Shinjiro Koizumi mit seiner Freundin Christel Takigawa.

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Wegen ihrer extrem langen Arbeitszeiten sind japanische Männer bei familiären Pflichten vom Abwasch bis zum Windelwechsel an Werktagen nie anwesend und am Wochenende zu müde. So lautet die offizielle Version, die die fetten Schlagzeilen über Umweltminister Shinjiro Koizumi erklärt: Der 38-jährige Politiker kündigte an, in Vaterschaftsurlaub zu gehen, eine Premiere für ein Regierungsmitglied. Die Nachrichtenagentur Kyodo nannte es einen "beispiellosen Schritt". Sein erstes Kind mit der TV-Moderatorin Christel Takigawa kommt wohl noch im Jänner auf die Welt.

Der Entschluss erregte Aufsehen, weil Koizumi das wohl stärkste Tabu der japanischen Arbeitswelt bricht. Verstärkt wird die Symbolkraft dadurch, dass der extrem beliebte Sohn von Ex-Premier Junichiro Koizumi als potenzieller Nachfolger des jetzigen Amtsinhabers Shinzo Abe gehandelt wird. "Eine Veränderung der Arbeitskultur erfordert auch eine Anstrengung von oben nach unten", erklärte der Politiker seinen Schritt. Er wolle ein Zeichen setzen, damit jeder Beamte in seinem Ministerium ohne Zögern in Elternzeit gehen könne.

Sechs Prozent der Väter im Karenz

Auf dem Papier zählt Japan neben Südkorea zu den Nationen, die Eltern die großzügigsten Möglichkeiten geben. Beide erhalten bis zu einem Jahr Babyurlaub mit 80 Prozent des Nettogehaltes. Zum Vergleich: In Österreich können sich die Eltern 14 Monate mit bis zu 80 Prozent des Gehalts aufteilen (gedeckelt mit 2000 Euro). Dennoch nutzen nur sechs Prozent der japanischen Väter, jedoch 82 Prozent der Mütter diese Option, die Mehrzahl der Männer nimmt weniger als fünf Tage in Anspruch. Im öffentlichen Dienst ist das Missverhältnis der Geschlechter mit 21 Prozent zu fast 100 Prozent kaum geringer.

Neuerdings stößt der Regierung das schwache Engagement der Männer sauer auf. Ab April sind alle männlichen Staatsdiener verpflichtet, mindestens einen Monat Vaterschaftsurlaub zu nehmen. Dahinter steckt die Hoffnung, dass die Frauen in dem überalterten Land mehr Kinder gebären. Als weitere Maßnahme hat der Staat vor einem Jahr per Gesetz die Zahl der Überstunden begrenzt, damit die Männer früher nach Hause kommen. Zudem müssen Unternehmen sicherstellen, dass Mitarbeiter mindestens fünf Tage Urlaub machen.

Für Abgeordnete und Minister gibt es eigentlich gar keinen Babyurlaub. Als Umweltminister Koizumi nach seiner Ernennung im September laut über einen Vaterschaftsurlaub nachdachte, griffen ihn konservative Abgeordnete seiner Liberaldemokratischen Partei scharf an. Auch auf Twitter, dem beliebtesten sozialen Netzwerk in Japan, merkte ein Nutzer jetzt kritisch an: "Ein Neuling nimmt Vaterschaftsurlaub – liebt er seine Arbeit wirklich?" Der Gegenwind dürfte der Grund für den Kompromiss sein, den Koizumi gewählt hat: Er nimmt sich nur 14 Tage für sein Baby frei und verteilt sie stundenweise auf drei Monate, damit er im Kabinett und bei wichtigen Auftritten nicht fehlt. (Martin Fritz aus Tokio, 16.1.2020)