Digitale Möglichkeiten: Die Multimedia-Schau "Leonardo da Vinci – Raffael – Michelangelo. Giganten der Renaissance" im Leipziger Kunstkraftwerk zeigt das Jüngste Gericht – fern des Originals.
Foto: Città del Vaticano / Angelina Perke

In einem dunklen Raum, auf einem Sitzsack liegend, können Kunstwerke von Kandinsky, Monet oder da Vinci betrachtet werden: An den Wänden bewegen sie sich als dynamische Animationen und digitale Pixel. Vergangenes Jahr zeigten groß angelegte Multimedia-Ausstellungen in Berlin und Leipzig digitalisierte Versionen bekannter Kunstwerke verschiedenster Epochen – dabei befanden sich die Originale gar nicht am selben Ort. Aber müssen sie das?

Kunst à la carte

Neue Formate ermöglichen es, Kunst nicht nur im klassischen Sinn erfahrbar zu machen, sondern darüber hinaus. So bieten junge Plattformen wie Peertospace bereits reine Online-Ausstellungen an, in denen Kunstwerke rein virtuell zugänglich gemacht und kostenlos besichtigt werden können. Museen wie die National Gallery in London können mittels virtueller Rundgänge über ihre Homepage individuell besucht werden. Erweiterte Reality-Formate liefern zusätzliche Informationen, neue Apps bieten Museumsbesuchern individuelle Führungen durch Ausstellungen oder sogar die Möglichkeit, sich in digitalen Minimuseen ihre eigene Schau zu kuratieren – Kunst à la carte quasi.

Bisherige Grenzen klassischer Ausstellungsräume werden überschritten, erweitert und neu definiert. Vor 25 Jahren schrieb der Informatiker Nicholas Negroponte in Beyond Digital, dass das Digitale irgendwann so normal wie Plastik sein wird – ein omnipräsenter Gebrauchsgegenstand. Befinden wir uns auch in der Kunst "beyond digital"? Haben wir das digitale Zeitalter längst hinter uns gelassen und leben bereits in einem postdigitalen?

Postdigital als Zustand

Doch Vorsicht: "Der Begriff des Postdigitalen möchte absichtlich in die Irre führen", meint Eva Fischer, Kuratorin des audiovisuellen Festivals Soundframe. Dieser beschreibe nämlich keinen zeitlichen Abschnitt, wie es beispielsweise "postmodern" tut, sondern vielmehr einen Zustand. "Postdigital heißt, dass Digitales überall vorhanden ist", so Fischer, "man wundert sich nur nicht mehr so darüber." Im Rahmen des diesjährigen Soundframe wird die Konferenz Navigieren im Postdigitalen gemeinsam mit dem Innovation Laboratory der Universität für angewandte Kunst stattfinden und Menschen aus Kunst und Wissenschaft zusammenbringen. So sollen neue Möglichkeiten aus beiden Bereichen erarbeitet werden. "Das Digitale tritt in all unsere Lebensbereiche über", meint Fischer – "auch in die Kunst."

Analog versus digital?

Eine Untersuchung des Museumsbunds Österreich bestätigt, dass sich auch Museen dieser postdigitalen Gegenwart stellen müssen: Vor allem bei digitaler Forschung seien Museen im angloamerikanischen Raum oder den Niederlanden weiter vorne. Dabei eignen sich vor allem digitale Formate dazu, Museumsbesuche vor- und nachzubereiten, sagt Christian Huemer, Leiter des Belvedere Research Center. Dieses veranstaltete Anfang Jänner die Konferenz Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter. Österreichische Museen erkennen die Notwendigkeit, digitale Techniken verstärkt zu nutzen und ihr Online-Angebot auszubauen. "Dies ist vor allem wichtig, um Besucher ins Museum zu holen", sagt Huemer, sieht es allerdings als Ergänzung und nicht als Ersatz dafür, Kunstwerke vor Ort zu sehen.

Museen werden bleiben

Die in diesem Zusammenhang oft gestellte Frage, ob sich Museen mit umfassenden Online-Angeboten überflüssig machen könnten, verneint Eva Fischer. Nur weil diese auch online besucht werden können, fallen sie nicht als Orte der Kunsterfahrung weg. Bei digitalen Formaten handle es sich nicht um eine Gefahr, sondern um eine Chance, die nicht verpasst werden dürfe.

So ermöglichte die Technik des 3D-Druckens, dass 2016 Der Kuss von Gustav Klimt in ein dreidimensionales Relief gegossen werden konnte; plötzlich war es möglich, das Bild anzufassen, und es wurde auch für Menschen mit Sehbehinderung erfahrbar. (Katharina Rustler, 16.1.2020)