Im Gastkommentar skizziert Stephan Schulmeister, wie sich die ökologische Transformation umsetzen ließe und wie ein Transformationsfonds auf EU-Ebene dabei helfen könnte. Tobias Thomas, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria, hingegen warnt davor zu versuchen, die Klimaziele mit kostenintensiven Instrumenten zu erreichen.

Ohne Geld kein Klimaschutz. Wenn der Finanzminister nicht mitspielt, wird es nichts mit dem grünen Ökovorbildland Österreich.
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Die neue Regierung hat das ehrgeizigste Klimaschutzprogramm aller EU-Länder: Strom soll bereits 2030 nur aus erneuerbaren Quellen stammen. Zehn Jahre später emittiert Österreich netto keine Treibhausgase mehr, ist also "klimaneutral".

Der Staat agiert als ökologisches Vorbild bei Gebäuden (thermische Sanierung, Photovoltaik) und im Verkehr (emissionsfreier Fuhrpark). Beim gesamten Gebäudebestand wird die Sanierungsrate auf drei Prozent pro Jahr mehr als verdreifacht, Heizen mit Kohle, Erdöl und Erdgas wird schrittweise ausgemerzt. Der "Koppelung von Klima- und Kreislaufwirtschaftsstrategie" dient auch eine "Wasserstoffstrategie", insbesondere für emissionsintensive Sektoren wie Stahl, Chemie, Zement und Abfallwirtschaft, die Österreich zur "Wasserstoffnation Nummer 1" machen soll. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr wird auf Stundentakt erweitert und seine Benützung durch das "1-2-3-Österreich-Ticket" verbilligt. Zusätzlich gibt es je eine "Öffi-Milliarde" für den Nah- beziehungsweise Regionalverkehr.

Zahlreiche Hürden

Wie all dies erreicht werden soll, bleibt offen. Nur in einem Punkt wird das Programm konkret: "100 Prozent Strom aus Erneuerbaren bedeutet einen Zubau von rund 27 TWh (Terawattstunden). Zielsetzung ist, bis 2030 eine Photovoltaikerzeugungskapazität von elf TWh zuzubauen, bei Wind beträgt das Ausbauziel zehn TWh, bei Wasserkraft fünf TWh (...) und bei Biomasse eine TWh." Was bedeutet dies konkret?

Eine Photovoltaikanlage für ein Einfamilienhaus liefert 5000 KWh pro Jahr und kostet circa 10.000 Euro. Für elf TWh müssten 2,2 Millionen solcher Anlagen mit Gesamtkosten von 22 Milliarden Euro errichtet und mit drei bis vier Milliarden Euro gefördert werden. Außerdem müssten die Stromnetze ausgebaut (um drei bis fünf Milliarden Euro) oder – noch teurere – Speichermedien angeschafft werden. Photovoltaikanlagen liefern ja dann den meisten Strom, wenn er wenig benötigt wird – im Hochsommer.

Zur Windenergie: In 20 Jahren wurden in Österreich 1313 Großanlagen mit einer durchschnittlichen Produktion von 5331 MWh errichtet. Für zehn TWh braucht es zusätzlich 1876 solcher Anlagen für circa sieben Milliarden Euro. Eine Anlage kostet im Schnitt 3,7 Millionen Euro.

Der Investitionsbedarf bei Wasserkraft lässt sich am Beispiel des neuen Kraftwerks Graz-Puntigam verdeutlichen: Dieses soll 82 GWh liefern – für fünf TWh werden 61 zusätzliche Kraftwerke dieser Größe benötigt. Hoch sind die Hürden auf diesem Weg, sowohl aus technischen Gründen – die Möglichkeiten der Wasserkraft sind weitgehend ausgeschöpft – als auch wegen des Widerstands der – besonders "grünen" – Bevölkerung. Mehr Energie einzusparen wäre am besten, doch der Umstieg auf Elektromobilität setzt dem Grenzen.

Gigantische Staatsausgaben

Dennoch: Die Transformation des Systems in eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft ist alternativlos. Die dafür nötigen Staatsausgaben sind gigantisch, sie können nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Wie Unternehmen Großprojekte durch Kredit (vor)finanzieren, so muss dies auch der Staat tun (dürfen). Doch fiskalpolitische Ziele wie das Nulldefizit und die Senkung der Staatsquote blockieren dies.

So wurden Jahrzehnte im Kampf gegen die Erderwärmung verloren. Die Erfinder der Fiskalregeln hatten nämlich das Wesen öffentlicher Güter übersehen. Private Güter werden auf Märkten erworben, ihr Konsum durch einen Käufer schließt den Konsum durch andere aus. Nach dem Motto: Das Bier, das ich trinke, kann kein anderer trinken. Öffentliche Güter wie innere Sicherheit, Infrastruktur, Umwelt oder sozialer Zusammenhalt hingegen nützen allen: Der Konsum durch einen schließt den Konsum durch alle anderen nicht aus. Die Folge: Dafür zahlt niemand einen Preis, weder für innere Sicherheit noch für ein "lebbares" Klima. Daher bieten Unternehmer solche Güter nicht an, es liegt systemisches Marktversagen vor. Also muss der Staat für öffentliche Güter sorgen. Doch die Fiskalregeln diskriminieren systematisch die Produktion dieser Güter gegenüber privaten nach der Devise "Mehr privat, weniger Staat".

Österreichs Vorreiterrolle

Ein Unternehmer darf natürlich eine Investition auf Kredit tätigen und eine junge Familie ein Haus bauen. Sie werden es tun, wenn die erwartete Rendite höher ist als die Zinskosten. Der Staat darf aber keine Schulden machen, selbst wenn die gesellschaftliche Rendite ein x-Faches der Zinsen beträgt – wie bei allen Klimaschutzmaßnahmen. Gleichzeitig bilden öffentliche Güter das Fundament einer Marktwirtschaft und sind daher wichtiger als private Güter. Ihre Vernachlässigung seit den 1980ern hat katastrophale Folgen in Gestalt des Klimawandels, aber auch des Verlusts des sozialen und europäischen Zusammenhalts.

Jetzt gilt es, das Schlimmste abzuwenden, und Österreich übernimmt dabei die Vorreiterrolle: Der Staat investiert bis 2040 in die Transformation Richtung Kreislaufwirtschaft 200 Milliarden Euro (50 Prozent des BIP), und zwar auf Kredit bei Inländern. Die bewusste Übertretung der Fiskalregeln wird der EU erklärt, diese schätzt selbst, dass ihr Green New Deal 20 Prozent des BIP kostet, sie wäre aus den laufenden Einnahmen unfinanzierbar. Ergebnis: Die Österreicher leben in einer besseren Welt ohne höhere Schulden (jene des Staates sind ausgeglichen durch die Anleihewerte seiner Gläubiger). Wenn wir uns aber an die Fiskalregeln halten, gibt’s keine Transformation und die Schulden wären höher, weil das Wachstum ohne die Öko-Investitionen geringer ausfiele.

Europäischer Transformationsfonds

Die Lösung auf EU-Ebene wäre noch einfacher: Ein "Europäischer Transformationsfonds" finanziert die Öko-Investitionen der EU-Staaten, er selbst refinanziert sich bei der EZB, die Kreditgeld zu Kosten von null erzeugt. Die neoliberale Vorstellung, dies müsse die Inflation anheizen, wurde durch die Geldschwemme der letzten Jahre widerlegt. Überdies ist nunmehr die Geldschöpfung an reale Investitionen gebunden, wird also die Ökologisierung und nicht die Aktienkurse beflügeln.

Wenn das große Werk – in etwa 50 Jahren – gelungen ist, schenkt der Transformationsfonds den Mitgliedstaaten ihre Schulden, er wird aufgelöst, die EZB hat ein negatives Eigenkapital von ein paar Billionen Euro durch den Ausfall ihrer Forderungen an den Fonds, dieses wird durch eine "Neustartbilanz" entsorgt: Europa ist ökologisch und sozial saniert, und niemand hat höhere Schulden.

Geld ist nie knapp, eher der konkrete Verstand. (Stephan Schulmeister, 17.1.2020)