Der Verzehr einer Banane oder Erdbeere hätte Werner Kogler wohl weniger Häme eingebracht.

Foto: Matthias Cremer

Realitätsfremd, lustfeindlich, entmündigend: Das mussten sich die Grünen anhören, als ihre damalige Parteichefin Eva Glawischnig zum Verzicht auf das tägliche Stück Fleisch und zum Verbot von Zigarettenautomaten aufrief. Glawischnig war ein leuchtendes Vorbild ihrer eigenen Forderungen: Nichtraucherin, Vegetarierin. Imagemäßig waren die Grünen damals trotzdem unten durch. Auch in ansonsten eher wohlgesinnten Medien hagelte es Kritik. Wer den Österreichern ihr Schnitzerl und ihr Zigaretterl wegnehmen will, lernt sie richtig kennen, aber hallo! Das war 2013.

Mittlerweile ist das Jahr 2020 angebrochen, die Politikerin Glawischnig ist Geschichte. Österreich hat sich nach Kräften jahrelang in Sachen Nichtraucherschutz blamiert, und alle reden davon, dass jeder etwas für den Klimaschutz tun kann – zum Beispiel weniger Fleisch essen.

Aufregung!

Und die Grünen haben einen neuen Chef, Werner Kogler. Der hat zuletzt nicht nur Wahlen gewonnen und die Grünen erst zurück ins Parlament und dann in eine Regierung mit der ÖVP geführt – er hat einen Burger gegessen und ist dabei erwischt worden. Umgekehrte Vorzeichen als im Jahr 2013, aber wieder: Aufregung! Die Grünen seien inkonsequent und heuchlerisch, sie predigten Wasser und tränken Wein, forderten Verzicht für das höhere Ziel Klimaschutz und völlerten dabei selbst.

Interessanterweise befeuert diese (Twitter-)Aufregung vor allem ein ehemaliger Haider-Gefolgsmann, der ansonsten wenig dabei findet, dass die Haider-FPÖ und alles, was nach ihr kam, das "Wasser predigen, Wein trinken" notorisch pflegt – wenn auch auf anderem Gebiet. Etwa: den "Altparteien" Korruption und Freunderlwirtschaft vorzuwerfen, selbst aber bedeutungstrunken auf Ibiza die halbe Republik verscherbeln zu wollen.

Dennoch interessant: Die FPÖ-Wähler und -Sympathisanten nahmen Heinz-Christian Strache die Ibiza-Episode weniger übel als der Koalitionspartner. Erst als Straches Spesenabrechnungen bekannt wurden, hatten viele blaue Fans genug. Ähnlich schlecht kommt es übrigens bei SPÖ-Wählern an, wenn rote Politiker mit der Rolex und im Porsche auftauchen.

Über die Stränge schlagen

Was lernt man daraus? Die meisten Wähler sind durchaus bereit, "ihren" Politikern zu verzeihen, wenn sie über die Stränge schlagen. Wer es übertreibt, für den wird’s eng. Das Wahlvolk hat ein feines Gespür, es unterscheidet zwischen "Das könnte mir auch passieren" (Ibiza, b'soffene G'schicht) und "Das geht zu weit" (Whirlpool, Gucci-Tasche).

Wer also politisch dafür eintritt, dass Fleisch nur bio und in Maßen genossen werden sollte, und dann trotzdem in einen Burger beißt, hat noch lange nicht seine Glaubwürdigkeit verspielt. Frei nach Nietzsches Ecce homo streben wir zwar alle nach einem höheren, idealen Selbst – aber wir sind schwache Menschen und müssen ganz schön viel dafür tun, unserer eigenen Moral zu genügen. Sollten Kogler und Co allwöchentlich nach den Ministerräten ins Burgerlokal ausrücken, könnte es in Sachen Glaubwürdigkeit eng werden.

Ernsthaft argumentiert, müsste die türkis-grüne Koalition vor allem ein Ziel verfolgen: dass sich an der politischen und gesellschaftlichen Kultur im Lande etwas ändert. Wenn das gelingt, könnte im öffentlichen Diskurs das Bemühen um politische Schritte in die richtige Richtung zählen – und nicht das kleinliche Aufzählen vermeintlicher persönlicher Verfehlungen. (Petra Stuiber, 15.1.2020)