Wie farbenfrohe Mosaiksteine schimmern seine Marmeladengläser durch den frostigen Nebel am Yppenplatz. Hans Staud blieb dem multikulturtellen Grätzel stets treu. Seine heikle Zunge brachte ihm als Kind manch Ohrfeige ein. Aber Marmeladebrote sind ihm bis heute ein Graus. An Wien liebt er das Unperfekte. Sich selber nimmt er nicht allzu ernst.

Alle Politiker wollen Urban Manufacturing, sagt Hans Staud, "weil Produktionen in der Stadt so niedlich und nett sind. Aber vom vielen Gestreicheltwerden habe ich nichts."
Foto: Robert Newald

STANDARD: Ottakringer, Manner, Staud's bilden rund um Ottakring ein goldenes Dreieck, durch das der Duft nach Malz und Schnitten zieht. Ihre Marmeladen riechen die Wiener nicht. Schad' eigentlich.

Staud: (lacht) Gott sei Dank nicht. Alles, was man riecht, ist nicht mehr in der Ware. Was zahlen Sie mir dafür, dass es gut riecht? Nix. Den Geruch geb' ich nicht her.

STANDARD: Sie haben dafür ja einen eigenen Kessel zur Aromakondensat-Rückgewinnung gebaut.

Staud: Den gibt es nur einmal auf der Welt. Aber im Juni, wenn sie geliefert werden, riecht es bei uns im Hof nach Marillen.

STANDARD: Die Wurzeln Ihrer Familie liegen in Ungarn und Tschechien. Ihr Arbeits- und Lebensmittelpunkt ist Ottakring. Man erzählt sich, Sie verlassen Ihr Grätzel nur, um ins Burgtheater, in die Josefstadt oder die Staatsoper zu gehen.

Staud: Nein, ich gehe auch raus in die Vorstadt in die Tschaunerbühne und in die Volksoper. Die "Gräfin Mariza" hat es mir sehr angetan. Was mich der Sarkasmus dieser Operette lehrt? Dass es wichtig ist, über sich selbst lachen zu können. Ich will auch mich nicht immer allzu ernst nehmen.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Wien ist wie eine Krankheit, die einem lieb geworden ist.

Staud: Eine unheilbare. Es gibt ja wenige Krankheiten, die man gern hat. Ich mag dieses Unperfekte an Wien. Ich darf hier so sein, wie ich bin. Das haben die Wiener immer zugelassen.

Hans Staud: "Es ist wichtig, über sich selbst lachen zu können."
Foto: Robert Newald

STANDARD: Ottakring ist stark von Zuwanderung geprägt, ist ein Potpourri der Kulturen. Politische Debatten erwecken den Eindruck, als wäre Integration in Österreich vielfach gescheitert. Erleben Sie das so im 16. Wiener Gemeindebezirk?

Staud: Überhaupt nicht. Viele haben mich einst für deppert erklärt, ich wurde geächtet, weil ich nicht von hier fortging. Aber gingen alle fort, hätten wir lauter Ghettos und leere Häuser in der Stadt. Ich habe mich nie als was Besseres gefühlt, und ich habe die Sprache der Leute hier gelernt. Ich habe ihnen die Hand gegeben, und sie haben sie angenommen.

STANDARD: Sie sprechen unter anderem Serbokroatisch, Polnisch, Slowakisch, ein wenig Russisch ...

Staud: Man muss miteinander reden, sonst gibt es keine Qualität. "Chef, ich nix verstehen" – das hat keine Zukunft. Und es ist mir ja nie schwergefallen, Sprachen zu lernen. Na, euch werde ich es zeigen, habe ich mir gedacht.

STANDARD: Am Brunnenmarkt arbeiten Standler aus aller Herren Länder, in Ihrem eigenen Betrieb beschäftigen Sie seit 50 Jahren Mitarbeiter aus zwölf Nationen. Was ist der Schlüssel zu einem funktionierenden Miteinander?

Staud: Man muss es wollen. Wichtig ist die Freud' an der Arbeit. Die Basis aber für alles ist Respekt. Darüber sollte man eigentlich gar nicht mehr reden müssen. Ich verstehe die Angst vor Fremdem – nachvollziehen kann ich sie nicht. Mein Zugang ist anders. Ich habe Neugierde, Freude, Interesse daran. Ich will das Gute darin erkennen. Viele Menschen suchen sich heute nur das Negative heraus.

STANDARD: Was halten Sie vom geplanten Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahre? Ist das Populismus, oder bewirkt es was Gutes?

Staud: Das ist alles Geschmackssache. Und über anderen Glauben will ich nicht urteilen. Ob die Mädels ein Tuch haben, ist mir persönlich egal. Wenn sie damit klarkommen, warum sollte ich mich einmischen? Sie sollen selbst darüber entscheiden, keiner soll sich über sie lustig machen dürfen. Ich habe mich nie über andere lustig gemacht. So wurde ich nicht erzogen, das gehört sich nicht.

STANDARD: Sie selbst wollten einst eigentlich Musiker werden. Warum haben Sie Ihr Cello und Ihr Klavier gegen Essiggurkerln und Marillenkompott eingetauscht?

Staud: Mein Professor wollte, dass ich Cellist werde. Mein Vater geriet sich deswegen mit ihm in die Haare, obwohl er keine mehr hatte. Es gab tiefe Konflikte. Mein Vater wollte, dass ich was Gescheites lerne, ich habe mich gefügt. Ich habe in meinem Leben später versucht, das, was ich als Brotberuf lernte, mit den familiären Wurzeln zu mischen. Ich bin eine Mischung aus Bauernbub und Händler, ein Veredler. Veredeln heißt ja nichts anderes, als zu mischen.

"'Chef, ich nix verstehen' – das hat keine Zukunft", sagt Hans Staud, dem es selbst nie schwerfiel, Sprachen zu lernen. "Na, euch werde ich es zeigen, habe ich mir gedacht."
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STANDARD: Sie haben Ihr erstes Geld in einen Vakuumtopf investiert und hinter dem Rücken Ihres Vaters auf einem kleinen Gaskocher Früchte eingekocht.

Staud: Obst und Gemüse flossen in meinen Adern, und ich habe versucht, Gutes draus zu machen. Erinnern Sie sich: Gekaufte Marmelade war damals ja nicht zum Essen. Alles, was Gott verboten hat, kam da rein. Meinl war der Erste mit Besserem, seine Marmeladenfabrik gibt es heute nicht mehr. Und da war meine heikle Zunge und die Ohrfeigen, die ich dafür einfing. Vor jeder Paradeissauce lief ich davon. Alles Rote erinnerte mich ans Schweineabstechen bei meiner Oma am Land. Ich bin damals in den Wald gerannt, habe laut geschrien, um die Schreie der Fadln nicht mehr zu hören. Was ich noch immer hasse, ist Marmelade aufs Brot. Ein Trauma aus meiner Volksschulzeit.

STANDARD: Sie haben Staud's zu einer starken Marke gemacht. Die Politik preist kleine Familienbetriebe gern als Rückgrat der Wirtschaft. Geht sie auf ihre Bedürfnisse ein?

Staud: Nicht wirklich. Mein Leitspruch ist: Hilf dir selber, dann hilft dir Gott. Ob die KöSt-Senkung notwendig war? Ich weiß es nicht. Weitaus wichtiger wäre es, Wertschöpfung im Inland stärker zu thematisieren. Alle Politiker wollen Urban Manufacturing, weil Produktionen in der Stadt so niedlich und nett sind. Aber vom vielen Gestreicheltwerden habe ich nichts. Letztlich lassen sie einen als Unternehmer allein.

STANDARD: Würden Sie es sich heute noch einmal trauen, in Obst und Gemüse Ihr Glück zu suchen?

Staud: Ich habe damals gegen den Graus protestiert, den man vorgesetzt bekam – und habe für meine Arbeit leidenschaftlich gebrannt. Aber der Markt war ein anderer. Es gab weit und breit keine Konkurrenz. Heute versuchen es Hunderte. Was es immer braucht, ist Durchhaltevermögen. Beim ersten Lüfterl aufgeben geht nicht.

STANDARD: Sie wurden auch zum Landwirt und produzieren eigenes Gemüse. Wie lässt sich das Sterben der Bauern bremsen? Müssen wir uns darauf einstellen, dass Paprika, Gurkerln und Marillen bald überwiegend importiert werden?

Staud: Hier muss der Handel mitspielen, wir selbst hatten mit ihm einige Auseinandersetzungen. Es obliegt ihm, wie sehr er Konsumenten manipuliert. Man kann ja nicht wegen jeden Kilos Erdäpfel ins Marchfeld fahren. Händler haben die Kraft, den Menschen Gutes vorzusetzen – sie verfügen hier über eine unglaubliche Macht.

STANDARD: Supermarktketten geben Rezepturen vor und engagieren sich immer stärker selbst als Produzenten. Halten Sie das für klug?

Staud: Nein. Es kann nicht jeder alles können. Ich wäre auch kein guter Bäcker.

Hans Staud: "Ich war immer bescheiden, heute bin ich es noch mehr – und dankbarer. Es hätte auch anders ausgehen können."
Foto: Robert Newald

STANDARD: Die neue Regierung plant strengere Herkunftsangaben für verarbeitete Lebensmittel. Gastronomen sind davon ausgenommen. Sollten sich auch diese vermehrt in ihre Töpfe blicken lassen?

Staud: Wir selbst haben nichts zu verbergen. Und ich will auch bei meinem Frühstücksei wissen, ob es aus Massenproduktion oder aus Freilandhaltung kommt, aus welcher Panier mein Wiener Schnitzel gemacht wird und woher das Fleisch dafür stammt.

STANDARD: Ein weiteres Vorhaben von Türkis-Grün: Der Meister soll zum Titel aufgewertet werden. Sie selbst sind Diplomkaufmann und Ökonomierat ...

Staud: Ich heische nicht nach Titeln. Aber sie sind recht informativ, betrachtet man es so. Meister soll sein – aber ob die Leute deswegen mehr bei einem kaufen?

STANDARD: Ihre Mutter stand bis ins Alter von über 90 Jahren am Staud-Stand am Yppenplatz. Wollen Sie das auch so halten?

Staud: Damals haben wir hier noch nicht geheizt. Ich bin jeden Samstag am Yppenplatz und halte Hof, wenn Sie so wollen. Aber seit meinem Schlaganfall vor sechs Jahren bin ich nicht mehr so ausdauernd und werde schnell müde. Auch wenn ich mich sonst fühle wie früher.

STANDARD: Wie geht es Ihnen?

Staud: Ich bin sehr diszipliniert, trainiere fast täglich. Ich habe begonnen zu reiten und besteche das Pferd mit Topaz-Äpfeln, ein Fall von Anfütterung. Aber ich bin ja kein Beamter. Ich war immer bescheiden, heute bin ich es noch mehr – und dankbarer. Es hätte auch anders ausgehen können. Es ist ein Weg bergauf in kleinen Schritten, das gibt mir Auftrieb. Und meine Musik, meine Hände haben mich nicht verlassen. Ich spiele Klavier fast wie früher, Opern, Wiener Lieder, nach wie vor aus dem Gedächtnis. Das Spielen, die Vibrationen sind wie eine Massage und wichtig fürs Hirn. Was ich nicht mehr kann, ist singen. Ich singe falsch, was ich verabscheue. Falsche Töne haben mir schon immer wehgetan.

STANDARD: Staud's zu versilbern kam Ihnen nie in den Sinn. Gibt es gar nichts, was Sie finanziell in Versuchung bringen könnte?

Staud: Nein, gar nichts. Obwohl, eine Reise nach Myanmar wäre schön. Eine kurze zumindest. (Verena Kainrath, 18.1.2020)