Susanne Kalss ist Gastgeberin des traditionellen Aufsichtsratstags an der Wirtschaftsuni Wien.

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Diversität ist der große Imperativ für die Professionalisierung heimischer Aufsichtsräte, deren Image zwar schon ein Stück weit weg vom "Frühstücksklub der Old Boys", aber dennoch tendenziell defizitär ist. Was zu tun wäre, um bestmöglich verschiedene Perspektiven in diesem Gremium zu haben, ist lange bekannt, aber allein von einem annähernd gleichen Frauenanteil ist man noch weit entfernt: In den heimischen börsennotierten Gesellschaften, wo es seit 2018 eine Frauenquote von 30 Prozent gibt, ist aktuell jedes vierte Aufsichtsratsmitglied eine Frau. In den Staatsbetrieben ist die faktische Quote höher, allerdings verdienen Frauen dort laut Rechnungshof nur 79,4 Prozent der Remuneration ihrer männlichen Kollegen.

Was die wesentlichen Themen sind, wie operative Führung und Aufsichtsrat am besten zueinander positioniert sind – das erklärt die Gastgeberin des traditionellen Aufsichtsratstages an der Wirtschaftsuni Wien, Susanne Kalss.

STANDARD: Vorstand und Aufsichtsrat – wie sieht das ideale Verhältnis aus?

Kalss: Der Vorstand muss berufsmäßig übertrieben optimistisch sein. Der Aufsichtsrat ein starker Kritiker dessen. Solche Konstellationen sind für die Gesellschaft die besten, weil dadurch die bestmögliche strategische Diskussion entsteht. Meist liegt der Fokus des Aufsichtsrates viel zu stark auf der Aufsicht, verstanden als Kontrolle. Das soll das Controlling machen, der Aufsichtsrat beschäftigt sich dann mit der Plausibilisierung der Zahlen. Leider ist das Gesetz in die Richtung gegangen, Aufsichtspflichten immer mehr zu verfeinern und zu ziselieren. Das raubt Zeit für die wesentlichen Aufgaben, schafft zusätzliche Formalien.

STANDARD: Aber ein solches dynamisches Zusammenspiel mit klaren Trennlinien zwischen den Gremien im dualen System, oder?

Kalss: Im dualen System darf der Aufsichtsrat nicht mit operativen Agenden belastet sein, darf keine Schattenführung sein.Die wesentlichen Aufgaben des Aufsichtsrates sind, sich mit der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells zu befassen, mit strategischen Markt- und Businessthemen, mit der Weiterentwicklung der Gesellschaft.

STANDARD: Das bringt uns gleich zum Diversitätsthema – dafür benötigt das Gremium möglichst viele unterschiedliche Expertisen und Blickwinkel.

Kalss: Ja, und zwar nicht nur Diversität von Männern und Frauen, Jung und Alt. Es reicht nicht, ein Gremium mit Männern ab Mitte 60 mit einer 34-Jährigen zu durchmischen. Es reicht auch nicht, nur Juristen und Betriebswirte im Aufsichtsrat zu haben, dort werden naturwissenschaftliche und technische Expertisen ebenso benötigt.

STANDARD: Aktuell zu Siemens, wo der deutschen Klimaaktivistin Luisa Neubauer aufgrund ihres Protestes gegen ein Projekt des Konzerns im australischen Kohlebergbau ein Aufsichtsmandat angeboten wurde: Hätte sie annehmen sollen, gehören auch Umweltaktivisten in Aufsichtsräte?

Kalss: Ich finde im konkreten Fall gut, dass sie das Mandat abgelehnt hat. Weil sie ja begründet, sie könne sonst nicht mehr öffentlich gegen solche Projekte des Konzerns auftreten. Aber insgesamt: Natürlich können junge, umweltbewegte Menschen gut Neues in Gesellschaften bringen, es ist gut, gesellschaftliche Diskurse im Aufsichtsrat abzubilden, das hilft Unternehmen, Argumente und Positionen zu schärfen.

STANDARD: Frage an die Doyenne der Aufsichtsgremien im wissenschaftlichen Feld: Nach all den Jahren dieser Arbeit – schmerzt Sie etwas?

Kalss: Doch. Beispielsweise die Verengung der Diversität auf Männer und Frauen. Wobei wir ja nicht einmal in dieser Dimension der Diversität ein angemessenes Ausmaß erreicht haben. Weil Unternehmen eben nicht die nötige Vorarbeit leisten, nicht früh genug Talente identifizieren und aufbauen. Es wird nichts gemacht und dann gesagt: "Es gibt sie ja nicht." Man begnügt sich mit: "Wir haben es ja eh probiert", "Es ist ja so schwer". Gleichzeitig hat sich natürlich etwas getan, und es sind mehr qualifizierte Frauen auch bereit, ein solches Mandat auszuüben. Allerdings heißt es dann wieder, dass diese Frauen mit Mitte 40 und mit 50 "leider doch wirklich schon zu alt sind".

STANDARD: Wie kommen wir aus der Spirale der Killerargumente heraus?

Kalss: Beim Frauenthema ist es sichtlich und offensichtlich die Quote. Aber wir müssen allen Gruppen, die wir in den Aufsichtsgremien auch dringend benötigen, Bühnen bieten. Das bedeutet beispielsweise, dass sie in der operativen Führung Platz erhalten, in Kanzleien Partner werden. Diese Frage nach dem Ausweg aus festem Machtgefüge – ich kann sie nur analytisch beantworten und habe keine schnelle Lösung. In den vergangenen Jahren habe ich zudem den Eindruck, dass die Machtgruppen wieder die Schotten schließen, Abgrenzung verstärkt stattfindet.

STANDARD: Bewegt sich alles rückwärts?

Kalss: Nein. Es bewegt sich auch vorwärts, der Aufsichtsrat hat Karriere gemacht, das Rollenverständnis als strategische Unterstützung ist besser, auch wenn es langsam geht. Unsere Aufgabe ist, ständig darüber zu reden, Diversität in ihrer positiven Wirksamkeit immer zum Thema zu machen. Und ich sehe natürlich auch gute Beispiele etwa in Familienunternehmen, in denen das Zusammenspiel zwischen Eigentümern und Aufsichtsrat sehr fruchtvoll und erfolgreich ist. Es ist auch nicht so, dass wir neue gesetzliche Dinge brauchen, dort und da Klarstellungen, eventuell eine stärkere Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften, wenn es um die Gestaltung der Eigentümerrolle geht. Aber grundsätzlich sehe ich auf der legistischen Ebene keinen Handlungsbedarf.

STANDARD: Ein ewiges Streitthema ist die Remuneration. Meist wird sehr wenig gezahlt – offenbar hat man den Eindruck, dass diese Arbeit nicht sehr viel wert ist. Was ist eine angemessene Remuneration für ein Aufsichtsmandat?

Kalss: Wir sind zwar schon tatsächlich ein großes Stück weg von Aufsichtsräten, die quasi Frühstück zu sich nehmen und freundlich nicken. Aber irgendwie schwingt dieses alte Bild noch mit bei der Bezahlungsfrage. Wenn man überzeugt ist, dass der Aufsichtsrat für Wertsteigerung und Erfolg des Unternehmens eine wichtige Rolle hat, dann ist die Diskussion über die Bezahlung, so wie sie oft geführt wird, fehlgeleitet. Die Bezahlung muss angemessen sein. Konkret etwa orientiert an Tagessätzen von Fachberatern, also 2000 bis 3000 Euro pro Tag für nicht börsennotierte Unternehmen plus zusätzlicher Abgeltung des Haftungsrisikos. Mit etwa 20 Tagen ist für ein einfaches Mandat zu rechnen. Bei börsennotierten Gesellschaften hat das jeweils entsprechend mehr zu sein.