Vincent Kriechmayr: "Für einen Österreicher ist Wengen nach Kitzbühel vielleicht das wichtigste Rennen, das hat eine riesige Geschichte."

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Wengen – Skirennläufer Vincent Kriechmayr ist als Abfahrtssieger von 2019 zur Titelverteidigung nach Wengen gereist. Am Freitag eröffnet er mit der Kombination die Lauberhornrennen, Samstag folgt die Spezialabfahrt. Der 28-jährige Oberösterreicher sprach im Interview über seinen Vorjahreserfolg, seine Konkurrenten, seinen eigenen Anspruch und Kitzbühel.

Wie oft haben Sie sich Ihre Siegesfahrt von 2019 angeschaut?

"Oft, auch jetzt bevor ich hierhergekommen bin. Weil ich wissen wollte, wie die Passagen so gegangen sind. Von der Körpersprache her, wo ich den Schwung eingeleitet habe. Natürlich hat man dann ein bisschen Selbstvertrauen, wenn man seine Siegerfahrt noch einmal sieht. Aber es ist ein neues Rennen, ich muss mich aufs Neue beweisen und die Leistungen umsetzen, die ich drauf habe. Und dann schauen wir, ob es sich ausgeht. Die zwei Herren, die in den letzten Jahren den Abfahrtssport dominieren, sind in einer Superverfassung. Die gilt es erst einmal zu schlagen."

Das haben Sie im letzten Jahr hier bewiesen. Was macht das mit einem, wenn man die Wengen-Abfahrt gewinnt?

"Das ist sicher mein größter Erfolg bisher. Für einen Österreicher ist das nach Kitzbühel vielleicht das wichtigste Rennen, das hat eine riesige Geschichte."

Sie standen in diesem Winter dreimal auf dem Podest, gewannen davon den Super-G in Gröden. Trotzdem erwähnten Sie, mit ihrem Saisonverlauf nicht zufrieden zu sein. Orientieren Sie sich nur noch an den ersten drei Plätzen?

"Auf alle Fälle. Vor der Saison habe ich gesagt, dass es unser Ziel ist, um eine Kugel mitzufahren. Vor allem in der Abfahrt musst du, wie es diese Herren vorzeigen, sehr konstant sein, und vor allem sehr konstant am Podium. Das ist uns Österreichern nicht gelungen, deshalb sind wir auch im Abfahrtsweltcup so weit hinten. Deshalb kann ich nicht zufrieden sein. Obwohl es im Super-G sehr gut gelaufen ist. Das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau, aber mein Anspruch war, dass ich mich verbessere. Zufrieden bin ich mit den Top fünf. Und wenn man dann vier von sieben Speedrennen nicht in den Top fünf beendet, ist das nicht zufriedenstellend."

Die zwei Herren, die Sie erwähnten, sind der Schweizer Beat Feuz und der Südtiroler Dominik Paris. Wie erklären Sie sich diese Dominanz und Konstanz und was kann man sich von Ihnen abschauen?

"Dass sie die Leistung auf den Punkt bringen. Beat ist im Training auch nicht immer schnell, aber im Rennen ist er einfach da und zeigt seine Leistung und macht keine Fehler. Das ist auch mein Anspruch, dass ich auf höchstem Niveau fehlerfrei runterfahre. Nur so gewinnt man Rennen, denn das Niveau ist sehr hoch. Bei Domi sieht man, dass er hin und wieder einen Hakler hat, aber er ist ständig am Limit, ständig am Pushen. Bei mir fällt mir oft auf, dass ich ein bisserl zurückziehe, das ist dann der Abstand, der einfach zu groß ist."

Auf Wengen folgt Kitzbühel, da war im Vorjahr vom Zurückziehen keine Spur, sie vermieden zweimal einen Sturz. Ist Kitzbühel im Abfahrtsport der Olymp?

"Für die Schweizer ist Wengen das wichtigste Rennen in der Abfahrt, für uns Österreicher natürlich Kitzbühel. Die Kitzbühel-Sieger kennt man einfach. Ich kenne nicht jeden Weltmeister, aber ich glaube, ich kenne jeden Kitzbühel-Sieger. Die Strecke ist so fordernd. Wenn man den Lauf von Stephan Eberharter von 2004 sieht, wie der sein letztes Hemd riskiert hat, das war schon beeindruckend."

Auch wenn Geld keine Motivation ist. Zeigt sich der Stellenwert in der 100.000-Euro-Siegprämie, die es anlässlich des 80-Jahr-Jubiläums heuer gibt?

"Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn man Kitzbühel gewinnt, ist es das Letzte, an das man denkt, dass man 100.000 Euro gewonnen hat. Die innere Genugtuung, das Rennen gewonnen zu haben, ist so viel größer als jede Summe, die sie dir bieten können. Sicher, das Geld unterstreicht nochmals den Stellenwert, aber wenn es in Kitzbühel kein Preisgeld gäbe, würde ich genau das Gleiche riskieren. Auf alle Fälle. Ich bin nie Skifahrer geworden, um Geld zu verdienen. Sondern genau wegen diesen Emotionen, die man hat, wenn man einmal ein Rennen gewinnt."

Welche Emotion ist Ihnen nach dem Wengen-Sieg am meisten in Erinnerung?

"Natürlich hat mich das Rennen mitgenommen, bei Alex Kilde wurde es noch einmal knapp. Dann war ein schöner Hubschrauberflug, der Gewinner darf sich immer die Route aussuchen, das war Eiger, Mönch, Jungfrau, ziemlich knapp am Felsen vorbei. Das war eine sehr coole Erfahrung. Aber grundsätzlich ist die schönste Erinnerung, als ich dann vor der großen Siegerehrung in meinem Bett gelegen bin, als bei mir ankam, dass ich das gewonnen habe. Die innere Genugtuung. Die Siegerehrung habe ich sehr genossen, aber das war nicht der schönste Moment. Obwohl es immer schön ist, die Hymne zu hören."

Was schätzen Sie an Wengen im Vergleich zu Kitzbühel?

"Das ist schwierig, das wird wieder gegen mich verwendet. Aber grundsätzlich ist Wengen mein Lieblingsrennen. Wegen dem Flair, man fährt mit dem Zug rauf. Das Panorama am Start, die Strecke. Natürlich ist die Kitzbühel-Abfahrt unglaublich, aber Wengen ist schon etwas ganz Spezielles. Ich bin irrsinnig gern hier. In Kitzbühel kommen so viele Termine auf uns zu, da ist viel mehr Trubel. Das ist schön, weil wir sehen, was für einen Stellenwert unser Sport in Österreich hat. Aber wer mich kennt, der weiß, dass ich es einfach gern ruhig habe. Deshalb genieße ich es hier." (APA; 16.1.2020)