Die Tat veränderte Vorarlberg und Österreich.

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Bregenz – Ab Montag müssen die Geschworenen am Landesgericht Feldkirch in einem auf drei Tage anberaumten Prozess entscheiden, ob der 35-jährige Asylwerber Soner Ö. vor knapp einem Jahr den Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn ermordet hat. Dass Ö. für den gewaltsamen Tod des Mannes verantwortlich ist, ist unbestritten – offen ist die Bewertung der Tat.

Der 35-Jährige wurde am 6. Februar wegen noch nicht erfolgter Geldleistungen aus der Grundversorgung bei dem Sozialamtsleiter vorstellig, er hatte die Bezirkshauptmannschaft deswegen schon zuvor mehrmals aufgesucht. Nachdem dem in Vorarlberg aufgewachsenen Türken zugesichert worden war, dass die Angelegenheit noch am selben Tag erledigt werde, verließ er das Amtsgebäude. Kurze Zeit später kam er mit einem Küchenmesser bewaffnet zurück, ging in das Büro des Sozialamtsleiters und stach während eines lauten Streits mehrfach auf den Beamten ein. Der mit 0,75 Promille alkoholisierte und unter Medikamenteneinfluss stehende Mann wurde nach kurzer Flucht gefasst. Er bekannte sich von allem Anfang an dazu, den Sozialamtsleiter getötet zu haben, bestritt aber Absicht beziehungsweise Vorsatz.

Staatsanwaltschaft: Rache als Motiv

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch sieht die Tötung des Sozialamtsleiters als Mord und wirft dem 35-Jährigen unter anderem Rache als Motiv für sein Verhalten vor. Der erstochene Sozialamtsleiter hatte nämlich zehn Jahre zuvor – in anderer Funktion und nach der 15. Verurteilung Ö.s – ein Aufenthaltsverbot gegen den Mann erlassen. Dieser kam Anfang 2019 illegal nach Österreich zurück. Ein Asylverfahren wurde zugelassen, weil der 35-Jährige seinen Angaben zufolge 2015 in Syrien gekämpft und mindestens zwei türkische Soldaten getötet hatte. Deshalb drohe ihm in der Türkei die Verfolgung, hieß es.

Seit 3. Jänner dieses Jahres befindet sich Ö. wieder in der Justizanstalt Feldkirch, nachdem er sich im Februar des Vorjahres in Untersuchungshaft angeblich äußerst aggressiv verhalten hatte und nach Innsbruck verlegt worden war. Ö.s Verteidiger Ludwig Weh und Stefan Harg bemühten sich monatelang um eine Rückführung ihres Mandanten nach Vorarlberg, gerade auch, um sich mit ihm auf den Prozess vorbereiten zu können. Nach Angaben von Weh und Harg gegenüber der APA geht es dem 35-Jährigen aktuell gesundheitlich schlecht. Nach einem Blinddarmdurchbruch habe kurz vor Weihnachten eine Notoperation durchgeführt werden müssen. Ihr Mandant habe aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Prozess jetzt stattfinden solle.

Geschworene entscheiden über Totschlag

Zum Vorwurf des Mordes werde sich Ö. nicht geständig zeigen, betonten Weh und Harg. Letztlich müssten die Geschworenen klären, ob es sich nicht um einen Totschlag oder eine absichtliche schwere Körperverletzung mit Todesfolge gehandelt habe. Weh kündigte an, in der Verhandlung Argumente darlegen zu wollen, die gegen einen Mord sprechen. "Unser Mandant weiß, dass er schuldig ist. Wir erwarten einen fairen Prozess und eine faire Strafe", stellten Weh und Harg fest. Liegt der Strafrahmen für Mord bei zehn bis 20 Jahren oder lebenslanger Haft, beträgt er fünf bis zehn Jahre bei Totschlag beziehungsweise fünf bis 15 Jahre bei absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge.

Nach Angaben von Gerichtssprecher Norbert Stütler stehen am Montag die Einvernahme des Angeklagten sowie die Befragung von Polizeibeamten als Zeugen an. Am Dienstag wird Gerichtspsychiater Reinhard Haller aussagen, nach dessen psychiatrischer Expertise der 35-Jährige bei der Tat zurechnungsfähig gewesen sein soll. Rechtsanwalt Harg sieht sich durch das Gutachten jedoch bestätigt, da es auch besage, dass "die Tat im Zusammenhang mit einer bereits seit dem Jugendalter vorhandenen Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, einer Beeinträchtigung durch Alkohol und Benzodiazepine und einer Kränkungsreaktion mit emotionaler Belastung zu sehen" sei.

Ebenso zu hören sein werden Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. Am Mittwoch wird Gerichtsmediziner Walter Rabl seine Erkenntnisse darlegen, ebenso wird ein toxikologisches Gutachten erörtert. Anschließend sollen die Plädoyers und das Urteil erfolgen.

Anlass für Sicherungshaftpläne

Die vor einem Jahr verübte Tat hat Österreich und Vorarlberg verändert. Sie gilt als Anlassfall für die Pläne einer Sicherungshaft, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) umsetzen will. Die "Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit" soll bei Personen greifen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden. Es ist nach wie vor umstritten, ob Ö. vor dem gewaltsamen Tod des Sozialamtsleiters auf geltender Gesetzesbasis in Haft hätte genommen werden können oder nicht. In Vorarlberg wurden kurz nach der Tat Sicherheitsschleusen an den Eingängen der Vorarlberger Behördengebäude installiert. Diese bleiben als Dauereinrichtung bestehen. (red, APA, 16.1.2020)