Nazis sind anhänglich: Matthias Luckey als SS-Obersturmbannführer (re.) und Thomas Frank als Krimineller Ferdinand Krutzler.

APA/Herbert Neubauer

Als sie erfahren, dass das sogenannte Dritte Reich von Adolf Hitler satte tausend Jahre dauern soll, werden den Freunden des Ferdinand Krutzler die zum Gruß ausgestreckten Arme am Heldenplatz 1938 gleich bleischwer. Sind das schon die Schweren Knochen, die David Schalkos 2018 erschienener Roman im Titel führt? Namentlich gehören sie dem Protagonisten selbst, Krutzler, einem Kriminellen, der als Zwölfjähriger seinen ersten Mord verübt und später zum mächtigen Wiener Unterweltboss aufsteigt.

Die Ganovenliteratur des Drehbuchautors und Serienerfinders Schalko ist in einer neuralgischen Zeit angesiedelt: in den 1930er- bis 1960er-Jahren. Er stellt die Frage, wie Menschen in Österreich in den Krieg hinein- und auch wieder aus ihm herausgegangen sind. Am Volkstheater, das derzeit seine Zelte in der benachbarten Halle E im Museumsquartier aufgeschlagen hat, feierte eine Bühnenfassung des Romans (Anita Augustin) am Mittwoch Uraufführung.

Die harte Sorte Mensch

Regisseur Alexander Charim wusste dort mit den veränderten Bedingungen der Hallenbühne umzugehen – auch wenn die gewohnte intime Theateratmosphäre nicht erzeugbar ist. Mit jeder Menge Vorhänge werden rasche Szenenwechsel möglich. Am prächtigsten wirkt ein portalgroßer Kettenvorhang, der entlang der Lichtbalken dann und wann scheppernd in den Vordergrund und wieder nach hinten geschoben wird. Hier rasselt es bei jeder Berührung, und das signalisiert: Bei Schwere Knochen geht es um die härtere Sorte Mensch.

Doch wer sind sie? In der Bande des Ferdinand Krutzler (geheimnisvoll verschlossen: Thomas Frank) aus Wien-Erdberg hat jeder eine unschöne Kindheit hinter sich – Armut, Gewalt, fehlende Fürsorge. Wessely (Peter Fasching), Praschak (Sebastian Pass) und Sikora (Lukas Watzl) werden kriminell, gemeinsam mit Krutzler räumen sie Wohnungen leer, darunter auch die eines Nazi bonzen. Drei von ihnen landen sogleich in Dachau. Krutzler, der für seinen eiskalten Halsstich berühmte Mann, wird dort Kapo und damit Handlanger der SS. Nach dem Krieg ändert sich nicht viel. Ex-Nazis, Besatzer – mit allen lassen sich Geschäfte machen. Krutzler baut einen Schmugglerring auf und steigt in Wien zum Protagonisten der Unterwelt auf.

Jenseits ideologischer Verankerungen legt Schalko Mechanismen von Ermächtigung und Gewalt frei. Überzeugungen sucht man in diesem Netzwerk der Täter vergeblich. Es zeigt ein Räderwerk des Überlebens auf Kosten anderer. Dabei weicht Regisseur Charim jeder Betroffenheitsfalle aus und inszeniert mithilfe karikatur- und märchenhafter Optik. Der Obersturmbannführer im Konzentrationslager (Matthias Luckey) könnte aus Alice in Wonderland entsprungen sein. Wundersam auch: Andreas Patton als faschistischer Papagei.

Wiener Idiomspezialitäten

Bei aller Unbetroffenheit bleibt aber auch die Frage: Wie viel Heroismus steht einem Killer zu Gesicht, der hemmungslos mordet, nur weil er es einmal gelernt hat? Die Faszination für das Böse ist ein Angelpunkt dieses Stückes: Worin liegen die Sympathien und das Verständnis für einen Nazi-Kollaborateur? In Thomas Frank hat diese Figur einen besonderen Anwalt: Es ist, als ob ihn die Mechanik des Tötens wie ein stoisches Handwerk ergriffen hätte. Charim inszeniert das ganz im Tonfall der Zeit, das Wienerische feiert seine Urständ’. Im Wort "das Geschäftliche" bringt Isabella Knöll als Zuhälterin Muschkowitz alle Idiomspezialitäten der österreichischen Bundeshauptstadt auf einmal zum Ausdruck.

Die swinghaften Rhythmen der Livemusik unter der Leitung von Matthias Jakisic treiben die Erzählung voran, die sich gegen Ende hin – bis zum Showdown in einer Aida-Filiale – auf Nebenschauplätzen auch verzettelt und im Verlauf von knapp dreieinhalb Stunden (inklusive Pause) ihre Durchhänger hat. Schalko arbeitet bereits an einer Verfilmung. (Margarete Affenzeller, 16.1.2020)