felder widerspiegelt, stark gedüngt und pestizidbehandelt. In Österreich wird täglich eine Bodenfläche von rund zwanzig Fußballfeldern versiegelt und ökologisch nutzlos gemacht. "Landbesitzer müssen dafür kein Bußgeld zahlen", sagt Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien. "Ökologische Verluste werden nicht ökonomisch bewertet. Wenn man das ändern und gleichzeitig naturverträgliches Wirtschaften belohnen würde, wäre die Akzeptanz von Naturschutz etwa unter Landwirten viel größer."

Gemeinsam mit der Politikwissenschafterin Alice Vadrot von der Universität Wien und den weiteren Mitgliedern des im Vorjahr gegründeten österreichischen Biodiversitätsrates stellte Essl fünf Kernforderungen zusammen. Diese sollen den absehbaren radikalen Artenverlust der kommenden zehn Jahre abwenden.

In Spuren sind manche dieser Ziele sogar im türkis-grünen Regierungsprogramm enthalten: "Es gibt ein eigenes Unterkapitel zu Biodiversität und Naturschutz sowie das Bekenntnis, dass Grundlagenforschung zu ökologischen Funktionen von Böden und Artenreichtum notwendig ist", sagt Vadrot. "Das ist ein starkes Signal an die Wissenschaft – und dafür, dass politische Entscheidungen evidenzbasiert getroffen werden sollten."

Finanzierung unklar

"Solche Inhalte ließen sich in keinem vorangehenden Regierungsprogramm finden", sagt Essl. In welchem Ausmaß die Stichpunkte auch umgesetzt werden, bleibt freilich abzuwarten. "Vor allem die Finanzierung ist nicht einmal ansatzweise geklärt." Die Forderungen des Biodiversitätsrates beinhalten einen nationalen Fonds mit einer Milliarde Euro, um den Artenvielfalt-Notstand zu bekämpfen. Aktuell betragen die kompletten Ausgaben für Naturschutz 600 Millionen Euro jährlich. "Wir reden nicht über ein Luxus-, sondern ein Überlebensproblem. Dafür muss Geld da sein", sagt Essl.

Einigkeit herrschte darüber, dass ein genereller Systemwandel mit politischem Mut hermuss, um den aktuellen Kurs in Sachen Biodiversität und Klimawandel zu korrigieren. Für Luc Bas, Europa-Direktor der Weltnaturschutz-Union IUCN, ist auch eine drastische Konsumverminderung eine so unvermeidbare wie unbequeme Wahrheit: "Kein Politiker will das aussprechen, sogar für die Grünen ist das sehr schwierig. Aber die einzige echte Maßnahme ist, weniger zu konsumieren." (Julia Sica, 15.1.2020)