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Die Titans haben sich eindrucksvoll zurückgemeldet.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/Rob Carr

Sie sind der Favoritenschreck der amerikanischen Football-Profiliga NFL. Dabei ist es gerade einmal drei Monate her, dass die Titanen aus Tennessee noch am Boden lagen. Mit 0:16 waren sie gegen die Denver Broncos untergegangen, und Quarterback Marcus Mariota wurde nach einer unsäglichen Vorstellung degradiert. Die Saison der Titans schien den bekannt unspektakulären Verlauf zu nehmen. Playoffs? Um Himmels willen. Superbowl? Die Wahrscheinlichkeit lag bei einem Prozent.

Wenn am Sonntag die Conference Finals über die Bühne gehen, ist Tennessee aber noch immer mit dabei. Und die Football-Welt fragt sich: Wird im Halbfinale gegen die Kansas City Chiefs (21.05 Uhr, Puls 4, ProSieben) der nächste übermächtige Gegner gestürzt? "Nach all diesen richtig durchschnittlichen Jahren", sagt Safety Kevin Byard mit einem Blick auf zehn Saisonen in Serie mit maximal neun Siegen, "glauben wir inzwischen alle daran, dass wir wirklich jedes Spiel gewinnen können."

Mutige Entscheidungen

Eine selbstbewusste Einschätzung, die auch, aber nicht nur dem überraschenden Triumph beim Starteam der New England Patriots oder dem Coup bei den Baltimore Ravens, der besten Mannschaft der regulären Spielzeit, geschuldet ist. Vielmehr erntet der Verein nun die Früchte für einen Prozess aus überlegten Schachzügen und mutigen Entscheidungen, der bereits im Sommer 2018 begonnen hatte.

Damals hat die Klubführung Mike Vrabel als neuen Cheftrainer installiert. Der 44-Jährige spielte zu seiner aktiven Zeit von 2001 bis 2008 unter einem gewissen Bill Belichick, der die Patriots gemeinsam mit Star-Quarterback Tom Brady zum Serienmeister formte. Nach der Laufbahn machte sich Vrabel zunächst als Defensivkoordinator der Houston Texans einen Namen – und sagte nach dem knappen Verpassen der Playoffs in der Vorsaison, er würde sich "den Penis abschneiden, um den Superbowl zu erreichen".

Die große Chance

Seine mutigste Entscheidung war nach vier Niederlagen und nur zwei Siegen zu Saisonbeginn der Wechsel auf der wichtigen Spielmacher-Position. Mariota, einst der beste Quarterback auf dem College und auch deshalb im Draft an zweiter Stelle gezogen, hatte die Erwartungen nie erfüllen können. Ryan Tannehill, im Sommer als Back-up von den Miami Dolphins verpflichtet, um Druck auf Mariota auszuüben, erhielt seine Chance. Und nutzte sie.

Henry lief und lief und lief

Tennessee gewann nicht weniger als neun der folgenden zwölf Spiele, darunter ebenjene in den Playoffs gegen die favorisierten Patriots und Ravens. Das wiederum lag auch an Runningback Derrick Henry, dem mit 1,92 Meter ungewöhnlich großen Ballträger, der als erster Spieler in zwei Playoff-Spielen nacheinander mehr als 170 Yards erlief. "Wir wussten immer, dass er ein Biest ist", schwärmt Linebacker Wesley Woodyard, "jetzt weiß es auch der Rest der Welt."

Zum Rest der Welt zählen die Kansas City Chiefs, der nächste Gegner der Titans. Sie waren vor einer Woche abgeschrieben, als sie gegen Houston fast aussichtslos 0:24 zurücklagen. Dann drehten Vorjahres-MVP Patrick Mahomes und seine Vorderleute auf, am Ende bejubelten die Chiefs ein 51:31. "Sie sind explosiv in der Offensive, athletisch, schnell, eine riesige Herausforderung", sagt Vrabel. Das ist sein Team mittlerweile aber auch – wer hätte das im Oktober gedacht? (sid, red, 17.1.2020)