Der Braunkohletagebau am Hambacher Forst – ein Symbol für Kampf gegen Kohlestrom.

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Berlin – Deutschland steigt bis zum Jahr 2038 aus der klimaschädlichen Stromgewinnung aus Stein- und Braunkohle aus. Darauf hat sich eine Kommission aus Politik, Wirtschaft und Klimaschützern schon vor einem Jahr geeinigt. Doch dann wurde es noch einmal schwierig, als es um die Details und den Ausgleich der verschiedenen Interessen ging. Nun endlich sind Vertreter der Bundesregierung und der vier betroffenen Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg) einen großen Schritt weitergekommen und haben einen Fahrplan aufgestellt.

"Der Kohleausstieg beginnt sofort, er ist verbindlich", sagte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Schon am 31. Dezember 2020 sollen acht besonders alte und schmutzige, vom Energieriesen RWE im Rheinland betriebene Blöcke abgeschaltet werden. Grundsätzlich sind die Kraftwerke im Westen als Erste dran, sie werden früher abgeschaltet. Im strukturschwächeren Ostdeutschland beginnt der Ausstieg bis auf einige Ausnahmen im Jahr 2030.

Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber

Zunächst will die Regierung ab 2020 eine gewisse Leistung festlegen, die vom Netz gehen soll. Die Kraftwerksbetreiber – RWE, ENBW, Uniper und die tschechische Holding EPH, die hinter den ostdeutschen Unternehmen Leag und Mibrag steht – können dann ihre Forderungen für Entschädigungen einreichen. Allerdings soll das nur bis zum Jahr 2026 möglich sein. Wer sich bis dann noch nicht gekümmert hat, muss mit Zwangsabschaltung rechnen.

Die Bund-Länder-Vereinbarung sieht zudem vor, den Ausstiegsplan 2026 und 2029 zu überprüfen. Möglicherweise kann dann der endgültige Ausstieg schon auf 2035 vorgezogen werden. Für das vorzeitige Abschalten bekommen die Betreiber vom Staat Entschädigungen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stellt 4,35 Milliarden Euro zur Verfügung, Betreiber westdeutscher Kraftwerke bekommen 2,6 Milliarden Euro, Betreiber von Anlagen im Osten 1,75 Milliarden Euro.

Atomkraft keine Alternative

"Deutschland hat sich etwas Großes vorgenommen, Deutschland ist dabei, das fossile Zeitalter zu verlassen", sagt Scholz und meint auch: "Ich bin sicher, dass wir das hinbekommen." Deutschland setzt als Alternative nicht auf Atomkraft, wie etwa Tschechien. Dort will die Regierung bis 2040 die Hälfte des Strom-Mix aus Atomkraft gewinnen. In Deutschland wird das letzte Atomkraftwerk 2022 vom Netz gehen. Bei seinem Besuch in Prag hat auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sich gegen Atomstrom als Alternative zu Kohlekraftwerken ausgesprochen.

In einem Kohleausstiegsgesetz werden nun auch die finanziellen staatlichen Unterstützungen für die Kohleregionen geregelt. Insgesamt bekommen sie 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel. Vor allem die ostdeutschen Ministerpräsidenten hatten hier vehemente Forderungen aufgestellt, da sie weitere Erfolge der AfD fürchten. Diese ist gegen den Ausstieg aus der Kohle.

Deutlich verkleinert soll der Tagebau in Hambach (Nordrhein-Westfalen) werden, damit bleibt der Hambacher Forst erhalten, dort wird nicht mehr gebaggert. Gegen den Abbau in dem Gebiet zwischen Köln und Aachen hatten im Vorjahr Klima- und Umweltschützer massiv protestiert. Sie können den Erhalt als Erfolg verbuchen. Weniger begeistern wird sie die Regelung für das umstrittene neue Steinkohlekraftwerkt Datteln 4 (Nordrhein-Westfalen), das von Uniper betrieben wird. Es darf noch ans Netz gehen, da sonst laut Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hohe Schadenersatzzahlungen fällig gewesen wären. Gegen die Inbetriebnahme protestieren Umwelt- und Klimaschützer, sie sehen darin ein falsches Signal.

Branche erwartet hohe Kosten

RWE-Chef Rolf Martin Schmitz kündigte an, dass durch die Vereinbarung bereits kurzfristig über 3000 Jobs wegfallen werden. Bis 2030 würden es insgesamt etwa 6000 sein. Damit reduziere sich die Zahl der Gesamtbeschäftigten im Braunkohlesystem in nur zehn Jahren um über 60 Prozent.

"Das zeigt die volle Tragweite, mit der RWE und ihre Beschäftigten von diesem Ausstieg betroffen sind." Zwar habe die Bundesregierung dem Unternehmen eine Entschädigung in Höhe von 2,6 Milliarden Euro zugesagt, die über 15 Jahre ausgezahlt werden: Der tatsächliche Schaden liege aber bei 3,5 Milliarden Euro.

Gemischtes Echo aus Wirtschaft

Bei der Wirtschaft stieß die Einigung auf ein gemischtes Echo. BDI-Präsident Dieter Kempf bezeichnete die Regelung als unbefriedigend. "Wir sehen einige zentrale Punkte des bestehenden Kohlekompromisses gefährdet. Von einem Ausgleich für Netzentgeltsteigerungen, der im Wesentlichen allen Stromkunden zum Vorteil gekommen wäre, ist jetzt keine Rede mehr."

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erklärte, der Kohlekompromiss sei aus Sicht der Unternehmen überfällig. Entscheidend sei, dass die Versorgungssicherheit auf höchstem Niveau erhalten bleibe und sich der Wettbewerbsnachteil durch hohe Strompreise nicht noch weiter verstärke.

Einigung für Grüne "unbegreiflich"

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock kann die Bund-Länder-Einigung zum Kohleausstieg nicht nachvollziehen. Die Bundesregierung habe "ein Jahr verplempert", seit die Kohlekommission ihre Empfehlungen vorgelegt hatte, und dann den dort aufgezeigten Ausstiegspfad verlassen, sagte Baerbock den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Und obendrein will sie noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz lassen. Das ist mir unbegreiflich", so Baerbock.

Fridays for Future will kämpfen

Auch von der Klimaschutzbewegung Fridays for Future kam deutlich Kritik. Die Vereinbarung sei ein "Beweis für das Versagen der GroKo", sagte Fridays-for-Future-Aktivistin Carla Reemtsma den Sendern RTL und n-tv. "Er bedeutet eine Absage an das 1,5-Grad-Ziel und widerspricht den Empfehlungen der Kohlekommission, indem mit Datteln IV ein neues Kraftwerk ans Netz gehen kann."

Fridays for Future werde "auf jeden Fall weiter dafür kämpfen", dass Datteln IV nicht ans Netz gehe, kündigte Reemtsma an. Auch die Tatsache, dass weitere Dörfer für den Braunkohleabbau abgerissen werden sollen, sei absurd – dagegen werde Fridays for Future ebenfalls protestieren. (Birgit Baumann aus Berlin, Reuters, APA, AFP, 16.1.2020)