Bild nicht mehr verfügbar.

Der Turm der Aufregung: Londons Wahrzeichen Big Ben.

Foto: Reuters / Hannah McKay

Wie begeht Großbritannien den EU-Austritt Ende des Monats? Lautstarke Brexiteers hoffen auf die Unterstützung durch ein nationales Symbol: Pünktlich um 23 Uhr britischer Zeit (Mitternacht auf dem Kontinent) soll Big Ben nach jahrelangem Schweigen sein sonores tiefes E erklingen lassen und so das neue Zeitalter außerhalb der EU einläuten. Premierminister Boris Johnson setzt für die exorbitanten Kosten auf die Spendenfreude der Bevölkerung.

In der BBC bestätigte der Regierungschef eine nüchterne Analyse der Parlamentsverwaltung: Weil man mitten in der umfangreichsten Renovierung des sogenannten Elizabeth-Turms seit 160 Jahren stecke, werde ein Glockenton am Brexit-Tag bis zu eine halbe Million Pfund (584.000 Euro) teuer. Halb im Scherz gab der stets zu Sprachspielen aufgelegte Konservative die Devise "Bung a bob for a Big Ben bong" (etwa: Wirf ein Pfund ein für Big Bens Bong) aus. Seine Regierung schmiede an einem Plan für Crowdfunding, behauptete Johnson, was sich später als frei erfunden herausstellte.

Mangelnde Begeisterung

Offenbar ist dem einstigen Brexit-Vormann die mangelnde Begeisterung seiner Regierung für den vermeintlichen Freudentag ein wenig peinlich, zumal der Nationalpopulist Nigel Farage frech ein "Brexit-Festival" auf dem Parlamentsplatz angemeldet hat. Dort werde es Reden und Gesänge geben, "an Big Ben und einem Feuerwerk arbeiten wir noch", berichtet Richard Tice, Generalsekretär von Farages Brexit Party. Der Vorsitzende selbst setzt die Regierung unter Druck: "Wenn um 23 Uhr nicht Big Ben erklingt, wird unser Land zum Gespött."

Es gibt Zweifel daran, dass Großbritanniens Ansehen wirklich von den Tönen der 13,7 Tonnen schweren Glocke abhängt. Verwiesen wird darauf, dass der rechtlich relevante Termin an der Realität zunächst nichts verändert: Für die Dauer der sogenannten Übergangsphase bis Ende 2020 muss sich das Königreich an alle Regeln und Vorschriften des größten Binnenmarktes der Welt halten und auch weiterhin in die Gemeinschaftskasse einzahlen.

Die Spitzenbeamten der beteiligten Ministerien sind derzeit fieberhaft dabei, das Verhandlungsteam von Johnsons EU-Chefberater David Frost zusammenzustellen. Es soll am 1. Februar seine Arbeit aufnehmen, um das Wahlversprechen der Konservativen einhalten zu können: die Übergangsperiode nicht über 2020 hinaus zu verlängern. Die EU-Verhandlungspartner halten diesen Wunsch für unrealistischer als Big Bens Geläute am Austrittstag. (Sebastian Borger, 16.1.2020)