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Die IS-Terrormiliz in Syrien und Irak ist ziemlich dezimiert. Anhänger hat die extremistische Ideologie dennoch noch immer.

Foto: Reuters/Stringer

Er sympathisierte mit dem "Islamischen Staat" (IS), wurde verurteilt und inhaftiert. Im Dezember wurde er mit einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen, auch wenn er seine radikale Einstellung in der Haft nicht abgelegt hatte. Dennoch bekam er bei seiner Entlassung keine Weisungen, weder eine Bewährungshilfe noch eine Deradikalisierungsberatung wurden ihm auferlegt oder nahegelegt. Mit dem Thema Betraute bezeichnen das als höchst ungewöhnlich, andere sogar als gefährlich.

Was war passiert? K., dessen Name der Redaktion bekannt ist, wurde wegen der Paragrafen 278a und 278b – Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation sowie Führung oder Mitgliedschaft bei einer Terrororganisation – verurteilt. Er habe laut Urteil "Zielsetzung und Methoden" des IS gutgeheißen. In der Haft – K. soll im September 2018 in ein niederösterreichisches Gefängnis in die Strafhaft verlegt worden sein – wurde er vom Verein Derad betreut. Dieser ist exklusiv für die Betreuung inhaftierter Extremisten zuständig. Nach der Entlassung kann der Verein per Weisung zur weiteren Betreuung engagiert werden. Nur: Das wurde er nicht.

Dem LVT gemeldet

K. fiel dessen Betreuer in der Zeit im Gefängnis auf. "Dass ausgerechnet er keine Weisung für Derad erhält, ist unverantwortlich", sagt der Mann, der seinen Namen nicht genannt haben will. Ein weiterer Derad-Mitarbeiter gibt an, K. kennengelernt zu haben, und stimmt der Aussage zu.

Das zuständige Gericht bestätigt dem STANDARD, dass es keinerlei Weisungen gab. Die Justizanstalt und die Staatsanwaltschaft hätten das befürwortet, im Normalfall legt vor einer Entlassung die Justizanstalt einen Akt vor, die Staatsanwaltschaft gibt dazu eine Stellungnahme ab. Beide stimmten der Entlassung ohne weitere Betreuung zu. Doch sei K.s Entlassung dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) gemeldet worden, so das zuständige Gericht.

Vom Verein Derad heißt es dazu: "Das ist einer der Fälle, wo wir davor warnen, dass es unklug oder sogar nachteilig ist, wenn ein Klient wie dieser keine Weisung erhält." Nur so könne man ihm "diese Maßnahmen weiter zuführen, um sein Weltbild zu ändern". Die Situation sei ein "Schaden für die Gesellschaft und den friedlichen Zusammenhalt". Derad gibt an, mit K. in Kontakt zu sein.

Ein anderer Kenner der Szene sagt dem STANDARD, es sei "sehr, sehr ungewöhnlich", dass jemand, der wegen derartiger Verurteilungen inhaftiert war, ohne Weisungen oder Bewährungshilfe aus der Haft entlassen wird – trotz Probezeit.

Keine klare Regelung

Derad wurde 2016 im Zuge eines Maßnahmenpaketes als einzige Organisation dezidiert vom Justizministerium dazu beauftragt, Deradikalisierungsarbeit in Österreichs Gefängnissen zu leisten – die Zahl der wegen Terror verurteilten Personen steigt seit Jahren konstant an. Die Betreuung nach der Haft ist nicht klar geregelt, mitunter aus dem Grund, weil Deradikalisierung ein recht neues Feld ist. Per gerichtliche Weisung kann, muss aber nicht, Derad weiter dafür herangezogen werden. Hinweise darauf, dass das nötig ist, gibt etwa der Bewährungshilfeverein Neustart oder die Derad-Betreuer selbst, die ihre Klienten aus der Haft kennen.

Dennoch kommt es in Einzelfällen vor, dass nicht für eine Deradikalisierung nach der Entlassung gesorgt wird. Prominentestes Beispiel ist der Fall eines Mannes, der erst im vergangenen Dezember mehrere Anschläge, darunter auf den Stephansplatz, geplant haben soll. Auch er war bereits wegen eines Terrordelikts verurteilt und zwischen einem und dem nächsten Haftaufenthalt nicht in Betreuung, obwohl er schon in Haft als radikal eingestuft worden war. (Gabriele Scherndl, 20.1.2020)